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Session: 21.04.2021

Die von der Schweiz ratifizierte Stockholmer Konvention von 2004 verbietet neben anderen Stoffen auch das Gift PCB und gibt das Ziel vor, PCB bis 2028 beseitigt zu haben. Spätestens mit dem Schadensfall und dem Rechtsstreit um die Sanierung am Bergbach Spöl wurde klar, dass die Erfüllung dieses Ziels in der Schweiz, aber auch in Graubünden noch nicht erreicht ist. Die Bevölkerung ist – verständlicherweise – sehr besorgt und auch aufgebracht.

Daher ist die Regierung gebeten, folgende Fragen zu beantworten

  1. Hat der Kanton Graubünden ein Monitoring oder ein Inventar aller PCB-Quellen?
  2. Hat der Kanton Graubünden einen Plan zur vollständigen Beseitigung von PCB auf dem Kantonsgebiet?
  3. Was unternimmt die Regierung, um die PCB-Problematik auf dem Kantonsgebiet im Interesse der Gesundheit von Mensch und Natur zu lösen?  

Davos, 21. April 2021

Preisig, Rettich, Horrer, Atanes, Baselgia-Brunner, Cahenzli-Philipp, Caviezel (Chur), Degiacomi, Gartmann-Albin, Hofmann, Müller (Felsberg), Perl, Rutishauser, Schwärzel, Wilhelm, Pajic, Spadarotto, Stieger, Tomaschett (Chur), van Kleef

Antwort der Regierung

Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind synthetisch hergestellte Chlorverbindungen. Ihre industrielle Herstellung erfolgte ab 1929 bis in die 1980er-Jahre. Sie bilden eine Gruppe aus 209 Kongeneren, d. h. ähnlichen Molekülen, die sich in der Anzahl und der Position der Chloratome am Biphenyl-Grundgerüst unterscheiden. In den technischen Gemischen wurden die verschiedenen Kongenere, je nach gewünschter Eigenschaft, unterschiedlich eingesetzt, sodass die Häufigkeit der Kongenere im jeweiligen Produkt eine Art Fingerabdruck bildet, der zur Identifikation der Quellen genutzt werden kann.

Gelangen PCB in die Umwelt, so lagern sie sich im Fettgewebe von Lebewesen ein, reichern sich als bioakkumulative Stoffe über die Nahrungskette an und sind persistent, d. h. sie werden praktisch nicht abgebaut. Die meisten der 209 PCB-Kongenere haben zwar akut keine sehr hohe Giftigkeit, sind aber hormonaktiv und erbgutschädigend. Zudem wurden PCB 2013 von der WHO als krebserregend eingestuft.

Seit 1986 dürfen in der Schweiz keine PCB mehr verwendet werden. Durch die Stockholmer Konvention vom 22. Mai 2001 ist die Herstellung und Verwendung von PCB weltweit verboten. Trotzdem reichern sich die Stoffe aufgrund ihrer Langlebigkeit nach wie vor in der Nahrungskette an und können mittlerweile sogar in Fischen in der Antarktis, in Muttermilch und in menschlichem Fettgewebe nachgewiesen werden. PCB sind also «ubiquitär» und können aus der Umwelt nicht mehr entfernt werden.

Verwendet wurden PCB einerseits in geschlossenen Anwendungen, vor allem in grossen Transformatoren und elektrischen Kondensatoren in Stromversorgungsanlagen oder als Hydraulikflüssigkeit in entsprechenden mechanischen Komponenten. Die grossen Transformatoren und Kondensatoren sind gemäss Stockholmer Konvention bis 2025 ausser Betrieb zu nehmen und deren Inhalt umweltgerecht zu entsorgen. Diese Anlagen wurden im Kanton Graubünden bereits in den 1990er-Jahren von PCB befreit. PCB waren aber auch in kleinen Kondensatoren verbreitet, die in Elektrogeräten wie z. B. Fluoreszenzlampen verbaut wurden, die teilweise noch heute in Gebrauch sind. In grossen Mengen kamen PCB auch in offenen Anwendungen zum Einsatz, insbesondere als Weichmacher in technischen Anstrichen, Korrosionsschutzbeschichtungen und Fugendichtungsmassen. Diese PCB sind nach wie vor weitverbreitet bei Bauwerken, die vor dem Verbot erstellt wurden. Im Rahmen von Bauarbeiten sind derartige PCB-haltige Materialien zu ermitteln und gesetzeskonform zu entsorgen, damit diese nicht in die Umwelt gelangen.

