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Session: 15.06.2011
Die Beziehungen mit Italien, insbesondere mit der Provinz Sondrio und der Region Lombardei, gewinnen für den Kanton Graubünden immer mehr an Bedeutung. Wirtschaftliche Tätigkeiten und grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen, gegenseitige Abhängigkeit im handwerklichen und im touristischen Sektor, Zusammenarbeit bei der Definition und bei der Umsetzung von gemeinsamen Projekten und, nicht zuletzt, die Weltausstellung 2015 in Mailand sind für unseren Kanton Entwicklungsvoraussetzungen und -chancen von unbestreitbarer Bedeutung.

In letzter Zeit ist im Kanton Tessin, welcher berechtigterweise verschiedene Probleme im Zusammenhang mit der eigenen Grenzlage angeht, der Ton gegen Italien verschärft worden und einige politische Strömungen verlangen immer eindringlicher drastische Massnahmen, welche besonders die Bevölkerung in Grenznähe, die sich schon heute von der eigenen Regierung wenig vertreten fühlt, treffen würden.

Diese Äusserungen werden in Italien nicht als Haltung des Kantons Tessin aufgefasst, sondern werden auf die gesamte Schweiz projiziert. Wie bereits zum Beispiel kürzlich aus den Medien entnommen werden konnte, berät der Regionalrat der Lombardei über eine Resolution mit allfällig zu treffenden Massnahmen gegenüber der Schweiz in Bezug auf die Beteiligung an der Expo 2015, falls die Tessiner Drohungen wirklich umgesetzt würden.

Da eine Verhärtung der internationalen und grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien auch die guten nachbarschaftlichen Beziehungen, welche unser Kanton mit der Provinz Sondrio, der Region Lombardei, aber auch mit der Autonomen Provinz Bozen aufgebaut hat und im Begriff ist aufzubauen, beeinträchtigen würde, erlaube ich mir, der Regierung folgende Fragen zu stellen:

1. Erkennt und unterstützt die Regierung die Chance und die Notwendigkeit, mit Italien solide und konstruktive Beziehungen zu pflegen, insbesondere mit den Nachbarregionen und -provinzen, um die gemeinsame Entwicklung der Grenzregionen zu fördern?

2. Ist die Regierung in Kenntnis um die Situation und die laufenden Diskussionen im Kanton Tessin und ist sie mit den Unterzeichnenden einig, dass eine Verhärtung der Beziehungen des Kantons Tessin mit Italien auch Folgen für den Kanton Graubünden haben könnte?

3. Ist die Regierung bereit, falls diese Situation weiter anhalten sollte, offiziell von den Handlungen des Kantons Tessin, beziehungsweise von den kritischsten Stimmen politischer Exponenten aus dem Tessin Abstand zu nehmen?

Chur, 15. Juni 2011

Michael (Castasegna), Pult, Augustin, Berther (Camischolas), Bezzola (Samedan), Bezzola (Zernez), Brandenburger, Burkhardt, Caluori, Casanova-Maron, Clalüna, Clavadetscher, Dermont, Engler, Fallet, Fontana, Gasser, Giacomelli, Hartmann (Champfèr), Heiz, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Jaag, Jenny, Kleis-Kümin, Krättli-Lori, Kunz (Chur), Meyer-Grass, Michael (Donat), Müller, Nick, Niederer, Peyer, Pfäffli, Pfenninger, Steck-Rauch, Stiffler (Chur), Trepp, Troncana-Sauer, Valär, Wieland, Zanetti, Lauber, Pfister

Antwort der Regierung

Der Kanton Graubünden grenzt an vier Gliedstaaten von zwei EU-Ländern: Lombardei, Bozen-Südtirol, Vorarlberg und Tirol. 2/3 der Grenzlinie des Kantons sind zugleich Landesgrenze. Diese geografische Lage hat zur Folge, dass Graubünden die Herausforderungen der Zukunft nur durch grenzüberschreitendes Denken, Planen und Handeln angehen kann. Graubünden löst grenzüberschreitende Probleme in grenzüberschreitenden Strukturen und pflegt daher eine intensive Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen im Ausland. Die grosse Bedeutung, die Graubünden der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beimisst, kommt in der Kantonsverfassung in Art. 2 zum Ausdruck, indem die Zusammenarbeit mit dem benachbarten Ausland als allgemeiner Grundsatz des staatlichen Handelns bezeichnet wird.

