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Session: 03.09.2022

Die laufend erarbeiteten Wald-Wildberichte des Kantons Graubünden zeigen in aller Deutlichkeit, dass weite Teile des Bündner Walds infolge überhöhter Schalenwildbestände besorgniserregende Verjüngungsdefizite aufweisen. Dies ist angesichts des Klimawandels besonders gravierend. Denn das Schalenwild geht in hohem Masse diejenigen einheimischen Baumarten an, denen eine tragende Rolle im zukünftigen Schutzwald zugeschrieben wird, beispielsweise die Weisstanne sowie Laubbäume wie Eiche, Linde und Ahorn.

Anhand monetärer Bewertungen der Wildschäden, welche fallweise in den Wald-Wildberichten enthalten sind, werden die Kosten abgeschätzt, die entstehen werden, um unter dem aktuellen Wildeinfluss die Schutzwirkung der Bündner Wälder in Zukunft aufrecht zu erhalten. Darauf basierende Hochrechnungen ergeben, dass die Waldbesitzer und die öffentliche Hand nicht nur für Wildschutzmassnahmen, sondern für Verbauungen und Notmassnahmen in Schutzwäldern in den nächsten 50 Jahren rund eine halbe Milliarde Franken investieren müssten.

Als Folge dieser beunruhigenden Perspektive hat die Regierung am 13. August 2021 die «Strategie Lebensraum Wald-Wild 2021» https://www.gr.ch/DE/Medien/Mitteilungen/MMStaka/2021/Seiten/2021081301.aspx verabschiedet. Um die darin formulierten Ziele erreichen zu können, werden mehrere Massnahmen formuliert. Ein zentrales Element dabei ist die Reduktion der überhöhten Schalenwildbestände. Dies bedeutet ein Paradigmenwechsel in der Jagdpolitik. Deshalb bedarf es einer guten Information der Anspruchsgruppen aus Forst und Jagd. Aber auch in der breiten Gesellschaft muss das Bewusstsein für die Problematik der Wildschäden im Schutzwald, die Notwendigkeit der Reduktion der Wildbestände und die Bedeutung der Jagd gefördert werden. So wurde die Strategie den Bündner Waldeigentümern anlässlich ihrer Generalversammlung bereits im August 2021 eingehend vorgestellt.

Wichtig für den Erfolg der Strategie ist also, dass die Reduktion der Wildbestände in der Jagdplanung ihren Niederschlag erfährt und von der Jägerschaft umgesetzt wird. Nun wird aber bereits in diesem Jahr auf Antrag der Delegiertenversammlung des Bündner Kantonaler Patentjäger-Verband BKPJV die Dauer der Sonderjagd im November und Dezember pro Hirschregion auf maximal 10 halbe Tage beschränkt, d. h. gegenüber dem Vorjahr wieder reduziert, wie in der Einleitung zu den Jagdbetriebvorschriften 2022 https://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/diem/ajf/recht/Documents/JBV%202022_dt_Web.pdf unter Punkt 5 zu entnehmen ist. Eine länger dauernde Jagd ist ausschliesslich auf ausgeschiedenen Wald-Wild-Problemflächen zugelassen. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der Hirsch ein ausgesprochen mobiles Verhalten in Raum und Zeit aufweist. So entstehen Schäden oft durch Zuwanderung von Tieren aus benachbarten Hirschregionen. Die Jagd auf den Hirsch sollte deshalb über alle Regionen und genügend lange durchgeführt werden.

Die Unterzeichnenden stellen der Regierung die folgenden Fragen:

  1. In welcher Form hat der Kanton neben den Waldbesitzern auch die Jägerschaft und die breite Öffentlichkeit über die neue «Strategie Lebensraum Wald-Wild 2021» informiert, insbesondere über die Notwendigkeit der Reduktion der Wildbestände, und wie wird dieser Informationsfluss in Zukunft sichergestellt?
  2. Sieht die Regierung in der Verkürzung der Dauer der Sonderjagd des Hirsches keinen Widerspruch zur «Strategie Lebensraum Wald-Wild 2021»?
  3. Wie berücksichtigt die Regierung in der Jagd vom November/Dezember die zeitlich variable Wanderschaft der Hirsche, damit die Abschusspläne entsprechend der «Strategie Lebensraum Wald-Wild 2021» erfüllt werden?

