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Session: 19.06.2020

Graubünden hat eine bewegte Zeit hinter sich. Nachdem Anfang Jahr das Ausmass der Krise noch nicht absehbar war, hat sie uns im März 2020 mit der vollen Härte getroffen. Der Bundesrat hat Mitte März die ausserordentliche Lage erklärt und einschneidende Beschränkungen des öffentlichen Lebens angeordnet. Betroffen von diesen Beschränkungen waren auch die politischen Behörden. Namentlich waren Zusammenkünfte von mehr als 5 Personen bundesrätlich untersagt, was auch behördliche Beschlussfassungen, beispielsweise im Grossen Rat, erschwert hat. Ausnahmen wären zwar möglich gewesen, hätten allerdings erhebliche Kosten und weitere Aufwendungen nach sich gezogen. Zudem wäre die Akzeptanz der Bevölkerung bei einer Fortführung des Parlamentsbetriebs in Zeiten der Pandemie und gleichzeitiger Einschränkung der Bewegungsfreiheit kaum vorhanden gewesen.

Gemäss Art. 48 der Kantonsverfassung kann die Regierung ohne gesetzliche Grundlage Verordnungen erlassen oder Beschlüsse fassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schwerwiegenden Störungen der öffentlichen Sicherheit sowie sozialen Notständen zu begegnen. Solche Verordnungen und Beschlüsse sind vom Grossen Rat zu genehmigen und fallen spätestens ein Jahr nach In-Kraft-Treten dahin. Voraussetzung für eine Genehmigung ist selbstredend die Beschlussfähigkeit des Grossen Rats.

Faktisch war die Handlungsfähigkeit des Grossen Rats und seiner Kommissionen beeinträchtigt. Diese hätten nach den bestehenden gesetzlichen Vorgaben bei körperlicher Anwesenheit tagen müssen, um rechtsgültig Beschlüsse zu fassen. Beschlüsse über digitale Kanäle sind nicht vorgesehen. Es muss festgestellt werden, dass die Möglichkeiten einer digitalen Beteiligung, welche heute durchaus bestehen würden, noch nicht genutzt werden können.

Des Weiteren hat sich gezeigt, dass selbst die bestehenden gesetzlichen Grundlagen für die Sicherstellung der Beschlussfähigkeit der Regierung in einer Krise mangelhaft waren und ein Ausweg über eine Notverordnung gefunden werden musste.

Die Regierung hat ihre Arbeit nach Auffassung der CVP-Fraktion zwar gut und sorgfältig ausgeführt. Die von der Bündner Regierung erlassenen Verordnungen werden sich dennoch nachhaltig auf unseren Kanton auswirken. Ebenso haben sie auch auf anderen Ebenen, namentlich für die Gemeinden, finanzielle und administrative Auswirkungen. Gerade aus diesen Gründen ist das Mitwirken eines Parlaments elementar für das demokratische Gemeinwesen und auch wichtig für die Akzeptanz demokratischer Prozesse und Entscheidungen. Gleiches gilt für den Einbezug anderer Ebenen. Wenn nun über längere Zeit weder das Kantonsparlament noch andere Ebenen, wie Gemeinden oder Regionen, beim Erlass von Notrecht mitwirken können, ist dies nicht unproblematisch.

Um die Handlungsfähigkeit der Regierung und die Mitwirkung des Grossen Rats in künftigen Krisenzeiten beim Eintreten einer ausserordentlichen Lage sicherzustellen und um die Grundlagen für die Mitwirkung auch der beiden anderen Ebenen des Kantons (z.B. Region, Gemeinden) zu schaffen, fordern die unterzeichnenden Mitglieder der CVP-Fraktion die Regierung auf:

  1. einen Bericht über die Verbesserung der Handlungsfähigkeit von Regierung und Grosser Rat sowie der Zusammenarbeit zwischen dem Kanton, den Regionen und den Gemeinden in ausserordentlichen Lagen zu erstellen;
  2. gestützt auf die darin gewonnenen Erkenntnisse dem Grossen Rat die notwendigen Anpassungen der gesetzlichen Grundlagen, beispielsweise in der Sicherstellung der Anhörung von Regionen und Gemeinden, in der Erweiterung von Entscheidkompetenzen von Fachkommissionen des Grossen Rats, durch die Zulässigkeit von Videokonferenzen und Online-Abstimmungen oder von anderen Formen ohne körperliche Anwesenheit für rechtsgültige Beschlussfassungen, vorzuschlagen.

