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Session: 17.04.2007
Im Gegensatz zu den Kantonen, welche ihre Verfassungen in jüngster Vergangenheit total revidiert haben, hat der Kanton Graubünden das sog. Öffentlichkeitsprinzip nicht in seiner Verfassung verankert.

Der Grosse Rat des Kantons Aargau hat am 24. Oktober 2006 die Änderung der Kantonsverfassung mit 106 zu 4 Stimmen gutgeheissen. Und das Aargauer Stimmvolk nahm am 11.3.2007 mit einem Ja-Stimmenanteil von 79.5% die folgende Verfassungsänderung an: § 72 Abs. 1 "Jede Person ist befugt, Einsicht in amtliche Akten zu nehmen." Die Kantone ZH, BE, FR, SO, AR, VD und NE haben ähnliche Verfassungsbestimmungen.

Im Gegensatz zu praktisch allen Kantonsverfassungen, welche verschiedene Grundrechte in ihrer Verfassungen aufführen, hat der Kanton Graubünden darauf verzichtet und verweist in Art. 7 lediglich auf die Grundrechte und Sozialziele der Bundesverfassung und auf die internationalen Abkommen.

Die Bundesverfassung hält in Art. 16 Abs. 3 zum Thema Informationsfreiheit lediglich fest: "Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten." Diese Bestimmung ist sehr marginal und restriktiv. Das Öffentlichkeitsprinzip geht viel weiter.

Mit dem Öffentlichkeitsprinzip tritt zur behördlichen Informationspflicht vor allem der freie Zugang zu amtlichen Dokumenten hinzu. Damit erhält jede Person ein Recht auf Einsichtnahme in Behördenakten, wenn nicht ausdrücklich eine Geheimhaltungspflicht entgegensteht. Bisher ist staatliches Handeln grundsätzlich geheim. Bürgerinnen und Bürger haben kein Recht, Informationen über die gesamte Verwaltungstätigkeit zu erhalten. Das verfassungsmässige Recht der Informationsfreiheit garantiert einzig, sich aus allgemein zugänglichen Quellen informieren zu können.

Mit der Einführung des Öffentlichkeitsprinzips soll ein Systemwechsel erfolgen: Neu ist ein Dokument grundsätzlich öffentlich zugänglich, ausser sein Inhalt sei auf Grund überwiegender öffentlicher oder privater Interessen (zum Beispiel Arzt- oder Berufsgeheimnisse, öffentliche Sicherheit etc.) oder auf Grund einer entgegenstehenden Gesetzesvorschrift geheim zu halten.

Durch den erleichterten Zugang zu amtlichen Akten und der Regelung der Informationsrechte erhalten die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, selber aktiv Informationen zu beschaffen. Damit dem Schutz der Persönlichkeit und überwiegender Interessen aber dennoch weiterhin Rechnung getragen werden kann, findet das Öffentlichkeitsprinzip seine Grenzen im Datenschutz beziehungsweise im Geheimhaltungsvorbehalt.

Das Öffentlichkeitsprinzip schafft Transparenz und erhöht dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Behörden. Information bedeutet nicht zuletzt auch Vermittlung von Kenntnissen über die Vorgänge im Staat, die für die aktive politische Beteiligung der Bevölkerung von Bedeutung sind.

Dank verbesserter Information zwischen den einzelnen öffentlichen Organen unterstützt das Öffentlichkeitsprinzip ausserdem die Wirksamkeit der Verwaltungstätigkeit.

Das Öffentlichkeitsprinzip entfaltet Wirksamkeit für alle öffentlichen Organe (inklusive Landeskirchen) auf kantonaler und kommunaler Ebene. In den Systemwechsel eingeschlossen sind alle drei Staatsgewalten. Damit dieser grundsätzlichen Bedeutung Rechnung getragen werden kann, ist das Öffentlichkeitsprinzip in der Kantonsverfassung zu verankern.

