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Session: 24.03.2003
Das schweizerische Arbeitsgesetz sieht die Institution des Normalarbeitsvertrages (NAV) vor. Die Möglichkeit, einen solchen NAV zu begründen, liegt im Ermessen der zuständigen Behörden, d.h. beim Bund oder beim Kanton. Der Gesetzgeber begründete die Notwendigkeit des NAV damit, dass in bestimmten Branchen tariffähige Partner fehlen und so kein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) zu Stande kommt. Für die in der Landwirtschaft Beschäftigten und für Hausangestellte schreibt das Bundesrecht sogar einen NAV zwingend vor. Diese beiden Verträge bestehen entsprechend auch in unserm Kanton.

Solange nicht auf kantonaler Gesetzesstufe der Erlass von NAV ausdrücklich dem Grossen Rat zugewiesen wird (was bundesrechtlich zulässig wäre), ist die Regierung zuständig.
Das schweizerische Arbeitsgesetz ArG sowie der arbeitsrechtliche Teil innerhalb des schweizerischen Obligationenrechtes OR erfüllen die Funktion eines Rahmengesetzes. Diese können jedoch die Arbeitsbedingungen im Detailhandel nicht ausreichend regeln. Dort sucht man vergebens Bestimmungen über Minimallöhne, Zuschlagspflicht oder Kompensation für Abendverkäufe, Pausenregelung etc. Das Verkaufspersonal hat daher einen besseren Schutz nötig, und dies wäre mit der Einführung eines NAV möglich.

In unserem Kanton hat das Verkaufspersonal nur mit den Grossverteilern COOP und Migros Gesamtarbeitsverträge. Ergänzend gibt es im Bäckerei- und Konditoreigewerbe für branchenorganisierte Arbeitgeber und Arbeitnehmende eine gesamtarbeitsvertragliche Regelung. Die übrigen Angestellten im Detailhandel werden nur durch Arbeitsgesetz und OR erfasst. Im Weiteren sind nicht alle Verkaufsbetriebe dem Gesetz über die Ladenöffnungszeiten unterstellt. Zu erwähnen sind hier die Verkaufsshops bei Tankstellen sowie die Verkaufsstätten bei den Bahnhöfen (Kioske etc.).

Mit dem von uns gewünschten NAV würde den ArbeitnehmerInnen im Detailhandel ein schützender Rahmen geboten sowie die vorhandenen Rechte auf gesetzlicher Basis geregelt. Zudem wird mit einem NAV, und das ist für den Kanton Graubünden und seinen Arbeitsmarkt entscheidend, den zuständigen Behörden ein dringend notwendiges und praktikables Arbeitsinstrument gegeben.

So richtet sich beispielsweise das Arbeitslosenversicherungsgesetz im Bereich der Zumutbarkeit einer möglichen Arbeitsstelle unter anderem nach den orts- und branchenüblichen Löhnen. Ein NAV bietet dazu die Grundlage für eine faire, beweisbare und somit praktikable Überprüfung dieser branchenüblichen Regelung. Das GleicheDas gleiche gilt ebenfalls für die Kontroll- und Bewilligungsorgane der Arbeitsbewilligungen im Rahmen der Beschäftigungspolitik, wo ein NAV einerseits der Schwarzarbeit einen gewissen Riegel schieben kann und andererseits für das einheimische Gewerbe faire Wettbewerbsbedingungen ermöglicht.

Der neue Normalarbeitsvertrag soll unter anderem verbindliche Richtlinien über folgende Punkte vorgeben:

- Maximale wöchentliche Arbeitszeit
- Minimallöhne
- Zuschlagspflicht oder Kompensation für Abendarbeit
- Pausenregelungen
- Regelung der Arbeit auf Abruf

Selbstverständlich gehen die jeweilig besseren Bedingungen der GAV's und Einzelarbeitsverträge vor.
Die Regierung wird eingeladen, einen Normalarbeitsvertrag (NAV) für den Detailhandel bis Ende 2003 zu erlassen.

