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Session: 09.10.2001
Die Ausschaffung eines Asylbewerbers ist eine sehr schwierige Aufgabe. Es gilt mit einer konsequenten Geradlinigkeit die Entscheide des Bundesamtes für Flüchtlinge bzw. der Asylrekurskommission umzusetzen. Aber gerade das soll in einer Art und Weise geschehen, in der die Würde des betroffenen abgewiesenen Asylsuchenden unbedingt gewahrt wird.
Im Falle Hamid Bakiri ist dies mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht geschehen. Laut Aussagen von HEKS, Amnesty International und weiteren Organisationen haben wir generell im Kanton Graubünden im Ausweisungsvollzug ein Problem, und es bestehe Handlungsbedarf. Pflegen wir eine Ausschaffungspraxis ohne menschliches Antlitz?
Zur aktuellen Ausgangslage: Am 20. September nahm sich der algerische Ausschaffungshäftling in einer Polizeizelle in Chur das Leben. Seit Mitte Juli wurde Hamid Bakiri in Thusis in Einzelhaft gehalten. Er hatte keinen Zugang zu Medien, nur sehr spärliche Kontakte zur Aussenwelt, meistens 23 stündige Isolationshaft in einer Einzelzelle, ab 18.00 Uhr war niemand mehr im Hause, und der Häftling musste über eine Gegensprechanlage mit der Polizeizentrale Chur kommunizieren.
Die offiziellen Begründungen für diese Massnahmen (Renitenz, medizinische Gründe) überzeugen bei genauerem Hinschauen nicht.

Der Fall Bakiri ruft nach einer genauen Untersuchung über die Haftbedingungen von Ausschaffungshäftlingen im Kanton. In diesem Zusammenhang stellen die Interpellantinnen und Interpellanten die folgenden Fragen:

1. Teilt die Regierung die Befürchtung, dass die Haftbedingungen von Hamid Bakiri nicht der Bundesrechtspraxis entsprachen (BGE 122 II 299)?
2. Wenn ja, wer übernimmt dafür die Verantwortung?
3. Entsprechen die Haftbedingungen im Ausschaffungsgefängnis in Davos den bundesrechtlichen Anforderungen?
4. Wie genau sieht die Belegungsstatistik des Davoser Ausschaffungsgefängnisses vom 10. Juli bis 20. September aus (Kapazität, freie Plätze)?
5. Wie gedenkt die Regierung das Problem, dass Ausschaffungshäftlinge nicht mit Straffälligen zusammengebracht werden dürfen, das dann oft zu ihrem Nachteil ausgelegt wird und zu Einzelhaft führt, bis zum Bezug der neuen Infrastrukturen für Ausschaffungshäftlinge im Sinne einer ”Ausschaffungspraxis mit menschlichem Antlitz”, zu lösen?
6. Welche Weiterbildungen, Supervision oder Choaching und welche Controllingmassnahmen erhalten die verantwortlichen Leitenden und die Polizeikräfte, die mit der höchst differenzierten Aufgabe der Ausschaffungspraxis betraut sind?

Chur, 9. Oktober 2001

Name: Zindel, Frigg, Schmutz, Arquint, Augustin (Almens), Jäger, Locher, Looser, Noi, Pfenninger, Pfiffner, Schütz

Session: 09.10.2001
Vorstoss: dt Interpellation


Antwort der Regierung

Das geltende Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht sieht
die Möglichkeit zur Anordnung der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft vor. Insgesamt sollen diese neuen Haftarten einen besseren Vollzug des Ausländer- und Asylrechts gewährleisten. Zu den Fragen der Interpellanten kann wie folgt Stellung genommen werden:

    1. Bei allem Bedauern über den Freitod liegen der Regierung keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Haftbedingungen für Hamid Bakiri den Voraussetzungen, wie sie durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung definiert wurden, nicht entsprochen hätten. Eine nachträglich beim Bundesgericht anhängig gemachte Beschwerde hat die Überprüfung der konkreten Haftbedingungen zum Gegenstand. Die Haftbedingungen wurden im Übrigen weder zum Zeitpunkt der richterlichen Anordnung noch der Verlängerung im Einzelfall beanstandet.

    2. Erfüllten die Haftvoraussetzungen die bundesgerichtlichen Anforderungen, erübrigt sich auch die Frage nach der Verantwortung für allfällige Unterlassungen.

    3. Das Untersuchungsgefängnis Davos wurde im Sinne einer Übergangslösung auf grund der bundesgerichtlichen Vorgaben zum Vollzug der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft umgebaut. Zu diesem Zweck stehen heute fünf Haftzellen mit je zwei Betten, einem Aufenthaltsraum, einem Besucherraum sowie einem Spa zierhof zur Verfügung. Lediglich dem Beschäftigungsgebot kann in Davos nicht nachgekommen werden. Ansonsten vertritt die Regierung die Auffassung, dass das Gefängnis zum Vollzug der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft in Davos den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

    4. Das Gefängnis zum Vollzug der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft in Davos verfügt über maximal zehn Zellenplätze. Aufgrund der besonderen Zellenanordnung wurden bislang nach Möglichkeit nicht sämtliche Zellenplätze gleichzeitig belegt. Ausserdem ist man bestrebt, eine Doppelbelegung der Zellen zu vermeiden. Dies gelingt nicht zuletzt deshalb, weil Personen, die höchstens eine oder zwei Nächte in Haft verbringen müssen, in Polizeizellen in der Umgebung von Chur untergebracht werden. In der Zeit vom 10. Juli bis 20. September 2001 waren in Davos durchschnittlich drei Personen in Haft.

    5. Das neue Gefängnis zum Vollzug dieser Haft in Realta steht voraussichtlich ab Frühjahr/Sommer 2003 zur Verfügung. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft in Davos vollzogen. Ob es dabei gelegentlich zu Einzelvollzügen kommen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die in der Regel nicht bei der Person des Einzelhäftlings liegen. Es kann aber festgehalten werden, dass (wie im Falle von Hamid Bakiri geschehen) stets versucht wird, die Haftanordnung nach Möglichkeit zu vermeiden oder, wenn diese unumgänglich ist, so kurz wie möglich zu halten.

    6. Die angesprochenen Mitarbeitenden der Fremdenpolizei verfügen über eine langjährige Berufserfahrung. Ihre Aus- und Weiterbildung erfolgt durch Weiterbildungsveranstaltungen sowie durch eine regelmässige Teilnahme an speziellen Seminaren der Abteilung Vollzugsunterstützung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements. Eine besondere Supervision oder ein Coaching dieser Mitarbeitenden findet nicht statt.

Die Mitarbeitenden der Kantonspolizei, welche in der Übergangsphase die Ausschaffungshäftlinge betreuen, verfügen grundsätzlich über eine allgemeine polizeiliche Grundausbildung und entsprechende Weiterbildungskurse. Im psychologischen Bereich werden insbesondere Takt-Kurse und Wiederholungskurse zur Konfliktbewältigung durchgeführt.