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Session: 16.06.2010
Am 22. April 2010 hat das Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement Graubünden allen öffentlichen Institutionen Weisungen in Ergänzung der Kapiteln 19 und 20 des Handbuchs öffentliches Beschaffungswesen im Kanton Graubünden zukommen lassen, bestehend aus den Weisungen Nr. 8 und 9.

Die Weisung Nr. 9 betrifft die Einhaltung der acht von der Schweiz ratifizierten Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz fundamentaler Arbeitsnormen (sogenannte ILO-Kernübereinkommen). Es ist vorgesehen, dass ausländische Anbieter den öffentlichen Vergaben einfach durch eine Selbstdeklaration über die Einhaltung der ILO-Kernübereinkommen teilnehmen können, und dass die öffentlichen Beschaffungsstellen die vollständig ausgefüllten Selbstdeklarationsblätter stichprobenweise auf ihre Richtigkeit überprüfen.

Diese Vorgehensweise ist unbefriedigend. Bereits heute führen die Vergabebehörden fast keine stichprobenweisen Kontrollen durch. Den Anbietern ist ihrerseits de facto nicht möglich, die Korrektheit der Selbstdeklaration anderer Anbieter überprüfen zu lassen. Die Betreibungs- und Konkursämter erteilen nämlich auch bei hängigen Submissionsverfahren keine Inforrmationen über darin involvierten Firmen, und das Verwaltungsgericht stellt sich auf den Standpunkt, dass sich die Vergabebehörde auf die durch die Anbieter auf dem entsprechenden Selbstdeklarationsformular gemachten Angaben verlassen kann, sofern keine Indizien vorhanden sind, welche an der Zuverlässigkeit der gemachten Angaben Zweifel aufkommen lassen. Dies bedeutet, dass die Überprüfung der Selbstdeklaration eines Anbieters (z.B. über die Entrichtung sämtlicher Sozialabgaben) erst im Falle der konkreten Glaubhaftmachung deren Nichteinhaltung in Rahmen eines Rekursverfahrens erzwungen werden kann. Solchen Nachweis der Nichteinhaltung seitens eines anderen kann ein Anbieter praktisch nicht erbringen.

Die verstärkte Anwesenheit ausländischer Konkurrenten in einer immer ernsteren Krisenlage bei stetig steigenden Verpflichtungen hinsichtlich Sicherheit, Arbeitsschutz, Sozial- und öffentliche Abgaben bergen das Risiko, dass öffentliche Aufträge Anbietern vergeben werden, die eine falsche Selbstdeklaration geliefert haben und demnach ihre Pflichten zur Entrichtung der Sozialabgaben und zum Schutz der Arbeitnehmer nicht erfüllen.

Aus diesem Grund ist ein funktionsfähiges Überprüfungssystem erforderlich, welches den Ausschluss der Anbieter sicherstellt, welche ihre öffentlich-rechtlichen Pflichten nicht einhalten.

Einfach und wirksam wäre eine zwingende Einhaltungskontrolle der zuschlagserhaltenden Anbieter vor dem Vertragsabschluss.

Aus diesen Gründen ersuchen die Unterzeichneten die Regierung:

1. eine Revision des kantonalen Submissionsgesetz zu veranlassen, welches eine obligatorische, vor dem Vertragsabschluss zu erfolgende Überprüfung der Selbstdeklaration sämtlicher Anbieter einführt, deren Offerten den Zuschlag erhalten haben;

2. umgehend eine Weisung zu erlassen, wonach die Beschaffungsstellen verpflichtet werden, vor dem Vertragsabschluss die Richtigkeit der Selbstdeklaration sämtlicher Anbieter zu überprüfen, deren Offerten den Zuschlag erhalten haben.

Eine gesunde Volkswirtschaft ist auf verantwortungsvolle und korrekte Anbieter angewiesen, die sich für öffentliche und soziale Sicherheit sowie für Arbeitsschutz einsetzen.

Chur, 16. Juni 2010

Keller, Casty, Peyer, Arquint, Augustin, Barandun, Baselgia-Brunner, Berni, Berther (Disentis), Berther (Sedrun), Bleiker, Blumenthal, Brantschen, Bucher-Brini, Buchli, Butzerin, Cahannes Renggli, Campell, Castelberg-Fleischhauer, Casutt, Caviezel-Sutter (Thusis), Christoffel-Casty, Claus, Conrad, Dermont, Fallet, Farrér, Felix, Florin-Caluori, Frigg-Walt, Geisseler, Giovanoli, Hardegger, Hasler, Heinz, Jaag, Koch, Kollegger, Mani-Heldstab, Märchy-Michel, Marti, Menge, Meyer Persili (Chur), Meyer-Grass (Klosters Dorf), Niederer, Parolini, Parpan, Pedrini (Roveredo), Perl, Pfäffli, Plozza, Portner, Quinter, Ratti, Righetti, Sax, Stiffler, Stoffel, Tenchio, Thomann, Thöny, Toschini, Trepp, Troncana-Sauer, Tscholl, Tuor, Wettstein, Zanetti, Foffa, Hartmann (Küblis), Jecklin-Jegen, Locher Benguerel, Michel (Chur), Pedrini (Soazza)

