Navigation

Inhaltsbereich

Session: 15.06.2023

Die Aussage der Regierung auf die Fraktionsanfrage der SVP betreffend "Beschaffungskriminalität im Raum Chur", wonach sich die Situation auf dem Gebiet der Stadt Chur generell nicht verschlechtert habe und die Szene im Stadtpark seit zwei Jahren auf hohem Niveau stabil sei, steht in grossem Kontrast zu Mitteilungen der Kantonspolizei, des Vereins Überlebenshilfe sowie der Stadt Chur.

Die Zahlen aus dem Reporting Drogenszene der Stadt Chur sprechen dabei eine überaus deutliche Sprache: Sowohl die Einsätze der Stadtpolizei auf Meldung wie auch die Spritzenfunde haben sich gegenüber dem Vorjahr praktisch vervierfacht, die Anzahl Personen ohne festen Wohnsitz hat sich verdoppelt und die Anzahl Personen im Stadtgarten hat in diesem Zeitraum gemäss Angaben des Vereins Überlebenshilfe und der Stadtpolizei um rund 20 bis 30 Prozent zugenommen. Diese Zahlen werden dem Kanton monatlich zugestellt.

Gemäss Medienmitteilung des Kantons und Präsentation der Kantonspolizei zur Kriminalitätsstatistik 2022 vom 17. März 2023 hängt die Deliktzunahme bei strafbaren Handlungen vor allem mit der Beschaffungskriminalität der wachsenden Churer Drogenszene zusammen, welche «den Konsum über Delikte finanziere». Gemäss Aussage eines Verantwortlichen der Kantonspolizei schädigten einzelne Personen aus der Drogenszene 40 bis 50 Personen bis etwas geschehe. Die Kantonspolizei wäre durchaus froh, wenn das Gesetz mehr Mittel zulassen würde.

Zu bemerken ist, dass sowohl Fachleute wie auch (ehemalige) Betroffene darauf hinweisen, dass sich auch für die suchterkrankten Menschen durchaus Chancen ergeben, wenn sie eher früher als später in den Strafvollzug gehen müssen. Dies gibt ihnen eine Auszeit, welche immer wieder für einen Ausstieg aus dem Teufelskreis der Sucht genutzt werden kann.

Die Unterzeichnenden beauftragen die Regierung, die Massnahmen gegen die Beschaffungskriminalität der Drogenszene deutlich zu verstärken. Dies soll einerseits durch grösstmögliches Ausnützen des bestehenden gesetzlichen Rahmens erfolgen. Andererseits soll die Regierung allenfalls notwendige gesetzliche Anpassungen vorschlagen, um den Strafverfolgungsbehörden mehr Mittel in die Hand zu geben.

Klosters, 15. Juni 2023

Adank, Degiacomi, Crameri, Bärtsch, Berweger, Bisculm Jörg, Brandenburger, Bundi, Butzerin, Candrian, Casutt, Cola Casaulta, Cortesi, Della Cà, Dietrich, Dürler, Favre Accola, Föhn, Furger, Gansner, Gort, Grass, Heini, Hoch, Hohl, Hug, Kappeler, Koch, Krättli, Lehner, Maissen, Menghini-Inauen, Metzger, Morf, Natter, Oesch, Rauch, Rettich, Righetti, Roffler, Sgier, Stocker, Thür-Suter, von Ballmoos, Walser

Antwort der Regierung

Zu Punkt 1: Mit dem Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB; SR 311.0) und der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) ist das massgebende Recht soweit für die vorliegende Fragestellung relevant auf Bundesebene geregelt. Kantonale gesetzliche Regelungen, die dem widersprechen, sind unzulässig. Gemäss Bundesrat reichen die Instrumente, welche die StPO vorsieht, aus, um Straftaten rasch und effizient zu beurteilen. Die langjährige Praxis zeige, dass insbesondere im Rahmen des Strafbefehlsverfahrens (Art. 352 ff. StPO) durchaus ein eigentliches "Schnellverfahren" durchgeführt und innert kürzester Zeit ein Strafbefehl erlassen werden kann (vgl. Antwort des Bundesrats vom 14. August 2019 zur Motion 19.3433: Nationalrat Jean-Luc Addor: Schaffung von Schnellgerichten in der Schweiz). Gemäss Bundesrat besteht im Bundesrecht kein Handlungsbedarf, was der Nationalrat am 9. Dezember 2020 bezüglich der Motion Addor bestätigt hat.