Chur, 19. Juni 2020

Cavegn, Crameri, Schneider, Berther, Bondolfi, Brunold, Caluori, Cantieni, Casutt-Derungs, Della Vedova, Deplazes (Rabius), Derungs, Epp, Fasani, Florin-Caluori, Föhn, Geisseler, Kohler, Kunfermann, Loepfe, Maissen, Märchy-Caduff, Paterlini, Ruckstuhl, Sax, Schmid, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, Zanetti (Landquart)

Antwort der Regierung

Die COVID-19 Pandemie stellt Staat und Gesellschaft vor grosse und neue Herausforderungen. Zu diesen gehört auch, dass in der akuten Phase der Krise die staatlichen Organe, insbesondere die Parlamente, und die demokratischen Prozesse nicht wie in der normalen Lage funktionieren konnten. Die Situation machte es erforderlich, dass vornehmlich die Exekutivbehörden von Bund und Kantonen, teilweise gestützt auf das vom Verfassungsrecht explizit für ausserordentliche Krisenfälle vorgesehene Notrecht (Art. 185 Abs. 3 Bundesverfassung; SR 101, Art. 48 Verfassung des Kantons Graubünden; BR 110.100), die erforderlichen Regelungen und Massnahmen zur Krisenbewältigung beschliessen mussten.  

Es ist evident, dass während akuten Krisen bis zu einem bestimmten Punkt vornehmlich die Exekutivbehörden gefordert sind und in der Pflicht stehen. Das der Exekutive vom Verfassungsgeber für solche ausserordentlichen Krisenfälle für erste Massnahmen zur Verfügung gestellte Instrumentarium des Notrechts hat sich aus Sicht der Regierung grundsätzlich bewährt. Es ermöglichte rasches und adäquates Reagieren auf die auftauchenden und sich teilweise plötzlich ändernden Herausforderungen. In einem demokratischen Staat ist es jedoch von zentraler Bedeutung, dass die Mitwirkung der Parlamente, als oberste Behörden, und auch des Souveräns, nicht über längere Zeit erschwert oder gar blockiert wird. Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam, die noch andauernde Bewältigung der COVID-19 Pandemie gründlich zu analysieren und zu prüfen, ob und welche Lehren daraus zu ziehen sind.

Bereits am 19. Mai 2020 hat die Regierung entsprechend einen umfassenden Nachbearbeitungsprozess, unter Einbezug aller zuständigen Departemente, der Standeskanzlei und Dienststellen, in die Wege geleitet. Gestützt darauf soll in der Folge eine risikobasierte Pandemie-Massnahmenplanung zum Schutz der Bevölkerung des Kantons Graubünden erarbeitet werden. Die im vorliegenden Vorstoss angesprochen Fragen der Handlungsfähigkeit von Regierung und Grossem Rat sowie des Zusammenwirkens der verschiedenen staatlichen Ebenen (Kanton, Regionen und Gemeinden) in Krisensituationen gehören zu den aufzuarbeitenden Fragen. Sie sollen im Rahmen dieser Aufarbeitung vertieft analysiert werden und entsprechend den gewonnenen Erkenntnissen sollen dann dem Grossen Rat in einer Botschaft die allenfalls notwendigen Anpassungen der gesetzlichen Grundlagen vorgeschlagen werden.  

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag zu überweisen.

31. August 2020