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Session: 21.04.2008
In den Diskussionen um die Berechtigung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung wird oft auf mögliche Missbräuche hingewiesen. Dieser einseitige Fokus lässt vergessen, dass nach wie vor die überwiegende Zahl von GesuchstellerInnen keine Missbrauchsabsichten hegt, sondern aus psychischen oder physischen Gründen einen Anspruch für Rentenleistungen abklären lässt.

Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass in einem Schadensfall eine betroffene Person durch eine Krankentaggeldversicherung während zweier Jahre den Lohnausfall gedeckt hat. Spätestens dann sollten die Leistungen der IV eintreten.

In der Realität sieht dies leider oft anders aus. Die Krankentaggeldversicherung ist nicht obligatorisch, oder die Lohnfortzahlung dauert keine zwei Jahre. Auch im Idealfall traf es leider bisher oft nicht zu, dass die IV mit ihren Abklärungen und einer allfälligen Rentenzusprache schon bereit war, wenn die betroffene Person auf Leistungen angewiesen wäre. Es entstand eine mehr oder weniger lang dauernde Leistungslücke, die zu oft nur mit Leistungen der Sozialhilfe gedeckt werden konnte. Auch 24 Monate nach dem Schadenfall lag oft kein IV-Entscheid vor. Bestenfalls wurde ein provisorischer Entscheid mitgeteilt. Auch ohne Einsprache dagegen dauerte es nochmals mehrere Monate, bis endlich die ersten Leistungen eintrafen, obwohl die betroffene Person bezugsberechtigt war. Von der Möglichkeit, Vorschussleistungen zu sprechen, wurde offenbar sehr selten Gebrauch gemacht.

Für alle Beteiligten effizienter, unbürokratischer und für die Betroffenen in einer ohnehin schon schwierigen Situation viel weniger belastend wäre es, wenn die IV schneller – und trotzdem fundiert und gründlich abgeklärt – zu einem Entscheid kommen könnte. Mit der 5. IV-Revision sollten auch die entsprechenden Instrumente geschaffen worden sein.

Die Unterzeichneten fragen deshalb die Regierung an:

1. Wie lange dauert durchschnittlich die Abklärung eines einzelnen Gesuchs in den vergangenen zwei Jahren, aufgeschlüsselt nach ganzer Rente, halber Rente und Viertelsrente?

2. Welche Akteure verursachen welche Verzögerungen?

3. Was wird unternommen, um nun mit den Bestimmungen der 5. IV-Revision Rentengesuche zügig und trotzdem seriös abklären zu können?

4. Welches ist die Zielfrist, in welcher ein Rentengesuch abschliessend beurteilt werden soll?

5. Verfügen die zuständigen Stellen über genügend Ressourcen, um die gesteckten Ziele tatsächlich auch zu erreichen?

6. Sind die zuständigen Stellen bereit, mehr Vorschussleistungen zuzusprechen, wenn sich abzeichnet, dass die Zielfrist im konkreten Fall nicht eingehalten werden kann?

7. Was geschieht mit den Gesuchen, die noch nach „altem“ System eingereicht wurden?

8. Ist die Regierung bereit, mit weiteren konkreten Massnahmen dafür zu sorgen, dass ein Verfahrenslauf inklusive definitivem Leistungszuspruch nach Ablauf der Wartefrist von 1 Jahr tatsächlich erledigt ist?

Chur, 21. April 2008

Name: Peyer, Baselgia-Brunner, Trepp, Arquint, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jaag, Jäger, Menge, Pfenninger, Pfiffner-Bearth, Thöny, Locher Benguerel, Michel (Chur)

Session: 21.04.2008
Vorstoss: dt Anfrage

Antwort der Regierung

Antwort zu Frage 1: Der Entscheid, ob Anspruch auf eine Rente besteht und in welcher Abstufung, wird am Schluss des vorgegebenen IV-Renten-Abklärungsprozesses in der IV-Stelle Graubünden gefällt. Dessen Dauer steht in einem direkten individuellen Zusammenhang mit der persönlichen Situation der versicherten Person und der medizinischen Sachlage. Vor jedem Rentenentscheid muss gemäss dem Grundsatz „Eingliederung statt Rente“ die Zusprache von beruflichen Massnahmen (erstmalige berufliche Ausbildung, Umschulung, Arbeitsvermittlung) geprüft werden. Zu diesem Zwecke werden interdisziplinäre Assessments durchgeführt und bei Zusprachen von beruflichen Massnahmen Eingliederungspläne erstellt. Diese können Zeiträume von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren enthalten. Erst wenn das Thema Eingliederung bearbeitet ist, wird die Rentenfrage geprüft. Die Phase der Eingliederung bewirkt, dass die Bearbeitungszeit mit Fokus nur auf die Rente im Einzelfall sehr lange dauern kann. In den Jahren 2006 und 2007 wurden insgesamt 1'580 Rentenentscheide gefällt, wovon 35 % ablehnend verfügt werden mussten. Durchschnittlich dauerte es bis zum definitiven Rentenentscheid ein Jahr und sieben Monate. Die Rentenabstufungen haben keinen Einfluss auf die Bearbeitungsdauer.

