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Session: 30.11.1999

Die neue Bundesverfassung wird vom Bundesrat demnächst in Kraft gesetzt. Zur Koalitionsfreiheit bestimmt der neue Art.28: "Streik und Aussperrung sind zulässig, wenn sie Arbeitsbeziehungen betreffen und wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlung zu führen."

Auf Grund dieser Verfassungsbestimmung wird ein generelles Beamtenstreikverbot, wie dies in Art.47 der kantonalen Verordnung über das Dienstverhältnis der Mitarbeiter des Kantons Graubünden (Personalverordnung) heute festgehalten ist, eindeutig verfassungswidrig.

Die Regierung wird um Beantwortung folgender Fragen ersucht:
1. Teilt die Regierung die Auffassung, dass Art.47 der heutigen Personalverordnung der neuen Bundesverfassung widerspricht?
2. In welcher Form ist die Personalverordnung diesbezüglich zu verändern?
3. Wie sieht der Zeitplan aus?

Chur, 30. November 1999

Namen: Bucher, Locher, Jäger, Arquint, Baselgia, Looser, Meyer, Noi, Pfenninger, Trepp, Schütz

Session: 30.11.1999
Vorstoss: dt Interpellation

Antwort der Regierung

Unter Streik versteht man die ”gemeinsame Arbeitsniederlegung durch mehrere Arbeitnehmer zur Erreichung bestimmter arbeitsrechtlicher Ziele”. In der Schweiz galt diese besondere Form des Arbeitskampfes lange Zeit als unvereinbar mit der beamtenrechtlichen Treuepflicht. Nach wie vor wird in der Rechtslehre die Meinung vertreten, das Streikverbot für Beamte lasse sich damit rechtfertigen, dass deren Arbeitsbedingungen in einem demokratischen Willensbildungsprozess festgelegt werden. In den letzten Jahren sind nun aber auch Stimmen laut geworden, die eine Verbindung des Streikverbots mit der Treuepflicht ablehnen und ein Streikrecht auch für Beamte nicht ausschliessen.
In der neuen Bundesverfassung (nBV) ist ausdrücklich vorgesehen, dass Streik und Aussperrungen zulässig sind, wenn sie Arbeitsbeziehungen betreffen und wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen. Das Gesetz kann zudem bestimmten Kategorien von Personen den Streik verbieten (Art. 28 Abs. 3 und 4 nBV).
Die Regierung ist sich bewusst, dass sich unter der Herrschaft der nBV ein generelles Streikverbot für Arbeitnehmende des Kantons nicht durchsetzen lässt. Andererseits weist sie darauf hin, dass eine - wenn auch differenzierte - Beschränkung des Streikrechts im öffentlichen Interesse absolut notwendig ist. Der Staat muss die Erfüllung grundlegender Sicherheitsaufgaben jederzeit gewährleisten und Dienstleistungen, die für die Gesundheit und die Sicherheit der Bevölkerung unerlässlich sind, dauernd sicherstellen können. Weiter muss man sich bewusst sein, dass ein Streikrecht für Kantonsangestellte immer nur ein ”hinkendes” Streikrecht sein kann. Die Kompetenz, dem Kantonspersonal mehr Lohn auszurichten, mehr Ferien einzuräumen etc., liegt einzig beim Grossen Rat. Er wird entsprechende Anträge der Regierung in demokratischem Prozess behandeln und entscheiden. Das Kantonspersonal würde somit immer riskieren, dass im Streik geltend gemachte Forderungen nicht erfüllt werden können, denn die Regierung kann sich lediglich verpflichten, dem Grossen Rat entsprechende Anträge zu stellen, nicht jedoch die Forderungen der Streikenden selbst zu erfüllen.
Daraus ergibt sich, dass dem Streik von Mitarbeitenden des Kantons seine Funktion als wirksame, kollektive Kampfmassnahme abgeht. Mit den zur Verfügung stehenden parlamentarischen Instrumenten kann für diese indessen mindestens ebenso viel erreicht werden.
Die Fragen können wie folgt beantwortet werden:
    1. Die Regierung ist der Ansicht, dass sich ein generelles Streikverbot, wie es in Art. 47 der Personalverordnung formuliert ist, unter der Herrschaft der nBV nicht durchsetzen lässt. Sie hält jedoch dafür, dass in der öffentlichen Verwaltung ein Streikrecht in jedem Fall nur eingeschränkt eingeräumt werden kann.
    2. Es wird zu überprüfen sein, ob und allenfalls wie eine neue Streikklausel im Personalrecht zu fassen ist.
    3. Angesichts der oben aufgeführten Überlegungen sieht die Regierung keinen dringenden Handlungsbedarf. Sie ist jedoch bereit, die Neuformulierung der streikrechtlichen Bestimmung (Art. 47 PV) zu prüfen. Die Revision der PV im Rahmen des Projektes VFRR ist jedoch weit fortgeschritten (die Regierung hat die Botschaft zuhanden des Grossen Rates verabschiedet), weshalb eine entsprechende Überprüfung allenfalls anlässlich der Beratung in der grossrätlichen Vorberatungskommission erfolgen müsste.