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Session: 18.04.2012
Untersuchungen, welche der Kassensturz in Auftrag gegeben hat, wonach 9 von 20 Geflügelprodukte von Schweizer Detailhändlern mit antibiotikaresistenten Keimen kontaminiert sind, haben die Schweiz in den letzten Wochen aufhorchen lassen. Betroffen seien auch drei Pouletfleisch-Produkte aus der Schweiz.

Vorab bei jungen Kälbern und in der Hühnermast, wobei gerade im letzteren Fall die Hühner nicht einzeln behandelt werden, sondern flächendeckend Medikamente verabreicht werden, kommen Antibiotika bei Krankheiten zum Einsatz. Gerade aber dieser universelle Medikamenteneinsatz gewissermassen als Teil der Haltung fördert bei den Bakterien die Resistenzbildung. Es sind also nicht Antibiotika an sich gefährlich, sondern ihre exzessive und unsachgemässe Anwendung. So verwundert es auch nicht weiter, dass Ärzte schon länger davor warnen, dass die Zahl der Patienten, bei denen Antibiotika gegen gefährliche Infektionen nicht mehr wirken, stark im Ansteigen begriffen ist.

Aufgrund der vorerwähnten Aussagen ersuchen die Unterzeichnenden die Regierung um die Beantwortung der folgenden Fragen:

1. Wie stellt sich die Regierung zu der in der Anfrage erwähnten Problematik der Antibiotika-Resistenz bei Menschen?

2. Sind Fälle von Antibiotika-Resistenz, allenfalls mit gravierenden Folgen, in Graubünden bekannt?

3. Welche Massnahmen hat die Regierung ergriffen oder wird die Regierung ergreifen, um der äusserst gefährlichen Tendenz der steigenden Antibiotika-Resistenzen entgegenzutreten?

4. Sieht die Regierung Alternativen zum Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung?

Chur, 18. April 2012

Niederer, Niggli (Grüsch), Gunzinger, Albertin, Berther (Disentis/Mustér), Berther (Camischolas), Blumenthal, Bucher-Brini, Caduff, Casutt, Cavegn, Conrad, Darms-Landolt, Della Vedova, Dermont, Fasani, Felix, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Geisseler, Holzinger-Loretz, Jenny, Kappeler, Kollegger (Malix), Märchy-Caduff, Meyer-Grass, Michael (Castasegna), Müller, Nigg, Noi-Togni, Parolini, Parpan, Peyer, Pfenninger, Pult, Righetti, Rosa, Sax, Stiffler (Davos Platz), Thöny, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Trepp, Troncana-Sauer, Vetsch (Klosters Dorf), Audétat, Buchli (Felsberg), Degonda, Deplazes, Fausch, Liesch-Schön, Michel (Igis), Patt, Spreiter, Stäbler, Vincenz

Antwort der Regierung

Wie in der Anfrage richtig ausgeführt wird, nehmen antibiotika-resistente Krankheitserreger weltweit und damit auch im Kanton Graubünden zu. Einer der wichtigsten Gründe für diese Tendenz ist der universelle Einsatz von Antibiotika.

Zur Entstehung von Resistenzen führt vor allem die unsachgemässe Anwendung der Medikamente sowohl im Human- als auch Veterinärbereich. Werden Antibiotika zu niedrig dosiert, über zu kurze Zeit oder zu häufig appliziert oder ohne korrekte Indikation angewandt, ist es den Bakterien möglich, über Mutationen ihrer Erbsubstanz gegenüber den Medikamenten unempfindlich zu werden. Durch natürliche Selektion werden resistente Erreger gefördert. Mittlerweile existiert eine Reihe von Krankheitserregern, die nur noch mit Antibiotika der „letzten Reserve“ behandelt werden können und dementsprechend gefährlich sind.

Die resistenten Erreger lassen sich grob vereinfacht in zwei Gruppen einteilen: „Multiresistenter Staphylokokkus aureus“ (im klinischen Jargon MRSA) und „Extended-Spectrum-β-Lactamase“ (ESBL).

