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Session: 03.09.2022

Im Sommer 2022 mussten wir im Kanton Graubünden vermehrt die Anwesenheit und das Aufkommen des Gänsegeiers sowie Schäden im Rahmen der Weidehaltung bei Nutztieren feststellen. Ein Wachstum der Gänsegeierpopulation wird in Zukunft auch die Schäden bei der Nutztierhaltung erhöhen und die natürliche Weidehaltung belasten und erschweren.

Deshalb stellen wir folgende Fragen an die Regierung:

  1. Was unternimmt die Regierung gegen das steigende Aufkommen des Gänsegeiers?
  2. Hat der Kanton aktuelle Zahlen der Population? Wie beurteilt die Regierung die Populationsentwicklung in Zahlen in den nächsten Jahren?
  3. Welche Möglichkeit der Regulation hat der Kanton gegenüber der Gänsegeierpopulation?
  4. Welche Auswirkung hat der Gänsegeier auf die einheimische Vogelpopulation?

Chur, 3. September 2022

Roffler, Sgier, Beeli, Brandenburger, Brunold, Butzerin, Candrian, Casutt, Cortesi, Crameri (Surava), Della Cà, Derungs, Dürler, Favre Accola, Gort, Grass, Hefti, Hug, Krättli, Lamprecht, Lehner, Loi, Luzio, Menghini-Inauen, Messmer-Blumer, Michael (Donat), Morf, Righetti, Salis, Schutz, Stocker, Tanner, Tomaschett, Weber, Wieland, Zanetti (Sent)

Antwort der Regierung

Gänsegeier sind spezialisierte Aasfresser und bestens auf das Ausnehmen von Kadavern angepasst. Ganz selten werden lebende Tiere von Gänsegeiern angegangen. Davon betroffen sind in der weit überwiegenden Zahl junge und geschwächte Tiere.

Zu Frage 1: Das Amt für Jagd und Fischerei verfolgt die Einflüge der nichtbrütenden Gänsegeier in den Sommermonaten seit Jahren. Es dokumentiert und untersucht diese sowie die damit einhergehenden Übergriffe auf Nutztiere und erfasst die Daten im Meldesystem der Schweizerischen Vogelwarte Sempach (ornitho.ch). In Graubünden werden seit knapp 20 Jahren regelmässig Gänsegeier beobachtet. 2022 traten erstmals Grossgruppen von bis zu 70 Vögeln auf. Sie suchten während der Sömmerungszeit die verschiedenen Gebiete mit vorangegangenen Wolfsrissen auf (Val Cristallina, Scharboda, Stutzalp, Val Curciusa, Calfeisental, Klosters etc.). Welchen Einfluss ein Wachstum der Gänsegeierpopulation in Zukunft auf die Nutztierhaltung und insbesondere auf die natürliche Weidehaltung haben wird, ist zurzeit nicht abschätzbar. Die Regierung beobachtet die weitere Entwicklung mit der nötigen Aufmerksamkeit.

 Zu Frage 2: Gänsegeierpopulationen bestehen in den französischen Westalpen, Cevennen und dem Massif centrale. Dort haben die Gänsegeier-Bestände in den letzten 30 Jahren auch infolge Aussetzungsprogrammen in Nationalpärken stark zugenommen. In Frankreich sieht die Populationsentwicklung wie folgt aus: 350 Brutpaare (Bp.) im Jahr 2000, 450 Bp. im Jahr 2006 und 640 Bp. im Jahr 2020. Weil die Gänsegeier in der Schweiz beziehungsweise in den Zentralalpen nicht brüten, hat sich bei uns keine Population etabliert. Noch nicht geschlechtsreife Gänsegeier schliessen sich aber zu Gruppen zusammen (auch mit jungen Mönchsgeiern) und durchstreifen zusammen weite Teile der Alpen. Bis anhin waren aus Zentraleuropa solche Sommereinflüge fast nur aus den Salzburger Alpen bekannt, wo Tiere aus der Balkanpopulation auftraten. Aufgrund des Wachstums der Populationen in Frankreich steigt die Anzahl der umherstreifenden Individuen auch in der Schweiz. Es ist anzunehmen, dass die Anzahl Brutpaare in Frankreich und die Schwärme der Nichtbrüter in der Schweiz und in Graubünden weiter zunehmen werden.

Zu Frage 3: Da es sich um eine geschützte Tierart handelt, hat der Kanton keine Möglichkeit, diese Bestände zu regulieren. Bei Beobachtung von Übergriffen auf lebende Nutztiere ist vorgesehen, Vergrämungsmassnahmen anzuwenden.

Zu Frage 4: Der Gänsegeier komplettiert zusammen mit dem seltener beobachteten Mönchsgeier die Gemeinschaft der aasfressenden Vogelgemeinschaft der Alpen, die sich bisher zusammensetzte aus: Steinadler, Rot- und Schwarzmilan, Kolkrabe, Rabenkrähe, Alpendohle und Bartgeier. Da jede Art ihre ökologische Nische besetzt und weil der Gänsegeier auf ein grosses Angebot von Tierkadavern angewiesen ist, werden sich der Einflug und die Konkurrenzsituationen in Grenzen halten. Der in Graubünden brütende Bartgeier wird auch durch das verstärkte Auftreten des Gänsegeiers kaum gestört, weil sich der Bartgeier auf den letzten Abschnitt der Kadaverwertung, das Fressen von Knochen, spezialisiert hat.

28. Oktober 2022