Antwort zu Frage 2: Für die Beurteilung von Rentenansprüchen sind unterschiedlich viele interne und externe Abklärungen notwendig. Bei den externen Partnern, welche das Abklärungsverfahren verzögern, handelt es sich insbesondere um medizinische Abklärungsstellen (MEDAS). Auf einen MEDAS-Bericht wartete die IV-Stelle Graubünden infolge Arbeitsüberlastung der betroffenen Stellen nicht selten eineinhalb bis zwei Jahre. In der IV-Stelle Graubünden kam es insbesondere bei Abklärungen an Ort und Stelle zu Wartezeiten. Durch die Erhöhung der Personalressourcen werden die Pendenzen momentan abgebaut.

Antwort zu Frage 3: In der Absicht, die Rentenquote zu senken, steht nach der 5. IV-Revision noch mehr als bisher die Eingliederung im Fokus. Die 5. IV-Revision hat auf den Renten-Abklärungsprozess und die Bearbeitungsdauer der Rentengesuche tendenziell eine positive Auswirkung. In vielen Fällen ist der Prüfung der Rentenfrage eine Früherfassung mit allfälligen Frühinterventionen vorgelagert. Die Informationen und Dokumente aus den Prozessen Früherfassung und Frühintervention enthalten Daten, welche für die Rentenentscheide verwendet werden können.

Antwort zu Frage 4: Eine Zielfrist zur Bearbeitung von Rentengesuchen gibt es nicht. Die Abklärungen der IV-Stelle Graubünden müssen fundiert sein, da ein erstmaliger Entscheid sich langfristig auswirkt. Stellt die IV-Stelle Graubünden bei der Revision einer Rente fest, dass aufgrund rudimentärer Abklärungen ursprünglich zu hohe Leistungen gesprochen wurden, können diese in der Regel nicht mehr angepasst werden (auch nicht für die Zukunft). Des Weiteren besteht für andere Versicherungen, wie beispielsweise die Pensionskasse, eine Bindungswirkung an den IV-Renten-Entscheid. Eine Zielfrist zu setzen, ist aufgrund der verschiedenartigen Fälle weder sinnvoll noch möglich. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) unterzieht die IV-Stelle Graubünden periodisch einem Audit, in dem die Bearbeitungsdauer von Rentenentscheiden ein Prüfpunkt ist.

Antwort zu Frage 5: Die IV-Stelle Graubünden verfügt heute über genügend Ressourcen. Deren Zuteilung liegt im Kompetenzbereich des BSV.

Antwort zu Frage 6: Da sich die IV-Stelle Graubünden an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten hat, welche bezüglich Vorschussleistungen in den seltensten Fällen erfüllt sind, muss diese Frage mit „Nein“ beantwortet werden. Gemäss Art. 19 Abs. 4 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) müssen für Vorschusszahlungen gleichzeitig zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum Ersten muss der Anspruch auf Leistungen als nachgewiesen erscheinen. Zum Zweiten muss sich die Ausrichtung der (grundsätzlich feststehenden) Leistung verzögern. Der Erlass der Rentenverfügung verzögert sich nun aber zumeist gerade deshalb, weil der Anspruch auf Leistungen noch nicht nachgewiesen ist und daher weitere Abklärungen vorgenommen werden müssen.

Antwort zu Frage 7: In der Annahme, dass mit "altem System“ die Zeit vor der 5. IV-Revision gemeint ist, verweisen wir auf die Antwort zu Frage 3.

Antwort zu Frage 8: Gemäss Art. 53 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) wird die IV durch die IV-Stellen in Zusammenarbeit mit den Organen der Alters- und Hinterlassenenversicherung und unter Aufsicht des Bundes gemäss Art. 76 ATSG verwaltet. Der Bund sorgt gemäss Art. 54 IVG für die Errichtung kantonaler IV-Stellen. Dementsprechend ist das BSV, aber nicht die Regierung für die Einleitung allfälliger Massnahmen zuständig.

Datum: 04. Juni 2008