Zu Frage 1: Nein. Zwar wurden die grossen Transformatoren und Kondensatoren mit PCB-haltigem Öl vom Amt für Natur und Umwelt (ANU) erhoben und sind seit langem saniert. Jedoch gibt es über PCB in kleinen Kondensatoren oder in offenen Anwendungen keine Übersicht. Zur Identifikation von PCB in Bauteilen bedarf es eines Gebäudechecks, der vor jedem baulichen Eingriff durchgeführt werden muss. Sämtliche grosse Talflüsse wurden durch das ANU auf im Wasser gelöste PCB untersucht, die beispielsweise aus Farbanstrichen in Kraftwerksanlagen stammen könnten. Diese Untersuchungen wurden 2018 veröffentlicht und sind auf der Website des ANU zugänglich. Sie zeigen hohe Werte im Spöl sowie etwas erhöhte Werte im Vorderrhein unterhalb von Ilanz und in der Plessur unterhalb von Litzirüti. In den beiden letztgenannten Flussabschnitten wurden aber in den Fischen und in Sedimenten keine erhöhten PCB-Werte gefunden. Somit liegt im Kanton Graubünden keine weitere, mit dem Spöl vergleichbare Situation vor. Die in Wasser gelösten PCB sind nur ein Hinweis auf vorhandene PCB-Quellen. Die festgestellten Werte sind so tief, dass das Wasser problemlos in grossen Mengen getrunken werden könnte.

Zu Frage 2: Nein, die vollständige Entfernung von PCB aus der Umwelt wäre ein völlig illusorisches Unterfangen. Man kann lediglich Bereiche mit sehr hoher Belastung wie z. B. ehemalige Deponien mit PCB-Abfällen oder einzelne Flussabschnitte mit sehr hoher Belastung wie im Spöl so sanieren, dass die Verbreitung in der Umwelt und über die Nahrungskette so weit gestoppt wird, dass die Belastung in der Umwelt und in Lebewesen die jeweils geltenden Anforderungen erfüllen. Die Stockholmer Konvention regelt auch nicht generell die Elimination von PCB aus der Umwelt, sondern die Ausserbetriebnahme der grossen PCB-haltigen Transformatoren und Kondensatoren sowie die umweltgerechte Entsorgung des Inhalts.

Zu Frage 3: Heute sind PCB vor allem noch in Korrosionsschutzanstrichen und Dichtungsmassen sowie vereinzelt in Holzanstrichen zu finden. Bei Bauarbeiten kann ein Austrag von PCB in die Umwelt und eine Gefährdung am Arbeitsplatz nur verhindert werden, wenn die PCB-haltigen Bauteile vorgängig erkannt, korrekt behandelt und gesetzeskonform entsorgt werden. Die Ermittlung erfolgt bei der Erstellung der Entsorgungserklärung, die mit den Baugesuchen einzureichen ist. Das ANU führt noch in diesem Jahr als Pionier in der Schweiz eine webbasierte, elektronische Entsorgungserklärung ein, welche die Bauherrschaft mit projektspezifischen Informationen unterstützt, die kommunalen Bauämter bei der Kontrolle wesentlich entlastet und dank integrierter Plausibilitätschecks dabei hilft, Bauschadstoffe wie PCB zuverlässiger zu identifizieren. Zudem werden im Rahmen der amtlichen Holzfeuerungskontrolle das Brennstofflager geprüft und in Verdachtsfällen Ascheproben genommen. Denn Althölzer dürfen nur in dafür zugelassenen Anlagen mit entsprechenden Abgasreinigungssystemen verbrannt werden und nicht in Holzfeuerungen und Cheminées, wo neue PCB gebildet werden können.

9. Juni 2021