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Session: 26.04.2006
Nach der Erfahrung von Anwälten, Betreuern und Freunden von Betroffenen werden Bedingungen für den Familiennachzug in Graubünden sehr rigide gehandhabt und nach dem Buchstaben und nicht nach dem Sinn angewendet. So ging es offenbar bei einem Gesuchsteller, der über die Jahre drei Familiennachzugsgesuche einreichen musste, letztlich noch um ein Fehlein-kommen von 20 Franken monatlich, das zur erneuten Ablehnung führte. Erst nachdem eine billigere Wohnung gefunden war, musste das Gesuch dann einige Monate später bewilligt werden.

Ebenfalls problematisch ist nach Ansicht der SP-Fraktion die Handhabung des Wechsels vom Asylstatus zur Ausländerbewil-ligung. Potenzielle Familiennachzüger ziehen im Konfliktfall als Flüchtlinge zu ihren Verwandten, so geschehen z. B. im Fall der Balkankriege. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Familie Kolic aus Wiesen.

Von der Fremdenpolizei wird in solchen Fällen offenbar immer wieder betont, dass ohne vorgängige Wiederausreise die Ein-leitung des Familiennachzugverfahrens nicht möglich sei. Dies bedeutet in Fällen, wo der Familiennachzug eigentlich un-bestritten ist, eine unnötige Härte und für die Antragsteller auch eine enorme Verteuerung des Verfahrens.

Offene Fragen stellen sich auch im Falle des Familiennachzugs von Minderjährigen. Der Bund kennt in diesem Bereich nur eine Minimalvorschrift: Nur Minderjährige Kinder können als Familiennachzug einreisen.

Der Kanton Graubünden scheint jedoch eigene Regeln anzuwenden. Offenbar ist ein Fall bekannt, bei dem ausgeführt wurde, dass für Kinder über 14 Jahren keine Bewilligung ausgestellt werden könne. Im gleichen Fall wurde das Verfahren mit juristi-schen Hürden so sehr in die Länge gezogen, dass Kinder die Grenze zum 18. Altersjahr zwischenzeitlich überschritten hatten. Es entsteht der Eindruck, dass mit bürokratischen Mitteln das Recht auf Nachzug vereitelt wird, da das Datum des Entscheids und nicht das Datum des Antrags für die Alterslimite entscheidend ist.

Die unterzeichnenden Mitglieder der SP-Fraktion ersuchen die Regierung um die Beantwortung der folgenden Fragen:

1. Wie sieht die Praxis im Vergleich mit den anderen Schweizer Kantonen aus? Wie kommt es, dass ein Familiennachzug im Kanton Graubünden verweigert wird, der anderswo dann problemlos bewilligt wird?

2. Könnte mit einer Regelung, nach der ein mutmassliches Ergänzungseinkommen des nachziehenden Familienteils angerechnet würde, die Situation entschärft werden?

3. Wie könnte nach Ansicht der Regierung und im Sinne der humanitären Tradition des Kantons Graubünden im Fall einer kinderreichen Familie wie der Familie Kolic eine menschenfreundliche zukünftige Praxis aussehen?

4. Was ist die Regierung bereit zu tun, um in Fällen, wie sie eingangs geschildert wurden, das Verfahren zu vereinfachen und im Interesse der Betroffenen zu verbessern?

5. Ist die Regierung bereit, das Recht auf Familiennachzug nach den Minimalanforderungen des Bundes auszurichten und auf eigene verschärfende Regeln bezüglich Alterslimite zu verzichten?

6. Ist der Kanton bereit, im Sinne juristischer Fairness und Beschleunigung des Verfahrens das Antragsdatum (ausser bei offensichtlich chancenlosem Antrag) als für die Alterslimite massgebendes Datum zu anerkennen?

