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Session: 16.02.2022

Art. 9 der Kantonsverfassung (KV) sieht das Stimm- und Wahlrecht ab dem vollendeten 18. Lebensjahr vor. Die Jugendsession Graubünden hat im April 2019 eine Petition zur Einführung von Stimmrechtsalter 16 eingereicht.

Auf Bundesebene wurde im Jahr 2021 ein Antrag der Staatspolitischen Kommission angenommen, welcher die Einführung des aktiven Stimmrechtsalters 16 auf Bundesebene fordert. Der Kanton Glarus etwa kennt das Stimmrechtsalter 16 bereits seit 2007. Sowohl der Bund als auch der Kanton Glarus wollen damit der heutigen frühen gesellschaftlichen Integration der Jugendlichen und ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber politischen Themen Rechnung tragen.

Die Schweiz ist kein Vorreiter, was die politische Partizipation von Jugendlichen betrifft. Österreich hat das Stimmrechtsalter 16 im Jahre 2007 eingeführt und Deutschland hat in mehr als 10 Bundesländern das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre gesenkt. Nun ist es für Graubünden an der Zeit, die demografischen Entwicklungen und das politische Interesse der Jugend zu würdigen und das aktive Stimmrechtsalter auf 16 Jahre zu senken.

Graubünden hat mit dem Lehrplan 21 den Grundstein für eine aktivere politische Partizipation der Jugendlichen gelegt. Der Lehrplan 21 bietet die Flexibilität, aktuelle politische Themen vermehrt und intensiver zu behandeln. Theoretisch sollen nationale, kantonale und kommunale politische Strukturen früher als jetzt erklärt werden - möglichst in der 1. und 2. Oberstufe.

Insbesondere nachfolgende Gründe sprechen für die Einführung des Stimmrechtsalter 16:

1. verstärktes politisches Gewicht der Jugend bei kantonalen/kommunalen Abstimmungen und Wahlen

Bei kommunalen wie auch kantonalen Angelegenheiten, welche die Jugend unter Umständen stark betreffen, wird sie momentan nur spärlich oder gar nicht in die regulären politischen Prozesse miteinbezogen.

2. gestärktes politisches Verantwortungsbewusstsein der Jugend

Die Jugend wird sich vermehrt der Wichtigkeit bewusst, die eigene Zukunft aktiv mitzugestalten. Schon während der Schulzeit werden die Jugendlichen miteinbezogen und wird vermehrt deren Interesse geweckt.

3. nötiges Verantwortungsbewusstsein in diesem Alter zumutbar

Mit 16 Jahren nehmen Jugendliche bereits hohe Verantwortung wahr und haben komplexe Beurteilungen vorzunehmen sowie Entscheidungen (Lehrstelle, Verkehr…) zu treffen. Politische Partizipation mit aktivem Stimm- und Wahlrecht ist demnach gut zumutbar.

4. frühe, ernsthafte Auseinandersetzung der Jugend mit Politik

Der Vorschlag bietet der minderjährigen Jugend ab dem abgeschlossenen 16. Lebensjahr mit Schweizer Bürgerrecht die Möglichkeit, nicht nur zu demonstrieren und die Meinung zu äussern, sondern sich politisch wirksam zu beteiligen. Der Gestaltungswunsch der Jugend ist am Beispiel der Klimademonstrationen so sichtbar wie seit Jahren nicht mehr. Aber auch die Corona-Debatte hat die Jugend bewegt und bei Jungparteien für Zulauf gesorgt. Die Digitalisierung und die Vorsorge sind weitere Themen, welche bei Jugendlichen hoch im Kurs stehen und für die sie sich engagieren. Anhand dieser Beispiele ist klar ersichtlich, dass das Interesse an aktuellen politischen Themen vorhanden ist und dass die Jugend sich engagieren möchte.

5. dem positiven Beispiel Kanton Glarus folgen

Der konservativ geprägte Kanton Glarus hat schon 2007 gezeigt, dass eine Umsetzung möglich ist und sich bewährt. Graubünden soll diesem positiven Beispiel folgen.

6. verstärkte Bindung zur Heimat

Die frühe, aktive Integration der minderjährigen Jugend in die kommunale Politik bietet die Möglichkeit, eine attraktive Zukunft mitzugestalten und die Bindung zum Heimatort zu stärken. Allfälliger Abwanderung könnte somit besser entgegengewirkt werden.

Die Unterzeichnenden erachten die verstärkte und aktive Integration der Jugend in die Politik als sehr wichtig und dringend. Eine Annahme und die weitere Ausarbeitung des Auftrages stärkt das politische Bewusstsein und das Milizsystem.

Aus all den vorgenannten Gründen wird die Regierung hiermit beauftragt, die Kantonsverfassung dahingehend zu ändern, dass im Kanton Graubünden wohnhafte Personen mit Schweizer Bürgerrecht ab dem vollendetem 16. Lebensjahr in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten über das aktive Wahl- und Stimmrecht verfügen.

