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Session: 23.04.2013
Bekanntlich ist das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde des Erstunterzeichnenden gegen die Abstimmung betreffend "sinergia" nicht eingetreten. Es begründete seinen Nichteintretensentscheid damit, dass Art. 60 Abs. 2 lit. c VRG eine Beschwerdefrist von 10 Tagen vorsieht seit Entdeckung des Beschwerdegrundes, spätestens jedoch nach der amtlichen Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung (Erwägung 2a S. 14). – Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, in den Abstimmungserläuterungen sei keine Rechtsmittelbelehrung angeführt worden, erwog das Verwaltungsgericht, bei den Abstimmungserläuterungen handle es sich weder um eine Verfügung noch um einen Entscheid, sondern um einen Realakt, wie er in einem Abstimmungsverfahren üblich und in vielfältiger Weise möglich sei. Solche Realakte würden indessen nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen (Erwägung 3 S. 17).

Während also Verfügungen und Entscheide gemäss Art. 22 Abs. 1 VRG zwingend mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen sind, und auch bei kantonalen Wahlen und Abstimmungen das Ergebnis durch die Standeskanzlei zwingend unter Hinweis auf das Beschwerderecht im Kantonsamtsblatt zu veröffentlichen ist (Art. 44 Abs. 1 GRP), gilt dies nach geltendem kantonalen Recht bei den ebenfalls anfechtbaren Abstimmungserläuterungen laut den Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht. Im Gegensatz zu Verfügungen und Entscheiden wird hier vorausgesetzt, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die gesetzliche Regelung über das zuverlässige Rechtsmittel, die anzurufende Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist kennen bzw. kennen müssen. Eine derart unterschiedliche Handhabung in der Rechtsmittelbelehrung ist nicht sachgerecht.

Sinn und Zweck einer Rechtsmittelbelehrung ist es, dem rechtsuchenden Bürger den Weg aufzuzeigen, wie er sich gegen einen amtlichen Akt zur Wehr setzen kann. Sind an die Einhaltung der Rechtsmittelfrist Rechtsfolgen wie Eintreten bzw. Nichteintreten geknüpft, so ist nicht nachvollziehbar, weshalb bei Verfügungen und Entscheiden eine Rechtsmittelbelehrung anzuführen ist, nicht aber bei anfechtbaren Abstimmungserläuterungen als sog. Realakte.

Die Auffassung, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger müssten die einschlägigen gesetzlichen Regelungen über die Rechtsmittelfrist, die Rechtsmittelinstanz und die Art des Rechtsmittels kennen, ist realitätsfremd. Selbst für viele Politikerinnen und Politiker greift eine solche Annahme schlichtweg zu weit.

Unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Volksrechte und der Transparenz ist es unabdingbar, die Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung einheitlich zu regeln und demzufolge eine solche auch bei kantonalen Abstimmungserläuterungen zwingend vorzuschreiben.

Dementsprechend ersuchen die Unterzeichnenden die Regierung, das Gesetz über die Politischen Rechte (GPR) und/oder das Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (VRG) dahingehend zu ergänzen, dass kantonale Abstimmungserläuterungen mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen sind, aus der hervorgeht, innert welcher Frist mit welchem Rechtsmittel an welche Instanz diese angefochten werden können.

Chur, 23. April 2013

Tscholl, Claus, Augustin, Bezzola (Samedan), Bezzola (Zernez), Brandenburger, Buchli-Mannhart, Burkhardt, Campell, Casutt Renatus, Davaz, Hardegger, Jeker, Jenny, Kasper, Koch (Igis), Kollegger (Chur), Komminoth-Elmer, Krättli-Lori, Kunz (Chur), Marti, Meyer-Grass, Nick, Niggli-Mathis (Grüsch), Parolini, Pedrini (Roveredo), Stiffler (Davos Platz), Vetsch (Pragg-Jenaz), Gugelmann, Haltiner

