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Session: 17.10.2006
Auf Ende 2006 werden die Tagesstätten in Roveredo und in Samedan geschlossen. Der Grund dafür ist ein starker Rückgang der Auslastung der Klienten, der hauptsächlich auf folgende Tatsache zurück zu führen ist:

Seit dem 1. Januar 2006 müssen die IV-Bezüger, die eine Tagesstätte besuchen, Fr. 15.- pro Tag bezahlen. Obwohl in diesem Betrag das Mittagessen eingeschlossen ist, frequentierten immer weniger Klienten die Tagesstätten. Der Besuch einer Tages-stätte ist freiwillig. Die meisten psychisch Kranken haben Mühe mit Tagesstruktur und Beschäftigung, und es braucht speziel-le Anreize, um sie zum Mitmachen zu motivieren. Die Erhebung einer Gebühr hat alle Anreize zum Tagesstättebesuch zu-nichte gemacht.

Für die nun folgenden Ausführungen nehmen wir die Tagesstätte "El Butt" in Roveredo als Beispiel und gehen kurz zurück ins Jahr 2000. Bei den Vorabklärungen betreffend Verselbstständigung der kantonalen Wohnheime und Arbeitsstätten wurde neben den Chancen auch auf die Gefahren eines solchen Schritts aufmerksam gemacht.

Gefahren:
mehr Marktorientierung und Kosteneinsparungen können sich negativ auf die Leistungsqualität im Pflege- und Betreu-ungsbereich auswirken. Die Qualität wird über die Wirtschaftlichkeit definiert.
der kranke Mensch steht nicht mehr im Mittelpunkt, er wird nachgerade zu einem wirtschaftsfeindlichen Kostenfaktor degradiert.
Gewinnmaximierung wird zur einzigen Ethik.

Am 10. Juni 2001 hat das Bündner Stimmvolk das kantonale Gesetz über die Organisation der kantonalen psychiatrischen Dienste und Wohnheime für psychisch behinderte Menschen angenommen, und 2002 wurden die Psychiatrischen Dienste Graubünden (PDGR) eine öffentlich-rechtliche Institution, die möglichst gewinnbringend wirtschaften muss gegründet.

Heute, 4 Jahre später, müssen wir feststellen, dass - sicher vor allem wegen des enormen Spardrucks in den letzten Jahren - die angekündigten Gefahren Wirklichkeit geworden sind.

Die noch zwei verbliebenen El Butt-Klienten werden ab dem 1. Januar 2007 in der Beschäftigung der "Arbes Moesano" (ge-schützte Arbeitsstätte) integriert. In der Arbes wird produziert, es gibt Grossaufträge und die Arbeit ist oft fliessbandartig. Für Menschen mit einer geistigen oder sehr schweren psychischen Behinderung eine geeignete Beschäftigung, aber nicht immer für psychisch Erkrankte. Förderung der Lebensqualität, der Kreativität oder eine zielgerichtete Unterstützung für eine eventu-elle spätere Reintegration fehlen fast ganz in der Arbes, denn das verantwortliche Personal besteht vor allem aus Fachperso-nen des Handwerks wie z.B. Schneiderin, Schreiner oder Koch.

Einige Angebote der Tagesstätten (laut BSV) wie: Anregung und Begleitung von individuellen und gemeinsamen Aktivitäten, zielgerichtete Unterstützung zu möglichst autonomer Lebensführung, nicht ärztlich verordnete therapeutische Aktivitäten und pflegerische Leistungen, werden in denjenigen der Arbeits- und Bechäftigungsstätten nicht aufgeführt. Der sozialpädagogi-sche Auftrag, ein Schwerpunkt in den Tagesstätten, fällt weg.

Die Unterzeichnenden bitten die Regierung um die Beantwortung der folgenden Fragen:
was für Angebote gibt es in Zukunft, vor allem auch in den peripheren Regionen unseres Kantons, für behinderte Men-schen, die nun wiederum durchs psycho-soziale Netz zu fallen drohen, die also weder in eine Wohngruppe noch in eine Arbeitsstätte integriert sind?
die Tagesstätten haben in den letzten 7 Jahren stark zur Entlastung der Krankenkassen und Sozialdienste beigetragen (viel weniger Hospitalisationen). Kann die Regierung verantworten, dass die Kosten wieder mehrheitlich auf die Krankenkas-sen und Sozialämter abgewälzt werden?
welche Massnahmen ist die Regierung bereit zu ergreifen, um die entstanden Lücken im Betreuungsangebot zu füllen, damit der kranke Mensch wieder in den Mittelpunkt rückt und damit die Leistungen wieder in erster Linie den Patienten dienen, und erst in zweiter Linie wirtschaftlichen Überlegungen zu genügen haben?