Chur, 16. Februar 2022

Derungs, Müller (Felsberg), Favre Accola, Atanes, Baselgia-Brunner, Berther, Berweger, Brunold, Buchli-Mannhart, Cahenzli-Philipp, Caluori, Cantieni, Casutt-Derungs, Caviezel (Chur), Clalüna, Danuser, Degiacomi, Della Cà, Della Vedova, Deplazes (Rabius), Ellemunter, Epp, Felix, Florin-Caluori, Flütsch, Föhn, Gartmann-Albin, Geisseler, Hardegger, Hartmann-Conrad, Hofmann, Hohl, Holzinger-Loretz, Horrer, Jochum, Kappeler, Kohler, Kunfermann, Kuoni, Lamprecht, Loepfe, Loi, Märchy-Caduff, Michael (Donat), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Paterlini, Perl, Pfäffli, Preisig, Rettich, Ruckstuhl, Rutishauser, Salis, Sax, Schmid, Schutz, Stiffler, Thomann-Frank, Ulber, von Ballmoos, Weidmann, Wellig, Widmer-Spreiter (Chur), Wilhelm, Zanetti (Landquart), Bisaz, Bürgi-Büchel, Collenberg, Gujan-Dönier, Heini, Pajic, Spadarotto, Tomaschett (Chur)

Antwort der Regierung

Die Frage der Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre wurde in jüngerer Vergangenheit im Kanton Graubünden bereits mehrmals thematisiert. So lehnte der Grosse Rat zwei darauf abzielende parlamentarische Vorstösse in den Jahren 2007 und 2009 ab (vgl. GRP 6 I 2006/2007, S. 1220 ff.; GRP 2 I 2009/2010, S. 343 ff.). Eine von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Jungparteien lancierte Volksinitiative für Stimmrechtsalter 16 in Graubünden wurde nicht eingereicht (vgl. Kantonsamtsblatt Nr. 14 vom 9. April 2009, S. 1394). Die Forderung wurde in der Folge von den Jugendsessionen 2016 und 2019 wieder aufgenommen; die eingereichten Petitionen wurden von der Regierung ablehnend beantwortet (vgl. Regierungsbeschlüsse vom 16. August 2016, Prot. Nr. 731/2016 und vom 18. Juni 2019, Prot. Nr. 461/2019). Die Ausgangslage hat sich seither zwar nicht grundlegend geändert. Nach wie vor nicht ganz unproblematisch sieht die Regierung das Stimmrechtsalter 16, weil dadurch die zivilrechtliche von der politischen Mündigkeit abweichen würde. Zudem würde eine unterschiedliche Altersschwelle für das aktive und das passive Wahlrecht geschaffen. Auf der anderen Seite ist die politische Unterstützung für das Anliegen in Graubünden in den letzten Jahren gestiegen.

Ein interkantonaler Vergleich zeigt, dass heute einzig der Kanton Glarus das Stimmrechtsalter 16 kennt. In anderen Kantonen wurden in den letzten Jahren Vorlagen zum Stimmrechtsalter 16 vom Stimmvolk stets abgelehnt. Jüngst im Kanton Neuenburg im Februar 2020 und im Kanton Uri im September 2021. Der Kantonsrat von Luzern hat sich im Dezember 2021 gegen die Einführung des Stimmrechtsalter 16 ausgesprochen, gleiches tat der Kantonsrat Zug im Juli 2021.

Eine Studie des Zentrums für Demokratie Aarau aus dem Jahr 2021 zur Frage der politischen Beteiligung im Kanton Glarus (Philippe E. Rochat und Daniel Kübler, Die politische Beteiligung im Kanton Glarus, Mai 2021, Zusatzauswertung) kommt zum Schluss, dass das Interesse an kommunaler und kantonaler Politik in dieser Altersstufe eher unterdurchschnittlich sei, während ihr Interesse an der internationalen Politik in etwa gleich wie bei den älteren Befragten sei. Gesamthaft betrachtet sei eher von einer tiefen Partizipationswahrscheinlichkeit auszugehen, wobei das Ergebnis aufgrund der geringen Anzahl der Befragten mit Vorsicht zu geniessen sei.

Dies bestärkt die Regierung in ihrer Auffassung, dass die Zeitspanne zwischen dem 16. und 18. Altersjahr auch dazu genutzt werden sollte, den Jugendlichen politische Inhalte und Kenntnisse im schulischen Umfeld näherzubringen und ihre politischen Kompetenzen zu fördern.

Die Regierung anerkennt die breite politische Unterstützung für das Anliegen im Grossen Rat, welche mit vorliegendem Auftrag zum Ausdruck gebracht wird. Vor diesem Hintergrund und der aktiven Diskussionen in anderen Kantonen und auf Bundesebene will sie sich den Bestrebungen, die politische Partizipation der Jugendlichen zu erhöhen, nicht verweigern. Sie ist deshalb bereit, den vorliegenden Auftrag entgegenzunehmen und dem Grossen Rat eine Änderung der Kantonsverfassung zu unterbreiten, die für die kommunalen und kantonalen Angelegenheiten das aktive Stimm- und Wahlrecht 16 vorsieht. 

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag zu überweisen.

21. April 2022