Antwort der Regierung

Mit den jeweils von seiner Redaktionskommission zu genehmigenden Abstimmungserläuterungen informiert der Grosse Rat die Stimmbürgerschaft über den näheren Inhalt der zur Abstimmung gelangenden kantonalen Vorlagen und stellt Antrag auf Zustimmung oder Ablehnung (Art. 22 Gesetz über die politischen Rechte im Kanton Graubünden [GPR], BR 150.100; Art. 28 Abs. 4 lit. d Geschäftsordnung des Grossen Rates, BR 170.140). Bei den Abstimmungserläuterungen handelt es sich um einen sog. Realakt, d.h. auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtetes Verwaltungshandeln und nicht um eine Verfügung, d.h. auf einen Rechtserfolg gerichtetes Verwaltungshandeln (Festlegen von Rechten und Pflichten zwischen Staat und Adressat). Die Pflicht zur Rechtmittelbelehrung gemäss Art. 22 Abs. 1 Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG, BR 370.100) gilt dabei ausschliesslich für Verwaltungsrechtsakte, d.h. Verfügungen und Entscheide, und nicht für Verwaltungsrealakte, wie eben die Abstimmungserläuterungen. Das hat das Verwaltungsgericht im „Sinergia-Fall“ klar erkannt.

Die im Bereich der politischen Rechte in Graubünden geltende Rechtsmittelordnung sieht nun u.a. vor, dass wegen Unregelmässigkeiten bei der Vorbereitung und Durchführung von kantonalen Abstimmungen erstinstanzlich bei der Regierung und zweitinstanzlich beim Verwaltungsgericht Beschwerde geführt werden kann (sog. Abstimmungsbeschwerde, vgl. Art. 95 Abs. 1 lit. b und Art. 102 GPR). Diese Unregelmässigkeiten können Handlungen (oder auch Unterlassungen) von Behörden oder Privaten unterschiedlichster Art betreffen (organisatorische Unzulänglichkeiten, Verfahrensmängel, unzulässige behördliche oder private Einflussnahme, fehlerhafte Auszählung etc.). Zu den Vorbereitungs- und Durchführungshandlungen, die mittels Abstimmungsbeschwerde gerügt werden können, gehören auch die Abstimmungserläuterungen. Es ist naheliegend, dass solche Realakte naturgemäss nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen sind bzw. versehen werden können. Auf die Möglichkeit der Abstimmungsbeschwerde und die dabei zu beachtenden relativen und absoluten Fristen wird die Stimmbürgerschaft aber regelmässig, sowohl bei der Ankündigung einer kantonalen Abstimmung als auch später bei der Ergebnispublikation, jeweils im Kantonsamtsblatt ausdrücklich hingewiesen. Nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts im „Sinergia-Fall“ ist zudem geklärt, dass allfällige Rügen in Zusammenhang mit den Abstimmungserläuterungen - aus staatsrechtlichen und staatspolitischen Gründen - ausnahmsweise in Abweichung vom ordentlichen Instanzenzug direkt beim Verwaltungsgericht vorzubringen sind.

Die Regierung erachtet es unter diesen Umständen aber nicht als sachgerecht, für einen einzelnen Anwendungsfall im Gesetz eine Verpflichtung zur Rechtsmittelbelehrung vorzusehen. Dies gilt umso mehr, als sich auch bei Rügen gegen andere - einer Rechtsmittelbelehrung nicht zugängliche - Realakte der Regierung und des Grossen Rats im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung von kantonalen Abstimmungen die Frage einer staatsrechtlich und staatspolitisch indizierten direkten Beschwerdeerhebung beim Verwaltungsgericht ergeben kann. So zum Beispiel, wenn eine unzulässige Einflussnahme von Regierungs- oder Grossratsmitgliedern in einem Abstimmungskampf gerügt werden soll. Werden in solchen Ausnahmefällen Beschwerden trotzdem bei der Regierung eingereicht, werden sie an das zuständige Verwaltungsgericht überwiesen, so dass die Rechtssuchenden kein Nachteil erfahren (Art. 4 Abs. 3 VRG).

Der Rechtsschutz im Bereich der politischen Rechte ist bereits heute gewährleistet. Wie dargelegt, werden die Stimmberechtigten wiederholt auf die Beschwerdemöglichkeiten hingewiesen. Allerdings erfordern die für diesen Bereich bestehenden besonderen Umstände (Rüge von Realakten) auch von den Stimmberechtigten bzw. von deren Rechtsvertretern zwingend eine gewisse Sorgfalt, namentlich bezüglich der Abklärung der Frage der Einhaltung der Beschwerdefrist.

Die Regierung sieht nach dem Gesagten keinen Handlungsbedarf und beantragt deshalb dem Grossen Rat, den Auftrag nicht zu überweisen.

13. Juni 2013