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Session: 12.06.2007
Die politischen Gemeinden sind im Lichte der total revidierten Kantonsverfassung vom 1.1.2004 nebst dem Kanton die wichtigste politische Staatsstufen-Ebene geblieben. Die Kreise, Bezirke und Regionalverbände erhalten grundsätzlich (nur) die ihnen von den Gemeinden und dem Kanton zugewiesenen Aufgaben. Die Unterzeichneten halten dies unverändert für richtig. Im Lichte des Subsidiaritätsprinzips ist die Erfüllung von Aufgaben, die von tieferen Staatsebenen gleich gut oder gar besser wahrgenommen werden kann, diesen tieferen Staatsebenen zu übertragen bzw. zu belassen.

Dessen ungeachtet ist die Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Staatsebenen gelegentlich zu überprüfen. Es können verschiedene Entwicklungen und Erkenntnisse, die sich in und um die Staatsebenen herum ergeben oder mit denen die Staatsebenen unbeeinflussbar konfrontiert werden, dazu Anlass geben. Zu beachten sind dabei bspw.:

a. statistische Kennzahlen wie: die demographische Entwicklung, die Entwicklung der Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort oder in Pendlerdistanz, die Bedürfnisse der Grundversorgung (Schulen, medizinische Versorgung, Lebensmittelge-schäfte, Restaurants, Service-public-Leistungen, Banken), die Bedürfnisse der Erschliessung (Reisezeit und -möglichkeit zu regionalen Zentren) und die Entwicklung der öffentlichen Finanzen.

b. Daten zur Lebensqualität wie: die Qualität der sozialen Beziehungen (Integration Fremder, individuelle unternehmerische Initiativen), die Qualität und Vielfalt des kulturellen Angebots sowie des Angebots an Freizeitbeschäftigungsaktivitäten (Standortattraktivität als Wohn- und Lebensraum), die Lebensraumqualität (Landschaft) und das institutionelle und unternehmerische Klima (Problemlösungsfähigkeit bei Gemeindebehörden und bei Privaten).
Ganz entscheidende politische, exogen bedingte Weichenstellungen erfordert für unseren Kanton und seine Gemeinden zudem die eidgenössische NFA (Neugestaltung der Aufgabenteilung und des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen) sowie die eidgenössische NRP (Neue Regionalpolitik des Bundes). Beide eidgenössischen Polit-Grossprojekte wirbeln die in unserem Kanton normierten und gelebten Staatsstruktur-Ebenen von Grund auf neu auf. Den Unterzeichneten ist bekannt, dass in den Regierungs- und Amtsstuben einschlägig Überlegungen angestellt sowie Strategien und Massnahmen zur Umsetzung vorbereitet werden, darunter die Projekte:

a. FAG II: Der Startschuss für ein umfassendes Strukturreformprojekt zur „Neugestaltung des innerkantonalen Finanzausgleichs und der innerkantonalen Aufgabenteilung“ ist anfangs Jahr 2007 gefallen (Regierungsprogramm: ES 23). Zu den Instrumenten sollen gehören: ein neuer Finanzausgleich, eine Reorganisation der Aufgabenteilung sowie eine Ge-meindereform. Gemäss einer Medienmitteilung des DFG (Departement für Finanzen und Gemeinden) vom 28.2.2007 verfügt der Kanton „wegen seiner heterogenen Gemeindestrukturen über relativ ungünstige Voraussetzungen, um die Aufga-benteilung zwischen Kanton und Gemeinden sowie den innerkantonalen Finanzausgleich effizient auszugestalten“ (S. 2).

b. Studie „Potenzialarme Räume Graubünden“ des AWT (Amt für Wirtschaft und Tourismus) vom 11.9.2006: Das AWT hat 24 potenzialarme Räume im Kanton identifiziert sowie 95 Gemeinden als „eher kritisch“ und 23 als „kritisch“ qualifiziert. Dabei wird unter anderem festgestellt, dass „insbesondere das Kooperationspotenzial ... gewichtig zu sein (scheint). Gemeindefusionen beispielsweise lassen vor allem personelle Kapazitäten, aber auch finanzielle Mittel, frei werden. Daneben können Gemeindefusionen ... ermöglichen, dass das bestehende Güter- und Dienstleistungsangebot, wenn auch räumlich konzentrierter, in der Region erhalten bleibt“.