Antwort der Regierung

Gemäss den kantonalen Submissionsvorschriften stellen die öffentlichen Auftraggeber sicher, dass die offerierenden Unternehmungen die geltenden Arbeitsschutzbestimmungen und die Arbeitsbedingungen durch Selbstdeklaration einhalten sowie die zur Zahlung fälligen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt haben. Auf Verlangen der Beschaffungsstelle hat jeder Anbieter die Richtigkeit der Angaben nachzuweisen und den Auftraggeber zur Nachprüfung zu bevollmächtigen. Im Falle einer wahrheitswidrigen Selbstdeklaration drohen dem fehlbaren Anbieter empfindliche Sanktionen (Entzug des Auftrages, Konventionalstrafe sowie Ausschluss von bis zu fünf Jahren bei künftigen Beschaffungen). Vordringliches Ziel dieser Vergabebestimmungen ist es, soziale Errungenschaften zu sichern, den Arbeitsfrieden zu wahren und einen fairen Wettbewerb unter den Marktteilnehmern sicherzustellen.

Die Durchsetzung der erwähnten Submissionsgrundsätze setzt bei einem auf dem Vertrauensprinzip beruhenden Selbstdeklarationssystem voraus, dass die öffentlichen Auftraggeber das vom Anbieter ausgefüllte Selbstdeklarationsblatt zumindest stichprobeweise kontrollieren, damit dieses seine präventive Wirkung auch tatsächlich entfalten kann. Aus diesem Grund überprüfen die kantonalen Beschaffungsstellen seit Jahren in zufälliger Abfolge sowie immer bei Verdachtsmomenten die Richtigkeit der gemachten Angaben und fordern die Unternehmungen auf, mittels Bestätigungen der zuständigen Einrichtungen den rechtsgenügenden Nachweis der erfüllten Verpflichtungen zu erbringen.

Das Prinzip der Selbstdeklaration sowie die dazu entwickelte Praxis haben sich nach Ansicht der Regierung bewährt. Das heutige Stichprobesystem führt auf Auftraggeber- wie auch auf Anbieterseite zu einem minimalen Administrativaufwand. Wie die Erfahrungen des Kantons zeigen, kommen die an öffentlichen Beschaffungsverfahren teilnehmenden Firmen grossmehrheitlich ihren gesetzlichen Verpflichtungen nach. Nur in ganz seltenen Fällen lassen sich im Rahmen einer konkreten Kontrolle Unregelmässigkeiten bzw. Ausstände bei einer Firma feststellen. Folglich hatte der Kanton bei seinen Beschaffungen bis heute keine Veranlassung, die Überprüfung der Selbstdeklaration als obligatorisch zu erklären und bei jeder Vergabe den umfassenden Nachweis der Einhaltung sämtlicher Teilnahmebedingungen von den Zuschlagsempfängern einzuverlangen. Zur Prüfung der Selbstdeklarationen wird den öffentlichen Auftraggebern zudem im Sinne eines möglichst einheitlichen Gesetzesvollzuges im Handbuch zum öffentlichen Beschaffungswesen ein standardisiertes Prüfformular zur Verfügung gestellt.

Trotz den sich aus den geltenden Submissionsvorschriften ergebenden Sorgfalts- und Prüfungspflichten der öffentlichen Hand ist nicht auszuschliessen, dass einzelne Beschaffungsstellen in der Vergangenheit die eingereichten Selbstdeklarationsblätter selten oder nicht kontrolliert haben. Ein solches Verhalten darf keineswegs gebilligt werden. Deswegen aber eine obligatorische Prüfung der Selbstdeklaration vor jedem Zuschlagsentscheid für alle öffentlichen Auftraggeber gesetzlich festschreiben zu wollen, erscheint der Regierung als unverhältnismässig und wäre für das Gewerbe mit einer nicht zu rechtfertigenden zusätzlichen administrativen Belastung verbunden. Die Überprüfung aller Zuschlagsempfänger hinsichtlich der Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen könnte von den zuständigen Kontrollorganen zudem gar nicht bewältigt werden. Schliesslich würden die von den Unterzeichnern geforderte Ausdehnung der Nachweispflicht fast ausschliesslich Bündner Anbieter treffen, die gemäss der langjährigen Vergabestatistik den Grossteil aller öffentlichen Aufträge erhalten (im Baugewerbe über 95% aller Aufträge).

Gestützt auf obige Erwägungen ist die Regierung der Auffassung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Gewährleistung einer sozialverträglichen Beschaffungspolitik der öffentlichen Hand bereits hinreichend verankert sind. Zur Verbesserung des Gesetzesvollzuges ist sie aber bereit, den öffentlichen Auftraggebern im Rahmen einer Weisung verbindliche Vorgaben hinsichtlich eines systematischen Stichprobenregimes zu machen. Die Regierung ist somit bereit, den Auftrag mit der Einschränkung, dass keine Teilrevision des kantonalen Submissionsgesetzes an die Hand genommen werden soll, entgegen zu nehmen.

08. September 2010