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Session: 16.06.2011
Im Gegensatz zu den Kantonen hat der Kanton Graubünden das sog. Öffentlichkeitsprinzip gesetzlich nicht geregelt.

Nebst dem Bund haben auch verschiedene Kantone das Öffentlichkeitsprinzip gesetzlich verankert (ZH, BE, FR, SO, AR, AG, JU, GE, SZ, UR, VD und NE).

Im Gegensatz zu praktisch allen Kantonsverfassungen, welche verschiedene Grundrechte in ihren Verfassungen aufführen, hat der Kanton Graubünden darauf verzichtet und verweist in Art. 7 lediglich auf die Grundrechte und Sozialziele der Bundesverfassung und auf die internationalen Abkommen.

Die Bundesverfassung hält in Art. 16 Abs. 3 zum Thema Informationsfreiheit lediglich fest: "Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten." Das Öffentlichkeitsprinzip geht viel weiter.

Mit dem Öffentlichkeitsprinzip tritt zur behördlichen Informationspflicht vor allem der freie Zugang zu amtlichen Dokumenten hinzu. Damit erhält jede Person ein Recht auf Einsichtnahme in Behördenakten, wenn nicht ausdrücklich eine Geheimhaltungspflicht entgegensteht. Bisher ist staatliches Handeln grundsätzlich geheim. Bürgerinnen und Bürger haben kein Recht, Informationen über die gesamte Verwaltungstätigkeit zu erhalten. Das verfassungsmässige Recht der Informationsfreiheit garantiert einzig, sich aus allgemein zugänglichen Quellen informieren zu können.

Mit der Einführung des Öffentlichkeitsprinzips soll ein Systemwechsel erfolgen: Neu ist ein Dokument grundsätzlich öffentlich zugänglich, ausser sein Inhalt sei auf Grund überwiegender öffentlicher oder privater Interessen (zum Beispiel Arzt- oder Berufsgeheimnisse, öffentliche Sicherheit etc.) oder auf Grund einer entgegenstehenden Gesetzesvorschrift geheim zu halten.

Durch den erleichterten Zugang zu amtlichen Akten und der Regelung der Informationsrechte erhalten die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, selber aktiv Informationen zu beschaffen. Damit dem Schutz der Persönlichkeit und überwiegender Interessen aber dennoch weiterhin Rechnung getragen werden kann, findet das Öffentlichkeitsprinzip seine Grenzen im Datenschutz beziehungsweise im Geheimhaltungsvorbehalt.

Das Öffentlichkeitsprinzip schafft Transparenz und erhöht dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Behörden. Information bedeutet nicht zuletzt auch Vermittlung von Kenntnissen über die Vorgänge im Staat, die für die aktive politische Beteiligung der Bevölkerung von Bedeutung sind. Dank verbesserter Information zwischen den einzelnen öffentlichen Organen unterstützt das Öffentlichkeitsprinzip ausserdem die Wirksamkeit der Verwaltungstätigkeit.

Das Öffentlichkeitsprinzip entfaltet Wirksamkeit für alle öffentlichen Organe auf kantonaler und kommunaler Ebene. In den Systemwechsel eingeschlossen sind alle drei Staatsgewalten. Damit dieser grundsätzlichen Bedeutung Rechnung getragen werden kann, ist das Öffentlichkeitsprinzip auch im Kanton Graubünden gesetzlich zu regeln.

Die Regierung wird deshalb ersucht, dem Grossen Rat eine Botschaft zur Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in Form eines Gesetzes vorzulegen.