Die Regierung wird deshalb ersucht, dem Grossen Rat eine Botschaft zur Änderung der Kantonsverfassung vorzulegen, welcher die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips vorsieht.

Chur, 17. April 2007

Name: Menge, Pfenninger, Jäger, Arquint, Augustin, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Casutt, Dermont, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jaag, Jenny, Mengotti, Michel, Noi-Togni, Peyer, Pfiffner-Bearth, Thöny, Trepp, Troncana-Sauer, Candinas (Disentis), Locher Benguerel

Session: 17.04.2007
Vorstoss: dt Auftrag

Antwort der Regierung

Der Wechsel vom Grundsatz der Geheimhaltung zum Öffentlichkeitsprinzip für die Behörden und die Verwaltung auf allen staatlichen Ebenen des Kantons war in Zusammenhang mit der auf 1. Januar 2004 in Kraft getretenen neuen Kantonsverfassung bereits ein Thema. Seinerzeit hatte die Regierung in ihrer Botschaft zur Totalrevision der Kantonsverfassung den Wechsel zum Öffentlichkeitsprinzip vorgesehen, und in Art. 7 Ziff. 12 des Botschaftsentwurfs in einen Grundrechtskatalog auch das Recht auf Einsicht in amtliche Akten, soweit keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen, aufgenommen. (siehe B vom 15. Januar 2002, S. 499 f.) Der Grosse Rat lehnte es jedoch in der Folge ab, einen solchen Grundrechtskatalogs in die neue Kantonsverfassung aufzunehmen (vgl. GRP 2002/2003, S. 241 ff., S. 251). Er entschied sich stattdessen für die Aufnahme eines blossen Verweises auf die Grundrechte und Sozialziele der Bundesverfassung und damit gleichzeitig für einen Verzicht auf die Begründung eigenständiger kantonaler Grundrechte. Zu diesen hätte u.a. auch das Recht auf Einsicht in kantonale Akten gehört, weil es über die Grundrechte der Bundesverfassung hinausgeht. Dieses Recht fand keine Aufnahme in die kantonale Verfassung und zwar auch nicht indirekt über den aufgenommenen Verweis auf die Bundesverfassung. Auf Bundesebene ist das Öffentlichkeitsprinzip nämlich nicht in der Verfassung, sondern "nur" im Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung vom 17. Dezember 2004 (BGÖ; SR 152.3) verankert. Die Kantone und ihre Organe sind vom Geltungsbereich des BGÖ nicht erfasst, selbst wenn sie Aufgaben umsetzen oder vollziehen, die ihnen das Bundesrecht überträgt (BBl 2003, 1985). Im Übrigen ergibt sich auch aus Art. 25 KV, der erst nachträglich auf Initiative der vorberatenden Kommission im Grossen Rat Eingang in die Verfassung gefunden hat, und eine Informationspflicht der Behörden und Gerichte gegenüber der Öffentlichkeit statuiert, kein Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf eine umfassende Information durch die Behörden über deren sämtliche Tätigkeiten. Insbesondere können Einzelpersonen gestützt auf Art. 25 KV keine uneingeschränkte Einsicht in Akten der Verwaltung verlangen. Der Verfassungsgeber hat den Behörden nur, aber immerhin, einen verbindlichen Informationsauftrag erteilt. Den Behörden kommt bei der Erfüllung dieses Informationsauftrags ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Sie selbst haben zu bestimmen, was der Mitteilung bedürftig und geeignet ist (vgl. Cavegn, Kommentar KV/GR, Art. 25 Rz und 7). In der Praxis pflegen die Regierung und die kantonale Verwaltung anerkanntermassen eine sehr aktive und offene Informationspolitik.

Vor diesem Hintergrund sieht die Regierung keine Veranlassung für einen Wechsel zum Öffentlichkeitsprinzip und beantragt deshalb, den vorliegenden Auftrag nicht zu überweisen.

Datum: 22. Juni 2007