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Session: 07.12.2022

In Folge der nationalen Abstimmung des 3. März 2013 bezüglich Revision des Raumplanungsgesetzes hat der Bundesrat dieses Gesetz am 1. Mai 2014 in Kraft gesetzt. Seither ist einige Zeit vergangen und vielen Bündner Gemeinden und Grundeigentümern ist erst viel später bewusst geworden, was dieses Gesetz alles für Auswirkungen hat.

In Graubünden haben fast 70 Gemeinden geschätzte 100 Hektaren Bauland auszuzonen. Gehen wir von einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 200 Franken aus, so haben wir einen Verlust von 200 Millionen Franken.

Liegt tatsächlich eine Auszonung vor, muss diese rechtlich zudem als materielle Enteignung qualifiziert werden, damit ein Entschädigungsanspruch besteht. Eine materielle Enteignung ist dann gegeben, wenn der bisherige oder der zukünftige Gebrauch des Grundstückes besonders stark eingeschränkt ist. Dies trifft nur auf die wenigsten auszuzonenden Bauparzellen zu und somit kann schon jetzt gesagt werden, dass die meisten zukünftigen enteigneten Grundeigentümer keine Entschädigung kriegen werden.

Der Umstand, dass ein grosser Teil der bald zu enteignenden Grundeigentümer sich dessen wohl nicht bewusst ist, da stets beschwichtigt wurde und auf eine etwaige Entschädigung hingewiesen wird, ist nicht befriedigend und irreführend.

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen gelangen die Unterzeichnenden mit folgenden Fragen an die Regierung:

  1. Wie schätzt die Regierung ein, wie gross der Anteil der zu enteignenden Grundeigentümer ist, die keine Entschädigung erhalten werden?
  2. Wie und wann gedenkt die Regierung diesen Umstand dieser hoch emotionalen Angelegenheit offen zu kommunizieren?

Chur, 7. Dezember 2022

Luzio, Bergamin, Saratz Cazin, Altmann, Beeli, Berther, Berweger, Brandenburger, Bundi, Cahenzli (Trin Mulin), Censi, Claus, Collenberg, Crameri, Danuser (Chur), Della Cà, Derungs, Epp, Furger, Gansner, Hartmann, Hohl, Holzinger-Loretz, Hug, Jochum, Kasper, Kienz, Koch, Kocher, Kuoni, Lamprecht, Loi, Mani, Menghini-Inauen, Michael (Donat), Natter, Pfäffli, Righetti, Rodigari, Rüegg, Schutz, Sgier, Spagnolatti, Stiffler, Thür-Suter, Tomaschett, Ulber, Wieland

Antwort der Regierung

Art. 5 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG; SR 700) bestätigt den bereits in Art. 26 Abs. 2 der Bundesverfassung (SR 101) festgelegten Grundsatz, dass das Gemeinwesen volle Entschädigung schuldet, wenn eine von ihm gesetzte planerische Massnahme zu einer Eigentumsbeschränkung führt, die einer Enteignung gleichkommt. Damit hat der Gesetzgeber einen einheitlichen bundesrechtlichen Begriff der materiellen Enteignung geschaffen, weshalb kein Raum mehr für abweichendes kantonales Entschädigungsrecht besteht. Den Kantonen ist es namentlich verwehrt, den Begriff der materiellen Enteignung grosszügiger zu fassen oder höhere Entschädigungen vorzusehen als das Bundesrecht bzw. die bundesgerichtliche Rechtsprechung es tut (vgl. Riva, Praxiskommentar RPG: Nutzungsplanung, Aemisegger et al. [Hrsg.], 2016, N 133 zu Art. 5; Urteil des BGer 1A.104/2000, E. 5 m.w.H.). Dementsprechend geht bereits aus der Botschaft zur ersten Etappe der Revision des RPG (RPG 1) hervor, dass infolge Auszonungen allfällige Entschädigungsforderungen aus materieller Enteignung entstehen können (BBl 2010 1079). Noch deutlicher wurde dies dann in der Botschaft zur Revision des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden (KRG; BR 801.100) im Jahr 2018 ausgedrückt, wonach "es seitens ausgezonter Grundeigentümerinnen resp. Grundeigentümer […] keine Entschädigungsansprüche unterhalb der Schwelle der materiellen Enteignung gibt" (Heft Nr. 5/2018-2019, S. 397). Anhang 5 der Botschaft enthält zudem ein Merkblatt zur Entschädigungspflicht bei Auszonungen (materielle Enteignung). Diese Hinweise wurde in der parlamentarischen Beratung vom 24. und 25. Oktober 2018 wiederholt aufgegriffen; bereits in der Eintretensdebatte wurde festgestellt, dass "Auszonungen, die die Kriterien der materiellen Enteignung erfüllen, entschädigt werden, alle anderen nicht" (Votum Jochum, Grossratsprotokoll Oktober 2018, S. 386). Die hohen Hürden für eine materielle Enteignung und die Warnung vor falschen Erwartungen wurden deutlich benannt (vgl. Votum Hug, Grossratsprotokoll Oktober 2018, S. 436). Die Mitglieder des Grossen Rates und die interessierte Öffentlichkeit waren demnach über die Rechtslage informiert.

Die Beurteilung, ob eine Planungsmassnahme zu einer Entschädigungspflicht wegen materieller Enteignung führt, erfolgt anhand verschiedener, von der Rechtsprechung entwickelter Kriterien. Dabei sind insbesondere folgende drei Punkte zentral: a) der Erschliessungsgrad des auszuzonenden Grundstücks (Baureife): je höher der Erschliessungsgrad ist, desto eher bejaht die Rechtsprechung eine materielle Enteignung; b) die Bundesrechtskonformität des geltenden Zonenplans: die vorbestehende Berechtigung zum Bauen kann nur dort als wesentliche Eigentumsbefugnis gewertet werden, wo sie auf einer mit dem RPG übereinstimmenden Nutzungsplanung beruhte; c) die Hortungsdauer: je länger eine Grundeigentümerin resp. ein Grundeigentümer eingezontes Land hortet, desto eher wird eine materielle Enteignung verneint, zumal nach Ablauf einer Planungsperiode jeder mit einer Überprüfung des Zonenplans rechnen muss.

Die genannten Kriterien sind aufgrund der konkreten Umstände im Einzelfall zu prüfen. Sie lassen daher keine allgemeingültigen Rückschlüsse auf zukünftige Fälle zu. Es kann also nicht generell festgestellt werden, wann eine Auszonung zu einer Entschädigungspflicht wegen materieller Enteignung führt. Die Zuständigkeit für die Beurteilung der materiellen Enteignung liegt im Übrigen bei den Enteignungskommissionen resp. den Gerichten (Art. 98 Abs. 4 KRG).

Zu Frage 1: Wie ausgeführt, lassen sich die Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer, die eine Entschädigung erhalten, erst im konkreten Einzelfall durch die Enteignungskommissionen resp. die Gerichte bestimmen. Die Regierung kann diesbezüglich keine Prognose abgeben.

Zu Frage 2: Die vorgenannten Materialien zur Revision des KRG im Jahr 2018 (Botschaft, Grossratsprotokoll) sind öffentlich einsehbar. Die Gemeinden wurden umfassend informiert und sind in der Lage, allfällig betroffene Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer im Rahmen konkreter Ortsplanungen detailliert zu orientieren. Die Regierung ist daher der Ansicht, dass die Information der interessierten Öffentlichkeit ausreichend erfolgt ist und sieht deshalb keine Notwendigkeit für eine erneute Kommunikation durch den Kanton.

16. Februar 2023