Die Regierung strebt also ganz offensichtlich - und zwar aus verschiedener, analytisch unterlegter Betrachtung - eine Reduktion der Anzahl Gemeinden an. Es ergeben sich für die Unterzeichneten daher folgende Fragen:

1. Welches Strategieziel verfolgt die Regierung konkret und welche Massnahmen setzt sie zu dessen Umsetzung konkret ein, wenn sie Gemeindefusionen (aktiv) veranlassen oder (passiv) unterstützen will? Wie sieht das diesbezügliche regierungsrätliche Konzept konkret aus?

2. Hat die Regierung einen Typ „Modellgemeinde“ vor Augen, bspw. hinsichtlich Einwohnerzahl, Eigenausstattung, Aufgabenminimum oder anderer oben angesprochener statistischer Aspekte oder weicher Faktoren? Wenn ja, wie sieht dieser Typ „Modellgemeinde“ aus?

3. Möchte die Regierung inskünftig proaktiv auf die Reform der Gemeindestrukturen einwirken? Wenn ja, unter Einsatz welcher Massnahmen und Mittel und mit welchen zeitlichen Vorgaben?

4. Hat die Regierung die Wirkungen von bisher realisierten Gemeindefusionen systematisch erfasst und ausgewertet? Wenn ja, welche Schlüsselerkenntnisse hat sie daraus gewonnen und wie können diese Erkenntnisse bei künftigen Fusionsprojekten einfliessen?

5. Insbesondere: Welche Strategieziele verfolgt die Regierung mit Blick auf die Infrastrukturanlagen von fusionierten Gemeinden, deren Erstellung bisher in Teilen bekanntlich aufwändig kantonal mit subventioniert worden war (bspw. Schulhausbauten, andere öffentliche Gebäude wie Gemeindehäuser, Wasser-/Abwasserwerke und Meliorationswerke)?

Chur, 12. Juni 2007

Name: Cavigelli, Augustin, Berni, Berther (Disentis), Berther (Sedrun), Blumenthal, Bondolfi, Bundi, Caduff, Cahannes Renggli, Candinas, Darms-Landolt, Dermont, Fallet, Farrér, Florin-Caluori, Geisseler, Keller, Kleis-Kümin, Kollegger, Loepfe, Niederer, Parpan, Pfister, Plozza, Portner, Quinter, Righetti, Sax, Tenchio, Thurner-Steier, Tuor, Zanetti, Joos

Session: 12.06.2007
Vorstoss: dt Anfrage

Antwort der Regierung

1. Ziel einer Gemeindereform ist die Stärkung der Gemeinden. Starke Gemeinden gewährleisten eine wirksame Aufgabenerfüllung bei wirtschaftlichem Mitteleinsatz. Starke Gemeinden sind auch die Voraussetzung für eine echte Aufgabenentflechtung sowie für einen wirksamen Ausgleich von Gefällen zwischen den Gemeinden (vgl. dazu Botschaft zur Revision des Gemeindegesetzes und der Finanzausgleichsgesetzgebung, Heft Nr. 12/2005-2006, S. 1020 ff.). Eine solche Gemeindereform wird die bestehende Gemeindelandschaft verändern und tendenziell eine Reduktion der Zahl der Gemeinden zur Folge haben. Die Regierung verzichtet bewusst auf einen „Top-down-Ansatz“. Ein solcher würde eine Fusionsplanung mit vorgegebenen Fusionsperimetern und zeitlichem Umsetzungsplan beinhalten. Ein solches Vorgehen entspricht nun aber nicht der politischen Kultur in unserem Kanton. Es fand bisher auch nicht die Unterstützung des Grossen Rates. Dass die Strategie einer von unten initiierten Gemeindereform (Bottom-up-Ansatz) zur Folge hat, dass die Fusionsperimeter unterschiedlich gross sein können, und dass es auch zu negativen Volksentscheiden kommen kann, ist nach Auffassung der Regierung in Kauf zu nehmen. Die Regierung ist überzeugt, dass das Ziel einer Gemeindereform im Interesse der Gemeinden und von deren Einwohnerinnen und Einwohnern liegt. Sie erachtet die tatkräftige Begleitung von Fusionsprojekten und die im interkantonalen Vergleich sehr grosszügige finanzielle Förderung der Zusammenschlüsse mittelfristig als zielführend. Zur Umsetzung seiner Gemeindereformpolitik verfügt der Kanton nach der Revision des Gemeindegesetzes und der Finanzausgleichsgesetzgebung (FAG I) über ein griffiges Förderinstrumentarium (ordentliche Fördermittel im Finanzausgleichsbudget, zusätzliche Mittel von 20 Mio. Franken im Rahmen des innovativen Projekts „Gemeindereform“). Auch die Anreizmechanismen im Rahmen der Finanzausgleichsgesetzgebung sind wesentlich ausgebaut worden („Heureka“, grosszügige Übergangsregelungen bei Fusionen). Bei der Konzeption der einzelnen Instrumente der Bündner NFA, nämlich des Ressourcenausgleichs, des Lastenausgleichs, der Aufgabenentflechtung und der neuen Zusammenarbeitsformen soll und darf der Bezug zum Ziel „starke autonome Gemeinden“ nicht fehlen.