Chur, 24. April, 2006

Name: Pfiffner, Peyer, Trepp, Arquint, Baselgia, Bucher-Brini, Frigg, Jaag, Jäger, Meyer Persili (Chur), Noi, Pfenninger, Schütz, Zindel, Brasser, Caviezel (Chur)

Session: 26.04.2006
Vorstoss: dt Anfrage


Antwort der Regierung

Die Voraussetzungen für den Familiennachzug sind je nach anzuwendendem Gesetz sehr unterschiedlich. Bei EU-/EFTA-Bürgern ist aufgrund des Freizügigkeitsabkommens nur eine angemessene Wohnung erforderlich. Bei Drittstaatenangehörigen besitzen die Kantone einzig im Rahmen des Ausländerrechts ein gewisses Ermessen. Im Bereich des Asylrechts können die Kantone keine Familiennachzüge bewilligen.

1. Die Ostschweizer Justiz- und Polizeidirektoren haben auf Antrag der Fremdenpolizeichefs der Ostschweiz und des Fürstentum Liechtensteins eine Praxisvereinheitlichung erlassen, um unterschiedliche Entscheide bei der Zulassung von Drittstaatenangehörigen, soweit möglich, zu verhindern. Graubünden hält sich bei der Beurteilung von Familiennachzugsgesuchen an die Vorgaben sowie an die Entscheide des kantonalen Verwaltungsgerichts.

2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts ist ein Einkommen einer nachzuziehenden Person unter gewissen Voraussetzungen bei der Berechnung der finanziellen Verhältnisse mit einzubeziehen. Diese Rechtsprechung wird bei der Prüfung von Familiennachzugsgesuchen angewendet. Die Erwerbstätigkeit bzw. das damit verbundene Zusatzeinkommen wird berücksichtigt, soweit es konkret und nachgewiesenermassen nicht nur für kurze Frist sowie arbeitsmarktlich bewilligt ist.

3. Im Bereich des Familiennachzugs von Drittstaatsangehörigen sind bundesrechtlich Voraussetzungen statuiert, die für eine Bewilligungserteilung zwingend eingehalten werden müssen. Dazu gehören auch eine angemessene Wohnung und ausreichende finanzielle Mittel. Die Berücksichtigung einer nicht näher definierten humanitären Tradition oder einer zukünftigen menschenfreundlichen Praxis sieht das Bundesrecht nicht vor und würde eine gesetzeswidrige Bewilligungserteilung bewirken. Die Regierung setzt sich für eine korrekte Durchsetzung der Ausländergesetzgebung ein und ist nicht bereit, eine rechtsungleiche oder gar gesetzeswidrige Praxis einzuführen.

4. Die Verfahren bei der Ausländerzulassung sind schlank und effizient. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Bewilligungserteilung bedingen zwangsläufig einige Abklärungen. Diese führen nicht zu komplizierten Verfahren. Von den Gesuchstellenden kann verlangt werden, dass sie für die Beurteilung der nachgesuchten Bewilligungen die notwendigen Unterlagen einreichen. Weitere Vereinfachungen sind bei einer gesetzeskonformen Praxis nicht möglich.

5. Das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht hat bei Drittstaatenangehörigen mit Jahresaufenthaltsbewilligung im Rahmen des kantonalen Ermessens das Nachzugsalter auf 14 Jahre festgelegt. Danach ist ein Nachzug möglich, wenn eine Lehrstelle und genügende Sprachkenntnisse der Nachzuziehenden vorliegen. Migrationspolitisches Ziel soll der frühzeitige Familiennachzug sein, damit die Kinder und Jugendlichen gut integriert werden können. Es soll vermieden werden, dass Jugendliche erst spät in die Schweiz nachgezogen und direkt mit der Arbeitslosigkeit konfrontiert werden. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass ein später Familiennachzug soziale Probleme verstärkt. Aus integrationspolitischen Überlegungen hat sich die Alterslimite von 14 Jahren beim Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen bewährt. In der Regel können sich jüngere Kinder noch gut integrieren, weil sie auch die Sprache relativ schnell lernen. Bei älteren Jugendlichen ist eine berufliche und sprachliche Integration oft sehr schwierig.

6. Das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht stützt seine Entscheide auf das Antragsdatum. In Beschwerdeverfahren muss gemäss Rechtsprechung des Verwaltungs- und Bundesgerichts mit Ausnahme der C-Bewilligten auf den Sachverhalt zum Zeitpunkt des Entscheides abgestützt werden.

Datum: 3. Juli 2006