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Session: 20.10.2021

Seit Beginn des laufenden Jahres besteht in der Schweiz nebst dem 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub ein zehntägiger Vaterschaftsurlaub. Noch gibt es keine sogenannte Elternzeit (Elternschaftsurlaub) auf nationaler Ebene. Jedoch haben verschiedene grosse Firmen sie auf Betriebsebene eingeführt.

Graubünden kann sich im Standortwettbewerb der Kantone positionieren, indem der Kanton für die Frist, bis eine nationale Elternzeit greift, eine kantonale Elternzeit in Graubünden lanciert, welche die aktuellen nationalen Vaterschafts- und Mutterschaftsurlaube ergänzt. Davon profitieren sollen alle Arbeitnehmenden in Graubünden, die Eltern werden.

Damit würden gleich mehrere Verbesserungen für die Familien, die Wirtschaft und die Gesellschaft in Graubünden erreicht:

  • Der Bündner Fachkräftemangel wird bekämpft. Junge, gut ausgebildete Männer und Frauen werden nach Graubünden gelockt, da hier für junge Familien fortschrittliche Bedingungen geschaffen werden.
  • Die Elternzeit kann auch ein Beitrag für die kantonale Frühförderungsstrategie sein, da nun auch benachteiligte Familien sich intensiver um die Kinder kümmern können, ohne der Erwerbsarbeit nachrennen zu müssen.
  • Elternzeit ist eine Massnahme der Gleichstellungspolitik. Die Erfahrung in anderen Staaten zeigt, dass eine Elternzeit den Verbleib der Mutter im Beruf fördert.
  • Eine Elternzeit ist Familienförderung im besten Sinn und hat positive demographische Auswirkungen.

Je nach Dauer der Elternzeit sind die positiven Wirkungen stärker oder schwächer.

Eine Bündner Elternzeit soll sich an beide Eltern richten. Jeweils ein Abschnitt der Elternzeit ist für ein Elternteil reserviert. Beim Rest kann frei gewählt werden, wer diese Zeit bezieht.

Die Elternzeit kann mit Beiträgen der Arbeitnehmenden und -gebenden und/oder mit Beiträgen aus der Staatskasse finanziert werden.

Der Grosse Rat beauftragt die Regierung, eine Botschaft mit den gesetzlichen Grundlagen für eine kantonale Elternzeit im Sinne der obigen Erwägungen zu erstellen. Sie schlägt dabei ein Finanzierungsmodell und die Dauer der neuen kantonalen Elternzeit vor.

20. Oktober 2021

Schwärzel, Widmer (Felsberg), Cantieni, Atanes, Baselgia-Brunner, Cahenzli-Philipp, Caviezel (Chur), Degiacomi, Gartmann-Albin, Hofmann, Horrer, Müller (Felsberg), Noi-Togni, Perl, Preisig, Rettich, Rutishauser, Wilhelm, Pajic, Stieger, Tomaschett (Chur)

Antwort der Regierung

Die Geburt eines Kindes ist für die Eltern ein wichtiges und lebensveränderndes Ereignis. Zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und dem Schutz der Mutter und des Kindes haben erwerbstätige Eltern nach der Geburt des Kindes gemäss geltendem Bundesrecht Anspruch auf Mutter- und Vaterschaftsurlaub. Der bezahlte Mutterschaftsurlaub ist am 1. Juli 2005 in Kraft getreten, der Vaterschaftsurlaub am 1. Januar 2021. Das Anliegen einer Elternzeit ist auf Bundesebene in Diskussion.

Die Familienförderung, die frühe Förderung, die Gleichstellung von Mann und Frau sowie die Bekämpfung des Fachkräftemangels und die Standortattraktivität sind wichtige Anliegen dieses Auftrags, welche die Regierung unterstützt. Entsprechend haben diese Themen Eingang ins Regierungsprogramm 2021–2024 gefunden. Die Regierung arbeitet an konkreten Projekten, welche die Steigerung der Attraktivität des Wohn- und Arbeitsstandorts für Familien zum Ziel haben.