Chur, 24. März 2003

Name: Looser, Schmutz, Frigg, Arquint, Brasser, Bucher, Caviezel (Chur), Jäger, Locher, Meyer, Noi, Pfenninger, Pfiffner, Schütz, Trepp, Zindel

Session: 24.03.2003
Vorstoss: dt Postulat


Antwort der Regierung

Es trifft zu, dass das Instrument des Normalarbeitsvertrages (NAV) in Branchen Anwendung finden kann, welche über keinen Gesamtarbeitsvertrag verfügen. Die vom Postulanten erwähnte Notwendigkeit, in solchen Branchen einen Normalarbeitsvertrag zu erlassen, ist der entsprechenden Gesetzgebung nicht zu entnehmen. Diese Notwendigkeit ergibt sich allenfalls im Rahmen des künftigen Vollzuges der flankierenden Massnahmen - nämlich dann, wenn in einer Branche, welche über keinen Gesamtarbeitsvertrag verfügt, wiederholt und schwer gegen die orts- und berufsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen verstossen wird.

Art. 359 Abs. 2 des Obligationenrechts weist die Kantone an, für das landwirtschaftliche Arbeitsverhältnis und Arbeitnehmer im Hausdienst Normalarbeitsverträge zu erlassen. Entsprechend verfügt der Kanton Graubünden über Normalarbeitsverträge für das landwirtschaftliche Arbeitsverhältnis, für das Alp- und Hirtschaftspersonal sowie für den Hausdienst. Die Notwendigkeit, für die vorgenannten Arbeitsbereiche Normalarbeitsverträge zu erlassen, ergibt sich aus der Tatsache, dass das Arbeitsgesetz auf Betriebe der landwirtschaftlichen Urproduktion sowie die privaten Haushaltungen nicht anwendbar ist. Ohne den Normalarbeitsvertrag würden für das landwirtschaftliche und das hauswirtschaftliche Arbeitsverhältnis keinerlei gesetzliche Einschränkungen betreffend Höchstarbeitszeit, Nachtarbeit, Sonntagsarbeit etc. gelten.

Demgegenüber untersteht der Detailhandel dem Arbeitsgesetz und damit dessen Regelung betreffend Höchstarbeitszeit, Überzeit, Ruhezeit, Nachtarbeit, Sonntagsarbeit etc. Der Detailhandel befindet sich in einer ähnlichen Situation wie etwa das Automobilgewerbe, welches im Kanton Graubünden über keine gesamtarbeitsvertragliche oder normalarbeitsvertragliche Regelung verfügt.

Eine Festlegung von Minimallöhnen ist in den bestehenden Normalarbeitsverträgen des Kantons Graubünden nicht zu finden und wäre für den Detailhandel teilweise äusserst problematisch. So existieren etwa in den schwach besiedelten Gebieten unserer Randregionen eine Vielzahl von kleinen, privat oder genossenschaftlich geführten Detailhandelsgeschäften, welche nicht in der Lage sind, den gewerkschaftlicherseits immer wieder geforderten Minimallohn von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. Diese ertragsschwachen Detailhandelsgeschäfte, welche eine äusserst wichtige Versorgungsfunktion haben, sind darauf angewiesen, die Löhne den konkreten Möglichkeiten anzupassen. Viele von ihnen würden einen staatlich verordneten Minimallohn, welcher sich etwa am gastgewerblichen Niveau orientieren könnte, nicht überleben.

Angesichts dieser Überlegung und entsprechend dem Grundsatz, dass die Regelung von Branchenverträgen primär Sache der Sozialpartner ist, vertritt die Regierung die Auffassung, dass derzeit keine Notwendigkeit besteht, einen Normalarbeitsvertrag für den Detailhandel zu erlassen. Dies gilt um so mehr, als der Detailhandel dem vor 2 ½ Jahren revidierten Arbeitsgesetz untersteht und damit, mit Ausnahme der Entlöhnung, die Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses geregelt sind.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung, das Postulat abzulehnen.

Datum: 29. April 2003