Chur, 3. September 2022

Natter, Kreiliger, von Ballmoos, Altmann, Atanes, Bachmann, Bardill, Baselgia-Brunner, Bavier, Berther, Berweger, Biert, Bischof, Bleuler-Jenny, Cahenzli (Trin Mulin), Cahenzli-Philipp (Untervaz), Censi, Danuser (Chur), Danuser (Cazis), Degiacomi, Della Cà, Epp, Gredig, Hartmann, Hoch, Hohl, Jochum, Kaiser, Kappeler, Kienz, Kohler, Lamprecht, Loepfe, Maissen, Mazzetta, Michael (Donat), Mittner, Nicolay, Oesch, Perl, Preisig, Rageth, Rodigari, Rusch Nigg, Rutishauser, Sax, Schutz, Walser, Wieland, Wilhelm, Zanetti (Landquart)

Antwort der Regierung

Die "Strategie Lebensraum Wald-Wild 2021" ist der Grundbaustein, um die Wald-Wild-Situation im Kanton Graubünden bis 2035 etappenweise zu verbessern. Mit der Reduktion bzw. Regulierung der Wildbestände muss die Jagd einen wichtigen Beitrag zur Zielerreichung leisten. Die Entwicklung der Frühlingsbestände der vergangenen drei Jahre (2020-2022) zeigt, dass die Trendwende eingeleitet und der kantonale Hirschbestand rückläufig ist. Die Erreichung der jagdlichen Ziele gemäss Strategie Lebensraum Wald-Wild hat für das Amt für Jagd und Fischerei (AJF) weiterhin hohe Priorität. Allein durch die jagdliche Regulierung der Wildbestände können die Wald-Wild-Probleme aber nicht gelöst werden. Es ist erwiesen, dass ebenso waldbauliche Massnahmen und die Sicherstellung ungestörter und geeigneter Lebensräume entscheidend und zur Verbesserung der Wald-Wild-Situation vonnöten sind.

Zu Frage 1: Die "Strategie Lebensraum Wald-Wild 2021" wurde mittels Medienmitteilung kommuniziert. Das AJF orientiert die breite Öffentlichkeit und die Jägerschaft regelmässig in Medienmitteilungen, in Fachbeiträgen und Vorträgen zu Themen der Jagd. Aktuell arbeiten das Amt für Wald und Naturgefahren (AWN) und das AJF mit externer Unterstützung an einem einheitlichen Kommunikationskonzept, um den Informationsfluss langfristig sicherzustellen. Schliesslich kommt neben dem Kanton auch den Gemeinden als Waldeigentümerinnen eine wichtige Funktion nicht nur in der Sensibilisierung der Bevölkerung, sondern auch im proaktiven Schutz des Waldes zu.

Zu Frage 2: Der Richtwert von zehn Sonderjagdtagen mit der Möglichkeit, diese lokal in Wald-Wild-Problemgebieten zu verlängern, ist aus wildbiologischer, tierschützerischer und jagdplanerischer Sicht sinnvoll und steht im Einklang mit der "Strategie Lebensraum Wald-Wild 2021". Demgegenüber beeinträchtigt eine grossräumige Verlängerung der Jagd ungeachtet der äusseren Bedingungen den hohen tierschützerischen, ethischen und ökologischen Standard der Bündner Jagd und steht somit im Widerspruch mit der Strategie (mit dem zweiten Oberziel). Eine generelle Verlängerung der Sonderjagd, wie sie im Jahr 2021 anberaumt worden war, hat ausserdem gezeigt, dass eine solche Verlängerung nicht nur unverhältnismässig grosse Störungen in den Winterlebensräumen verursacht, sondern auch bei der Jägerschaft und der Bevölkerung auf Unverständnis stösst. Ausserdem bringt sie die Jägerschaft an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, was sich in der Bescheidenheit der Jagdstrecke nach dem zehnten Jagdtag gezeigt hat. Für die mittel- bis langfristige Erreichung der jagdlichen Ziele ist entscheidend, dass die Jägerschaft von den jagdlichen Massnahmen überzeugt ist und die Umsetzung auch realistisch ist.

Zu Frage 3: Die Hirschwanderung stellt für die Planung der Jagd in Graubünden eine grosse Herausforderung dar. In Jahren mit üblichen Wanderbewegungen funktioniert die Sonderjagd sehr gut und die Abschusspläne können nach der Zuwanderung der Hirsche in die Wintereinstände effizient erfüllt werden. Je nach Wetterlage oder Grossraubtiersituation kann es sein, dass die Hirsche erst nach dem 20. Dezember oder gar nicht in die Wintereinstände wandern. Damit sie sich trotzdem nicht dem Jagddruck entziehen und die Abschusspläne erfüllt werden können, wird der Start der Sonderjagd massgeblich durch den Status der Wanderbewegungen bestimmt und den Witterungsverhältnissen angepasst. Die dafür notwendige Flexibilität wird dem Fachdepartement durch die kantonale Jagdgesetzgebung eingeräumt.

28. Oktober 2022