Chur, 16. Juni 2011

Müller, Kollegger (Chur), Augustin, Baselgia-Brunner, Candinas, Cavegn, Dermont, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Gasser, Hitz-Rusch, Jaag, Jenny, Locher Benguerel, Marti, Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Pult, Tenchio, Thöny, Trepp, Buchli (Felsberg)

Antwort der Regierung

Der Grosse Rat hat in jüngerer Zeit bereits zweimal den Wechsel vom traditionellen Geheimhaltungsgrundsatz mit Öffentlichkeitsvorbehalt zum Öffentlichkeitsprinzip (mit Geheimhaltungsvorbehalt) abgelehnt. Das erste Mal im Zusammenhang mit der Totalrevision der Kantonsverfassung (vgl. GRP 2002/2003, S. 241 ff., S. 251) und das zweite Mal im Zusammenhang mit dem entsprechenden Auftrag von Grossrat Menge (vgl. GRP 2007/2008, S. 189 ff.). Sollte bisher das Öffentlichkeitsprinzip in der Kantonsverfassung verankert werden, fordert nun der Auftrag von Grossrat Müller – mit praktisch gleichlautender Begründung wie der Auftrag Menge – erneut die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips, jetzt allerdings nur noch auf Gesetzesstufe.

Die Regierung sieht in diesem Bereich jedoch weiterhin keinen Handlungsbedarf. Der heute geltende Geheimhaltungsgrundsatz bedeutet nämlich nicht, dass die Behörden passiv bleiben dürfen. Bereits Art. 16 Abs. 3 der Bundesverfassung (BV) sowie Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kennen das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ohne staatliche Hindernisse und Diskriminierung zu informieren. Der mit der letzten Totalrevision in die Kantonsverfassung Eingang gefundene Artikel 25 verpflichtet zudem die Behörden, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit zu informieren. Diesen Auftrag zur aktiven Informationstätigkeit erfüllen die Regierung, die Departemente und die Dienststellen durch regelmässige Medienmitteilungen, Medienkonferenzen und den Versand von Unterlagen, aber auch und in zunehmendem Mass durch den Auftritt im Internet. Es darf festgestellt werden, dass Regierung und Verwaltung eine sehr offene Informationspolitik betreiben und deshalb bezüglich des Verwaltungshandelns im Kanton Graubünden bereits grosse Transparenz besteht. Unabhängig vom Öffentlichkeitsprinzip gewährt schliesslich in bestimmten Fällen auch heute schon das Akteneinsichtsrecht als Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör bestimmten Personen einen Zugang zu amtlichen Dokumenten (Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren).

Vor diesem Hintergrund brächte die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips aber kaum wirklich einen praktischen Mehrnutzen für die Bürgerinnen und Bürger. Zu befürchten wäre demgegenüber eine zunehmende Bürokratisierung. Das Öffentlichkeitsprinzip steht nämlich unter dem sogenannten Geheimhaltungsvorbehalt. Das unter dem Öffentlichkeitsprinzip jeder Person zustehende Recht auf Zugang zu den bei den öffentlichen Organen vorhandenen Informationen muss zum Schutz überwiegender öffentlicher oder privater Interessen eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden können. Die diesbezüglichen Gründe müssten in einem formellen Gesetz aufgeführt werden. Gleichzeitig wäre das Verfahren für den Fall zu regeln, dass es über die Herausgabe von Informationen zwischen Behörden und Privaten zu Differenzen kommt. Kantone, welche das Öffentlichkeitsprinzip eingeführt haben, regeln entsprechend in sogenannten Informations- und Datenschutzgesetzen die genannten Punkte in ausführlicher Art und Weise; und für den Vollzug mussten Ombuds- oder Schlichtungsstellen bezeichnet bzw. eingerichtet werden.

Der Umstand, dass das Öffentlichkeitsprinzip in vielen Kantonen eingeführt wurde, ist für die Regierung kein ausschlaggebendes Argument. Es gilt, von den konkreten Verhältnissen im Kanton Graubünden auszugehen. Aus den oben dargelegten Überlegungen erachtet die Regierung einen Wechsel zum Öffentlichkeitsprinzip für den Kanton Graubünden weiterhin nicht als angezeigt. Sie beantragt deshalb, den vorliegenden Auftrag nicht zu überweisen.

07. September 2011