MRSA-Erreger kommen hauptsächlich in grossen Spitälern mit Intensivstationen oder in Institutionen der Langzeitpflege vor. In jüngerer Zeit wurden die Keime zusätzlich bei sonst gesunden Landwirten nachgewiesen. Dies deutet stark auf die Entstehung der Resistenz in der Tierhaltung hin. Die Bekämpfung der MRSA-Erreger in Spitälern und Pflegeheimen erfolgt hauptsächlich und recht erfolgreich durch rigorose Hygiene.

ESBL kommt in zahlreichen, hauptsächlich darmbewohnenden Bakterien vor. Diese geben die Gene in einem absolut natürlichen, permanent ablaufenden Prozess von einem Individuum an ein anderes, allenfalls einer andern Art angehörendes, weiter. Das Gen wird so zu einem „Allgemeingut“ und kann durch noch so gezielte Hygiene allein nicht mehr erfolgreich bekämpft werden.

In der Humanmedizin ist der Einsatz von Antibiotika sowohl durch medizinische Richtlinien als auch auf bundesrechtlicher Basis im Heilmittelgesetz (SR 812.21) und seinen Nebenerlassen recht streng geregelt. Die Praxis im Veterinärbereich ist demgegenüber wesentlich lockerer. So dürfen Landwirte unter gewissen Bedingungen Antibiotika im Einzelfall selbständig ohne Beizug von Tierärzten verabreichen. Diese Regelung führt häufig zu einem nicht sachgerechten Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. In medizinischen Fachkreisen wird der Einsatz von Antibiotika in der landwirtschaftlichen Tierhaltung als einer der Hauptgründe für die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen angesehen. Die gesetzgeberische Regelungskompetenz für den Einsatz von Antibiotika liegt hauptsächlich beim Bund. Dadurch hält sich die Wirksamkeit von Massnahmen, die die Kantone treffen können, in engem Rahmen.

Die Regierung beantwortet die gestellten Fragen wie folgt:

1. Die Regierung empfindet die Entwicklung als bedrohlich.

2. Schwerwiegende Fälle mit mehrfachresistenten Erregern kommen in den Bündner Spitälern gelegentlich vor. Bis heute ist allerdings keine Person verstorben, weil kein wirksames Antibiotikum zur Verfügung stand.

3. Die Regierung hat in Art. 22a der Verordnung zum Krankenpflegegesetz (BR 506.060) die Spitäler dazu verpflichtet, sich an Qualitätsmessungen von gesamtschweizerischen Organisationen zu beteiligen. In diesem Rahmen werden auch Daten zu Infektionsraten und somit zur Hygienequalität erhoben. Weiter sieht die Regierung vor, im Rahmen der Spitalplanung die Spitäler zu verpflichten, selber oder in Kooperation mit einem Partner einen Infektiologen anzustellen.

Im Veterinärbereich sind die Kenntnisse der Tierärzte, Landwirte und der Absolventen der Landwirtschaftlichen Schule Plantahof über infektiologische Abläufe und die Anwendung von Antibiotika zu verbessern. Aktuell unterstützt das Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit eine wissenschaftliche Studie über das Auftreten von kontaminiertem Käse. Im Rahmen dieser Studie soll das Auftreten einer Bakterienart, die besonders anfällig zur Resistenzbildung ist, erforscht werden.

4. Die Alternative zum Antibiotika-Einsatz ist die Umstellung von intensiven zu extensiven, weniger belastenden Tierhaltungsformen. Damit verbunden ist eine strenge Indikation der eingesetzten Medikamente und der Einsatz unter Aufsicht eines Tierarztes. Dies bedingt aber, dass der Tierhalter sich der Problematik bewusst ist und im Sinne der Selbstverantwortung alternative Produktionsformen für seine Tierhaltungen wählt und eine Ertragsreduktion in Kauf nimmt.

20. Juni 2012