Chur, 17. Oktober 2006

Name: Trepp, Bucher-Brini, Pfiffner-Bearth, Arquint, Baselgia-Brunner, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jaag, Koch, Menge, Mengot-ti, Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Portner, Thöny, Troncana-Sauer, Locher Benguerel

Session: 17.10.2006
Vorstoss: dt Anfrage


Antwort der Regierung

Die Tagesstätte El Butt für psychisch behinderte Personen in Roveredo wurde am
1. August 1998 als Aussenstelle der Arbeits- und Beschäftigungsstätte Rothenbrunnen für behinderte Menschen mit sechs Plätzen eröffnet. Auf Grund des doppelten Angebotes haben die Psychiatrischen Dienste Graubünden beschlossen, die Tagesstätte El Butt auf den 1. Januar 2007 in die am 1. Dezember 2004 eröffnete Arbeits- und Beschäftigungsstätte in Roveredo zu integrieren.

Der Verein geschützte Wohn- und Arbeitsplätze Engadin und Südtäler hat im Jahre 1989 in Samedan ein Wohnheim und eine geschützte Werkstätte für geistig und psychisch behinderte Menschen eröffnet. In Ergänzung zu den beiden Angeboten wurde am 1. September 2005 eine Tagesstätte mit vier Plätzen eröffnet mit dem Ziel, die Platzzahl auf acht zu erhöhen. Auf Grund der nicht den Erwartungen entsprechenden Nachfrage hat der Verein beschlossen, die Tagesstätte auf den 31. Dezember 2006 zu schliessen.

Die Angebote der Tagesstätten El Butt in Roveredo und der Tagesstätte Samedan werden von den bestehenden Wohnheimen, Beschäftigungs- und Werkstätten praktisch vollumfänglich übernommen. Die Beschaffung und Zuweisung von Beschäftigungsangeboten an psychisch behinderte Personen wird sich auch an den neuen Orten weiterhin am Ziel der Befähigung zu möglichst autonomer Lebensführung orientieren.

Die seit dem 1. Januar 2006 von IV-Bezügern in Tagesstrukturen gemäss den Vorgaben der Regierung zu erhebende Tagestaxe von Fr. 15.- für die Verpflegung und sonstige Kosten ist entgegen den Ausführungen in der Anfrage nicht der Grund für die gesunkene Nachfrage. In den beiden Tagesstätten wurden bereits vorher Kosten für die Verpflegung in Rechnung gestellt. Grund für die Erhebung der Taxe von Fr. 15.- von den in den Tagesstätten betreuten Personen bildet die Gleichbehandlung mit den in den Wohnheimen betreuten Personen.
Der von den Trägerschaften der beiden Einrichtungen autonom gefällte Schliessungsentscheid ist einzig auf die fehlende Nachfrage zurückzuführen.

Beantwortung der Fragen

1. Im ganzen Kanton, so auch in den peripheren Regionen (Roveredo, Scuol, Poschiavo, Samedan, Trun und Rueras), bestehen geschützte Wohnangebote und Tagesstrukturen zur Betreuung von Menschen mit Behinderungen. Die Tagesstrukturen bezwecken Menschen mit Behinderungen zielgerichtet zu individuellen oder gemeinsamen Aktivitäten anzuregen und sie dabei zu unterstützen. Mit der jährlichen unter Einbezug der Trägerschaften durchgeführten Bedarfsplanung kann flexibel auf die Bedürfnisse und die Nachfrage nach geschützten Wohn-, Beschäftigungs- und Arbeitsplätzen reagiert werden.

2. Im Betreuungsangebot sind durch die Schliessung der Tagesstätten in Roveredo und Samedan keine Lücken entstanden. Es stehen trotz der Schliessung dieser beiden Tagesstätten genügend Betreuungsplätze und Angebote für Menschen mit einer Behinderung zur Verfügung. Eine Verlagerung der Kosten auf die Krankenkassen und Sozialämter findet somit nicht statt.

3. Massnahmen im Sinne der Frage drängen sich entsprechend aus der Sicht der Regierung gestützt auf die von ihr vorstehend getätigten Feststellungen derzeit nicht auf. Falls Anpassungen beim Betreuungsangebot notwendig sind, können solche im Rahmen der rollenden Bedarfsplanung im Behindertenbereich jederzeit vorgenommen werden. Im Vordergrund steht bei der Schaffung von Angeboten der Bedarf und nicht die Wirtschaftlichkeit des Angebotes. Die Regierung setzt sich in diesem Sinne dafür ein, dass bei entsprechender Nachfrage weiterhin in möglichst allen Regionen des Kantons für Menschen mit einer geistigen, psychischen oder körperlichen Behinderung angemessene Betreuungsangebote zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang ist ergänzend festzuhalten, dass die Psychiatrischen Dienste Graubünden am 15. November 2006 in St. Moritz eine Tagesklinik für zu Hause lebende Personen mit psychischen Krisen eröffnet haben.

Datum: 21. Dezember 2006