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Session: 07.12.2022

Im öffentlichen Beschaffungswesen steht Unterlegenen im Einladungsverfahren und im Offenen respektive Selektiven Verfahren ein Beschwerderecht an das Verwaltungsgericht zu. Wird eine Beschwerde eingereicht, wird üblicherweise gleichzeitig ein Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Eine Frist bezüglich des Entscheids zur aufschiebenden Wirkung kennt die bündnerische Gesetzgebung nicht. Ein solcher Entscheid kann Monate dauern, was für alle Beteiligten eine erhebliche Rechtsunsicherheit bedeutet und zu möglicherweise folgenschweren Verzögerungen führt.

Im Kanton St. Gallen ist in der Verordnung SGS 841.11 VöB über das öffentliche Beschaffungswesen festgehalten, dass der Präsident des Verwaltungsgerichts grundsätzlich innert einer Ordnungsfrist von 10 Tagen nach Eingang der Beschwerde über das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden hat.

In der Absicht, Beschwerdeverfahren zu beschleunigen, ersuchen die Unterzeichnenden die Regierung, folgende Fragen zu beantworten:

  1. Teilt die Regierung die Ansicht, dass sich ein Entscheid über aufschiebende Wirkung durch das Verwaltungsgericht nicht über Monate hinziehen soll?
  2. Welche Möglichkeiten sieht die Regierung, um Entscheide des Verwaltungsgerichts über die aufschiebende Wirkung zu beschleunigen?
  3. Welche Vorschläge leitet die Regierung daraus folgend zuhanden der Legislative ab?

Chur, 7. Dezember 2022

Kappeler, Loepfe, Kuoni, Altmann, Berther, Berweger, Binkert, Bischof, Brandenburger, Collenberg, Danuser (Chur), Della Cà, Derungs, Föhn, Gansner, Hartmann, Hohl, Jochum, Kasper, Kohler, Lamprecht, Loi, Luzio, Maissen, Mittner, Oesch, Pajic, Perl, Rageth, Rutishauser, Saratz Cazin, Schutz, Stiffler, Tanner, Thür-Suter, von Ballmoos, Walther, Wieland, Zindel

Antwort der Regierung

Gemäss der neuen Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB; BR 803.710) kann das kantonale Verwaltungsgericht – wie nach bisherigem Recht – einer Beschwerde auf Gesuch hin aufschiebende Wirkung gewähren, wenn die Beschwerde als ausreichend begründet erscheint und keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Zur Beurteilung der Begründetheit einer Beschwerde muss der entscheidrelevante Sachverhalt erstellt sowie eine erste rechtliche Abwägung auf Basis teils umfangreicher Akten von der Instruktionsrichterin bzw. dem Instruktionsrichter vorgenommen werden, was ein gewisses Mindestmass an Zeit erfordert. Mit dem Entscheid zur aufschiebenden Wirkung wird dabei in nicht unerheblichem Masse dem Hauptentscheid vorgegriffen, der vom Gesamtgericht in 3er- oder 5er-Besetzung gefällt wird. Eine spezielle Ordnungsfrist bezüglich des Entscheids zur aufschiebenden Wirkung sehen weder die revidierte IVöB noch das mit den Kantonen harmonisierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB; SR 172.056.1) vor. Soweit ersichtlich wird ausschliesslich der Kanton St. Gallen künftig eine derartige Vorgabe kennen. Die aufschiebende Wirkung erlaubt es den Beschwerdeführenden, die eigenen Chancen auf den Zuschlag aufrechtzuerhalten. Eine vom Gericht gewährte aufschiebende Wirkung kann demgegenüber unter Umständen wichtige und dringliche Beschaffungsprojekte verzögern. Wird dem Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung hingegen nicht stattgegeben, verengt sich der Rechtsschutz der Beschwerdeführenden auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit, das heisst, der Zuschlagserhalt an sich ist für sie nicht mehr erreichbar. Der Entscheid über Erteilung oder Ablehnung der aufschiebenden Wirkung bedarf somit einer sorgfältigen Abwägung und darf mithin nicht voreilig getroffen werden.

Zu Frage 1: Die Regierung teilt die Ansicht, dass sich der Entscheid zur aufschiebenden Wirkung, aber auch der Entscheid in der Hauptsache, nicht übermässig hinziehen sollte. Dies ist aber auch nicht der Fall. Das bündnerische Verwaltungsgericht gewährt einer Beschwerde – wie die übrigen kantonalen Gerichte – praxisgemäss sofort superprovisorisch die aufschiebende Wirkung, hemmt dadurch die Wirkung des Zuschlags und fordert die Parteien gleichzeitig zur Stellungnahme auf. Zeigt sich im Rahmen des Schriftenwechsels ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Nichtgewährung (z.B. hohe Unfallträchtigkeit des betroffenen Strassenabschnitts), so entzieht das Verwaltungsgericht mittels eines zeitnah eröffneten Zwischenentscheids der Beschwerde die aufschiebende Wirkung und ermöglicht eine Vertragsunterzeichnung. In den übrigen Fällen lässt es den superprovisorisch angeordneten Verfahrenszustand in der Schwebe und fällt nach Abschluss des Schriftenwechsels gleich den Entscheid zur Hauptsache. Bei einer normalen Beschwerde wird das Urteil gemäss Auskunft des Verwaltungsgerichts im Schnitt innert rund drei Monaten ab Beschwerdeeingang den Parteien mitgeteilt. Dies ist im Kantonsvergleich und insbesondere im Vergleich zum Bund als sehr kurz zu bezeichnen.

Zu Frage 2: Die Regierung erachtet die verwaltungsgerichtliche Praxis als verfahrensökonomisch und speditiv. Ein separater Entscheid zur aufschiebenden Wirkung trägt nicht in jedem Fall zur Beschleunigung bei, da auch gegen diesen Zwischenentscheid ein Rechtsmittel besteht, dessen Ergreifung das Verfahren verlängert. Zu einer raschen Entscheidfindung können indes auch die Parteien beitragen. So ist es in der Regel zielführender, wenn sich die Beschaffungsstellen nur bei ausgewiesener Dringlichkeit gegen die Gewährung der aufschiebenden Wirkung bei den von ihnen meist von langer Hand geplanten Projekten stellen und stattdessen einen möglichst raschen Entscheid in der Hauptsache beantragen. Die Beschwerdeführenden können ihrerseits zur Zurückhaltung diszipliniert werden, indem die öffentlichen Auftraggeber und berücksichtigte Anbieter die ihnen gemäss IVöB zustehenden Schadenersatzansprüche bei rechtsmissbräuchlichen oder treuwidrigen Gesuchen durchsetzen.

Zu Frage 3: Die Regierung beurteilt die von den Kantonen und dem Bund in der IVöB und BöB erarbeiteten Rechtsschutzbestimmungen als sehr ausgewogen und sieht keinen Bedarf zur Unterbreitung von Revisionsvorschlägen zuhanden der Legislative. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die zwischen Bund und Kantonen erreichte Harmonisierung des Vergaberechts eines der Hauptziele war und jegliche Alleingänge oder abweichende Regelungen der Kantone kritisch zu beurteilen sind.

1. März 2023