Die Regierung beantwortet die Anfrage wie folgt:

1. Italien, seine Regionen und Provinzen sind wichtige Partner der Schweiz und Graubündens. Die traditionell guten Beziehungen sind geprägt durch enge wirtschaftliche, politische, menschliche und kulturelle Verbindungen sowie eine gemeinsame Sprache. Besonders eng sind die Beziehungen entlang der gemeinsamen Grenzen. Die Integration und Entwicklung der Grenzregionen ist der Bündner Regierung ein wichtiges Anliegen, weshalb sie entsprechende Bestrebungen aktiv fördert und koordiniert. Der Fokus der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den italienischen Gebieten liegt für Graubünden insbesondere auf der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (Arge Alp), Programmen wie Interreg Schweiz-Italien und Eures Trans Tirolia sowie den bilateralen Kontakten auf Regierungs- und technischer Ebene zu den Autonomen Provinzen Bozen-Südtirol und Trentino, der Provinz Sondrio und der Region Lombardei. Beispiele wie die realisierte Verlängerung der Postautolinie Zernez-Müstair ins Südtirol, die Vereinbarung über die erleichterte Flugrettung im Gebiet Graubünden/Südtirol, vereinfachte Formalitäten beim Grenzübertritt von Schlachtvieh ins Vinschgau bzw. neu angedachte Projekte wie die Bahnverbindung Engadin – Vinschgau, die Bahnverbindung Bellinzona - Mesolcina – Valchiavenna, vereinfachte Zollformalitäten beim Grenzübertritt von Schlachtvieh im Raum Poschiavo, 29 genehmigte und 30 neu beantragte Interreg-Projekte sowie derzeit rund 20 laufende Arge Alp-Projekte zeugen von der Notwendigkeit und dem Bedürfnis nach grenzüberschreitenden Kooperationen mit den italienischen Partnern.

2. Die Schwierigkeiten zwischen der Schweiz und Italien in Fragen der Steuer- und Finanzpolitik betreffen zwar nur einen Teilbereich der bilateralen Beziehungen, sie könnten aber das Potenzial haben, auf die weitere Zusammenarbeit abzufärben. Obwohl die Beziehungen zu Italien insbesondere für den Wirtschafts- und Finanzplatz Tessin von grosser Bedeutung sind, handelt es sich bei den derzeitigen Schwierigkeiten nicht um ein reines Tessiner Problem. Beispielsweise sind Unternehmen aus der ganzen Schweiz von Fragen des Marktzutritts betroffen, denn Italien ist der drittwichtigste Exportmarkt der Schweiz. Damit gemeinsame Lösungen gefunden werden können, soll nach Ansicht der Bündner Regierung die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen der Schweiz und Italien im Zentrum der Bemühungen von Bund und Kantonen stehen. Hierzu sind sämtliche im Rahmen des Gesetzes liegende Möglichkeiten auszuschöpfen. Die Bündner Regierung pflegt einen intensiven Kontakt mit der Tessiner Regierung. In die laufenden Diskussionen im Kanton Tessin rund um die Grenzgängerbesteuerung ist sie aber nicht direkt involviert. Die aktuellen Entwicklungen, wonach die Schweiz und Italien den politischen Willen zu konstruktiven Diskussionen im Hinblick auf die Lösung der Steuerproblematik signalisierten und per September 2011 Gespräche auf Stufe der Finanzministerien planen, stimmt im Hinblick auf die Weiterführung der engen bilateralen Beziehungen zuversichtlich.

3. Es entspricht einer langjährigen und gefestigten Praxis, dass sich die Regierung des Kantons Graubündens nicht zu Fragestellungen anderer Kantone äussert und diese öffentlich kommentiert. Sofern Interessen des Kantons Graubündens tangiert sind, wahrt die Bündner Regierung diese im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten.

02. September 2011