Der Erlass einer kantonalen gesetzlichen Regelung betreffend einen Elternurlaub für die Arbeitnehmenden in einem Kanton ist nur beschränkt möglich. Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts ist Sache des Bundes, während der Bund im Bereich des Arbeitnehmerschutzes von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Entsprechend verbleibt den Kantonen mit Blick auf die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse keine Befugnis, weitergehend zu legiferieren, insbesondere zusätzlich zu den bestehenden Urlauben gemäss Bundesrecht weitere Urlaube – welcher Art auch immer – rechtlich zu verankern. Das gilt sinngemäss auch bezüglich der Finanzierung über die Erwerbsersatzordnung. Soll den Kantonen die Möglichkeit eröffnet werden, einen Eltern- oder Vaterschaftsurlaub zu schaffen, müsste der Bundesgesetzgeber eine explizite Ermächtigung für kantonale Regelungen schaffen. Der kantonale – oder auch kommunale – Gesetzgeber ist aber befugt, für Arbeitnehmende mit einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsvertrag einen kantonalen oder kommunalen Urlaub einzuführen, der über die bundesrechtlichen Bestimmungen hinausgeht (vgl. dazu curia vista 20.320 sowie die Publikationen der eidgenössischen Kommission für Familienfragen EKFF, v.a. Elternzeit – Elterngeld, ein Modellvorschlag der EKFF für die Schweiz, Jahr 2010).

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass das eidgenössische Parlament der Standesinitiative des Kantons Jura «Bestimmungen zum Recht auf Eltern- oder Vaterschaftsurlaub und zu dessen Dauer - Allfällige Erlassung durch die Kantone (curia vista 20.320)» keine Folge gegeben hat. Diese forderte die Bundesversammlung auf, den Kantonen eine Regelungskompetenz für Eltern- und Vaterschaftsurlaub einzuräumen.

Hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Beurteilung einer Elternzeit besteht grosse Unsicherheit. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) hat im Juni 2021 ein Postulat eingereicht, in dem der Bundesrat gebeten wird ", eine volkswirtschaftliche Gesamt-Kosten-Nutzen-Analyse vorzulegen, welche die langfristigen volkswirtschaftlichen Auswirkungen von verschiedenen Elternzeitmodellen […] simuliert und abschätzt. […] Nach wie vor existiert keine volkswirtschaftliche Studie, welche in der Schweiz den Status Quo mit anderen Modellen vergleicht und simuliert, was volkswirtschaftlich am sinnvollsten wäre. […] Damit Parlament und zuständige Kommissionen eine evidenzbasierte Politik betreiben können, welche sich auf die langfristigen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen einer Massnahme abstützt, ist eine Analyse notwendig, die neben den breit diskutierten Kosten auch eine Abschätzung des Nutzens (z.B. in Form der zu erwartenden Veränderung der Erwerbsquoten und -pensen von Frauen und Männern, der Auswirkungen auf Steuereinnahmen, Sozialversicherungen, insbesondere Altersvorsorge und Ergänzungsleistungen, Sozialhilfe und Amortisation von Ausbildungskosten) vornimmt  (SGK-N, Postulat 21.3961)." Der Bundesrat hat beantragt, das Postulat anzunehmen. Der Nationalrat ist diesem Antrag im September 2021 gefolgt. Entscheidungsgrundlagen zu den Auswirkungen einer Elternzeit sind aufgrund dieses Postulats mittelfristig zu erwarten.

Die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine kantonale Elternzeit für alle Arbeitnehmenden wird mit Blick auf die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung rechtlich nicht möglich sein. Die Einführung einer Elternzeit nur für die kantonalen öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisse erachtet die Regierung für unangebracht. Das Thema der Elternzeit ist aber präsent, und auf Bundesebene sind diesbezüglich einige Entwicklungen im Gange.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag abzulehnen.

23. Dezember 2021