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Session: 08.12.2010
Im Kreis Oberengadin werden Unterschriften für eine Kreisinitiative gesammelt. Ziel dieses Begehrens ist eine Ergänzung des Regionalplanungsgesetzes des Kreises Oberengadin (RPGOE) unter anderem mit folgendem Artikel:

Art. 3 Abs. 2 neu:

„In allen Bauzonen beträgt der Erstwohnungsanteil pro Grundstück bzw. pro Überbauung mindestens die Hälfte der für Wohnzwecke bestimmten Bruttogeschossfläche (BGF). Diese Erstwohnungspflicht wird bei altrechtlichen Wohnungen durch Ersatzbau, Wiederaufbau Umbau und Erweiterung sowie durch Umnutzung ausgelöst.“

Unter Pkt. 10 der Begründung zur Initiative findet man folgende Ausführungen:

„Wesentliche bauliche Veränderungen sind wertvermehrende Umbauten, die mehr als 10% des Neuwertes kosten; energetische Optimierungen werden nicht dazu gezählt. Die Kosten aller Umbauten innerhalb von 10 Jahren dürfen zusammen die 10% des Neuwertes nicht übersteigen.

Eine wesentliche bauliche Veränderung löst bei altrechtlichen Bauten die Erstwohnungspflicht von 50% aus. Dadurch bleiben diese Häuser auch weiterhin durch Ortsansässige bewohnt und der Entvölkerung der Dorfzentren wird entgegenwirkt.“

Die Initiative enthält keine Bestandesgarantie für altrechtliche Wohnungen. Als materielle Begründung für die Initiative wird aber die im Werkzeugkasten empfohlene „all inclusive Lösung“ (S. 128 ff.) angeführt.

Aufgrund dieses Initiativtextes würden aber schon Investitionen wie etwa die Schaffung von unterirdischen Parkierungsmöglichkeiten, die räumliche Neueinteilung einer Wohneinheit, der Ersatz eines Flachdachs durch ein Giebeldach, die Pflästerung eines Hausplatzes, der Einbau eines Personenlifts usw. eine 50-prozentige Erstwohnungspflicht in sämtlichen Wohnzonen auslösen.

Vor diesem Hintergrund wird die Regierung um Beantwortung folgender Fragen ersucht:

1. Hält diese Initiative einer verfassungsmässigen Überprüfung (Eigentumsgarantie) stand und widerspricht sie nicht dem Kantonalen Raumplanungsgesetz (KRG)?

2. Ist eine solche Regelung für eine Gegend mit einem bedeutenden Bestand an altrechtlichen Wohnungen im Einfamilienhaus- und Villensegment sinnvoll?

3. Welche Wirkung hätte eine Einführung dieser Regelung auf die altrechtlichen Wohnungen, die momentan noch durch einheimische Mieter bewohnt werden?

4. Welchen Einfluss hätte eine solche Regelung auf das bedeutende Steuersubstrat, das die altrechtlichen Wohnungen für die betroffenen Gemeinden und den Kanton darstellen?

5. Welchen mutmasslichen Einfluss hätte diese Regelung auf die handwerklichen und gewerblichen Arbeits- und Ausbildungsplätze der betroffenen Region?

6. Welchen mittel- und langfristigen Einfluss hätte eine solche Regelung auf die Bausubstanz in der betroffenen Region?

Chur, 8. Dezember 2010

Pfäffli, Aebli, Troncana-Sauer, Bezzola (Samedan), Campell, Clalüna, Hartmann (Champfèr), Niggli (Samedan), Perl

Antwort der Regierung

Die im Vorstoss aufgeworfenen Fragen betreffen die im vergangenen Jahr von der Oberengadiner Vereinigung "societed glista libra" lancierte Initiative "Wohnen im Oberengadin", welche auf eine Ergänzung des geltenden Regionalplanungsgesetzes des Kreises Oberengadin mit einem zusätzlichen Artikel 3bis abzielt und deren Zweck darin besteht, über das Instrument des Erstwohnanteils die Zunahme weiterer Zweitwohnungen zu drosseln und den Druck auf bestehende Erstwohnungen aufzufangen.