2. Die Definition einer Modellgemeinde, beispielsweise nach der Mindesteinwohnerzahl, wäre bei einem Gemeindereformkonzept „top-down“ unabdingbar. Aber auch bei dem von der Regierung gewählten Ansatz können Vorstellungen von Modellgemeinden, welche für eine wirksame Aufgabenerfüllung geeignet sind, entwickelt werden. Eine Modelldefinition kann anhand der Aufgaben vorgenom-men werden, welche im Rahmen des Projektes Bündner NFA den Gemeinden als originäre Aufgaben zugewiesen werden. Da gibt es unterschiedliche Perimeter, welche jeweils auf die geographische Lage, auf historische, gesellschaftliche und kulturelle Gemeinsamkeiten oder auch auf die bestehende politische Gliederung (z.B. Kreis) und die wirtschaftliche Ausrichtung Rücksicht nehmen. Die Grösse bzw. die Einwohnerzahl spielt mit Bezug auf das wirtschaftliche Entwicklungspotenzial und die demokratischen Entscheidungsprozesse eine wichtige Rolle. Wie in der Botschaft zum FAG I dargelegt, stehen Talgemeinden, welche sich oft mit den Kreisgemeinden decken, im Vordergrund. Aber auch der Anschluss an eine grössere finanzstärkere Gemeinde (z.B. Says-Trimmis, Wiesen-Davos) ist ein anzustrebendes Modell.

3. Die Regierung will im Rahmen des gewählten Ansatzes auf die Reform der Gemeindestrukturen einwirken. Dies geschieht durch intensive Begleitung laufender Fusionsprojekte und durch den nachhaltigen Einsatz der finanziellen Fördermittel. Im Rahmen des laufenden Projektes Bündner NFA wird sie den Gestaltungsspielraum für ein Anreizinstrumentarium breit nutzen. Wie dieses aussehen wird, wird im Vernehmlassungsbericht dargelegt.

4. Die Reduktion der Zahl von Gemeinden von 212 im Jahre 2000 auf 206 im Jahre 2007 ist noch zu gering und der Zeitraum, in welchem die Zusammenschlüsse erfolgten, zu kurz, um eine systematische Wirkungsanalyse vorzunehmen. Die Rückmeldungen aus den abgeschlossenen Zusammenschlüssen sind jedoch positiv. Im Rahmen der Gemeindefinanzstatistik sind Analyseinstrumente vorhanden. Ein sukzessiver Ausbau des Instrumentariums ist beabsichtigt. Eingehend analysiert werden jeweils die Fusionsprozesse. Die Analysen zeigen u. a. auf, dass ohne Konsens unter beteiligten Behördenmitgliedern eine Volksabstimmung kaum zum Erfolg führt. Künftig sollen die verantwortlichen Behördenmitglieder deshalb bereits im Verlaufe eines Fusionsprojektes ihre Haltung offen legen.

5. Die Infrastrukturanlagen einer Gemeinde bilden ihr Verwaltungsvermögen, das sorgfältig verwaltet und eingesetzt werden soll. Anlagen, welche nicht mehr zwingend der öffentlichen Aufgabenerfüllung dienen, können dem Finanzvermögen zugeordnet und entsprechend umgenutzt oder veräussert werden. Im Rahmen von Fusionsprojekten werden solche Fragen intensiv erörtert und
(Um-)Nutzungskonzepte für wertschöpfende Aktivitäten erstellt. Gewisse Anlagen, so z.B. die Wasserversorgung oder das Güterwegnetz, hangen mit der Siedlungsstruktur zusammen und sind unabhängig vom umschliessenden Perimeter zweckmässig zu unterhalten. Gemäss den Strategiezielen der Bündner NFA sollen bisherige Ausgleichsleistungen an Investitionen durch zweckfreie Mittel des Ressourcen- und Lastenausgleichs ersetzt und allfällige Investitionsbeiträge der Sektoralpolitiken ungeachtet bestehender Gemeindegrenzen auf geeignete Perimeter von entsprechender Grössenordnung ausgerichtet werden.

Datum: 9. September 2007