Zu Punkt 2: Den bestehenden gesetzlichen Rahmen nützen die kantonalen Behörden aus, wobei die rechtsstaatlichen und strafprozessualen Standards gewährt werden müssen. Die Staatsanwaltschaft ist bestrebt, die im vorliegenden Auftrag erwähnten Fälle zügig zu behandeln. Sie bringt die verzeigten Fälle nach Möglichkeit zum Abschluss, selbst wenn bekannt ist, dass gegen die betreffende Person noch weitere Fälle pendent sind. Die Verfahren können damit schneller erledigt und die betreffenden Personen rascher in den Strafvollzug versetzt werden, sofern eine (unbedingte) Freiheitsstrafe zu fällen ist. Bei Fällen, die nicht mittels Strafbefehl erledigt werden können, kann in zeitlicher Hinsicht aufgrund von rechtsstaatlichen Vorgaben nur beschränkt Einfluss genommen werden.

Zu Punkt 3: Die Untersuchungshaft wird immer geprüft und wenn immer möglich beantragt, um weitere Delikte zu verhindern und die Personen von der Strasse zu holen. Die Anforderungen an den in diesen Fällen wesentlichen Haftgrund der Wiederholungsgefahr sind hoch. Selbst mehrere Dutzend Vermögensdelikte, und selbst wenn der Deliktsbetrag hoch ist und auch Sachbeschädigungen oder Hausfriedensbrüche dazu kommen, reichen nach den bundesrechtlichen Vorgaben und der dazu ergangenen Rechtsprechung i.d.R. nicht aus für die Genehmigung der Untersuchungshaft. Beim vorzeitigen Strafvollzug ist neben dem Tatverdacht ein besonderer Haftgrund und das Einverständnis bzw. der Antrag der beschuldigten Person erforderlich. In einigen Fällen ist es damit gelungen, die Personen für eine gewisse Zeit von der "Gasse" fern zu halten.

Zu Punkt 4: Für eigentliche "Schnellverfahren" müssen der Sachverhalt einfach und die Beweislage eindeutig sein. Bestehen bereits Vorstrafen, was oft der Fall ist, kann nicht mehr von einem einfachen Sachverhalt gesprochen werden. Weil die Strafe vom Vorleben abhängt, müssen entsprechende Abklärungen getätigt werden. Offene Verfahren in anderen Kantonen schliessen solche Verfahren oft aus, weil zuerst der Gerichtsstand geklärt werden muss. Für Ladendiebstähle und gewisse Fälle aus dem Betäubungsmittelbereich werden sogenannte Kompaktrapporte erstellt, die i.d.R. bereits heute schnell zu einer Verurteilung führen. Jedoch führt eine Verurteilung nicht automatisch und unmittelbar zum Strafvollzug.

Zu Punkt 5: Die Stadtpolizei Chur und die Kantonspolizei haben ab August 2023 ihre Präsenz und Kontrolltätigkeit im und um den Stadtpark nochmals erhöht. Verstärkte Kontrollen können jedoch zu einer Verlagerung und/oder Zersplitterung der Szene führen, was wiederum mit negativen Effekten verbunden sein kann. Zudem bedingt die Kräftekonzentration der Polizei einen Verzicht auf andere Tätigkeiten. Mittel- und längerfristig ist dies mit dem jetzigen Personalbestand aller beteiligten Strafverfolgungsbehörden nicht zu leisten. Das gesellschaftliche Grundproblem von Suchterkrankungen mit allen Folgeerscheinungen kann durch Repression allein nicht gelöst werden. Zielführender wäre die Konzentration von Personal und Ressourcen in Prävention und die Massnahmen, die derzeit vom Kanton und der Stadt Chur gemeinsam aufgegleist werden (z.B. Kontakt- und Anlaufstelle, Konsumraum usw.) Wir verweisen diesbezüglich auch auf die Antwort der Regierung zur Fraktionsanfrage SVP betreffend Beschaffungskriminalität Region Chur vom 25. April 2023 (Prot. Nr. 367/2023). Repression kann nur ein Teilaspekt zur Lösung der Beschaffungskriminalität sein. Die Situation kann nur durch gesamtheitliche Massnahmen verbessert werden.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag wie folgt abzuändern:

Die Regierung wird beauftragt, a) die notwendigen Massnahmen zu prüfen und umzusetzen, welche die Säule "Repression" der Viersäulenstrategie Drogenpolitik dauerhaft stärken, b) bei Bedarf die dafür zusätzlich notwendigen personellen Ressourcen zu beantragen, c) ohne aber insgesamt die Säulen Prävention, Therapie und Schadensminderung zu schwächen.

31. August 2023