Die Regierung erachtet es aus verschiedenen Gründen als problematisch, im gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. im Rahmen der Beantwortung eines parlamentarischen Vorstosses Position zu den aufgeworfenen Fragen zu beziehen.

a) Der hauptsächlichste Grund, der gegen einen regierungsrätlichen Positionsbezug im Rahmen des vorliegenden Vorstosses spricht, bildet der Umstand, dass die mit der Initiative geforderte Ergänzung des Regionalplanungsgesetzes sowie im Übrigen auch die gestützt darauf vom Kreisrat zu erlassende Regionale Richtplanung bzw. die von den einzelnen Kreisgemeinden gestützt auf die Regionale Richtplanung letztendlich zu erlassenden Baugesetzesergänzungen jeweils der Genehmigung durch die Regierung bedürfen. Alle diese Genehmigungsverfahren wickeln sich je in geordneten Verfahrensprozessen ab, welche durch einen Antrag der jeweils zuständigen Behörde ausgelöst werden und in welchen diversen Amtsstellen und Akteuren spezifische Mitwirkungs- und zum Teil Beschwerdemöglichkeiten zukommen. Vor diesem Hintergrund käme ein Positionsbezug im jetzigen Zeitpunkt im Rahmen der Beantwortung des vorliegenden Vorstosses einer problematischen Vorwegnahme der Prüfergebnisse der erwähnten ordentlichen Genehmigungsverfahren gleich, was von den Betroffenen je nach Standpunkt kaum akzeptiert würde.

b) Gegen eine Beantwortung der gestellten Fragen durch die Regierung im gegenwärtigen Zeitpunkt sprechen sodann auch abstimmungsrechtliche Bedenken. Wie erwähnt, geht es um inhaltliche Aspekte einer Initiative in Kreisangelegenheiten, also in Angelegenheiten einer dem Kanton untergeordneten Körperschaft. Gemäss Rechtsprechung werden Verlautbarungen übergeordneter Körperschaften im Vorfeld oder im Rahmen von Abstimmungen in einer untergeordneten Körperschaft grundsätzlich als unzulässige Einmischungen in den freien Meinungsbildungsprozess betrachtet, welche je nach Position leicht als Verletzung des Stimmrechts interpretiert werden könnten. Es ist vielmehr primär Sache der zuständigen Kreisbehörde und allenfalls des Initiativkomitees, die Stimmberechtigten des Kreises (objektiv) zu informieren. Dazu dienen Abstimmungserläuterungen, in denen über die Vor- und Nachteile einer Initiative aufgeklärt wird und entsprechende Empfehlungen abgegeben werden können.

c) Soweit im Vorstoss Fragen nach der Rechtmässigkeit und damit nach der Gültigkeit der Initiative aufgeworfen werden, kann sich die Regierung schliesslich auch aus Zuständigkeitsgründen nicht äussern. Zuständig für die Prüfung der inhaltlichen materiellen Rechtmässigkeit der Kreisinitiative und zur Fällung eines entsprechenden Gültigkeitsbeschlusses ist gemäss Art. 77 Abs. 1 des Gesetzes über die politischen Rechte im Kanton Graubünden vielmehr die zuständige Kreisbehörde. Deren Gültigkeitsbeschluss kann im Übrigen an das Verwaltungsgericht weitergezogen werden. Die Regierung würde sich somit dem Vorwurf einer Kompetenzanmassung aussetzen, wenn sie sich jetzt im Rahmen eines Vorstosses zu Recht- und Zweckmässigkeitsfragen einer Kreisinitiative äussern würde.

Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen bittet die Regierung um Verständnis, wenn sie davon absieht, zu den aufgeworfenen Fragen im gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. im Rahmen der Beantwortung eines parlamentarischen Vorstosses Position zu beziehen.

24. Februar 2011