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Session: 23.04.2008
Während fast 150 Jahren blieben die Grundzüge der Gerichtsorganisation im Kanton Graubünden nahezu unverändert; erst in den letzten zehn Jahren wurde die Justiz an die veränderten Bedürfnisse angepasst. Die Gerichtsreform 1 (erstinstanzliche Gerichte) hat sich grundsätzlich bewährt; insbesondere die Bündelung der Aufgaben hat die gewünschten Verbesserungen gebracht. Die Justizreform 2 (Kantons- und Verwaltungsgericht) kann noch nicht beurteilt werden, da das Kernstück der Vorlage (Wechsel zum Vollamt bei den Richterinnen und Richtern) erst auf den 1. Januar 2009 in Kraft treten wird.

Voraussichtlich auf den 1. Januar 2010 werden die schweizerische Straf- und Zivilprozessordnung und später das rev. Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft treten. Deren zwingende Vorgaben führen zu weiteren Anpassungen im Bereich der erstinstanzlichen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit. Die Regierung will die Gelegenheit nutzen, um die Aufgaben im Justizbereich zu entflechten und die erstinstanzliche Gerichtsbarkeit bei den Bezirksgerichten bzw. das Strafbefehlsverfahren bei der Staatsanwaltschaft zu konzentrieren. Nach Auffassung der KJS sind in diesem Zusammenhang auch die bei der Gerichtsreform 1 zurückgestellten Reformen beförderlich an die Hand zu nehmen, um zu vermeiden, dass die Gerichtsorganisation in kurzer Zeit einer weiteren Reform unterzogen werden muss. Die Bezirksorganisation im Kanton Graubünden ist mit Blick auf die künftigen Anforderungen auszugestalten. Danach ist von weiteren Reformen abzusehen, um die ans Bundesrecht angepassten und optimierten Struktur zu konsolidieren.
 
Die KJS beauftragt hiermit die Regierung, die Struktur und Organisation der Bezirksgerichte, des Vormundschaftswesens, der Betreibungs- und Konkursämter sowie der Kreisnotariate im Lichte der übergeordneten Rechtsentwicklung einer näheren Betrachtung zu unterziehen, dem Grossen Rat darüber Bericht zu erstatten und konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Zu prüfen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Bezirkseinteilung (Grösse der Gerichtssprengel, allenfalls territoriale Angleichung an Regionalverbände), die Stellvertreterregelung und das Wahlverfahren, inklusive die Amtsdauer. Die Zuweisung administrativer Zuständigkeiten soll dabei möglichst gebündelt an ein einziges Staatsorgan erfolgen. Im Rahmen der ebenfalls zu prüfenden Kantonalisierung der unteren Gerichte sind einheitliche Lösungen, etwa im Bereiche der Vorsorge, anzustreben.

Chur, 23. April 2008

Name: Rathgeb, Bezzola (Zernez), Bondolfi, Butzerin, Campell, Casutt (Falera), Christoffel-Casty, Hartmann (Champfèr), Keller, Menge, Sax

Session: 23.04.2008
Vorstoss: dt Auftrag

Antwort der Regierung

Im Bericht vom 28. August 2007 über das Regierungsprogramm und den Finanzplan für die Jahre 2009-2012 hat sich die Regierung in der strategischen Absicht 16 dafür ausgesprochen, mittels Änderung der Zuständigkeiten und mittels Strukturreformen bei der erstinstanzlichen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit eine wirksame und schlanke Organisation mit klaren territorialen Strukturen und optimalen Verfahrensabläufen ohne Doppelspurigkeiten zu erreichen. Die Strukturreformen und die Überprüfung der Bezirkseinteilung werden dabei ausdrücklich als Massnahmen beim Entwicklungsschwerpunkt 7 „Gerichte“ aufgeführt. Die Massnahmen verfolgen das Ziel, die permanente Erreichbarkeit der Gerichte mit vollamtlicher Stellvertretung vor allem beim Präsidium und bei der Kanzlei zu gewährleisten und dadurch die Gerichtsorganisation zu optimieren. Der Grosse Rat hat die strategische Absicht und den damit verbundenen Entwicklungsschwerpunkt diskussionslos gutgeheissen.

Sowohl die Bezirksgerichte als Direktbetroffene als auch das Kantonsgericht als Aufsichtsbehörde und die kantonale Finanzkontrolle als „externe Revisionsstelle“ begrüssen eine umfassende Überprüfung der Justizorganisation auf Bezirksebene, wie sie von der grossrätlichen Kommission für Justiz und Sicherheit verlangt wird. Im Vernehmlassungsbericht vom 5. März 2008 über die grundsätzliche Ausgestaltung der erstinstanzlichen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit in Graubünden teilt die Regierung die Einschätzung, dass der Prüfungsbedarf hinsichtlich der Justizorganisation den im Regierungsprogramm 2009-2012 erwähnten Aspekt der Struktur und Organisation der Bezirksgerichte übersteigt und auch die anderen im Auftrag erwähnten Bereiche beschlägt. In welcher Form die gründliche Prüfung aller Aspekte erfolgen soll und zu welchen Schlüssen diese führen wird, ist für die Regierung derzeit aber noch offen.

Das Anliegen, wonach die Projekte zur Anpassung des kantonalen Rechts an die verschiedenen bundesrechtlichen Reformen im Justizbereich im weiteren Sinn (neben der schweizerischen Strafprozessordnung [StPO] und Zivilprozessordnung [ZPO] etwa die Totalrevision des Vormundschaftsrechts oder die zwingende Einführung des elektronischen Geschäftsverkehrs im Betreibungs- und Konkurswesen) inhaltlich und zeitlich zu koordinieren sind, kann die Regierung grundsätzlich ebenfalls teilen. Die unterschiedlichen Vorgaben des Bundes hinsichtlich des Inkrafttretens dieser Reformen (StPO und ZPO voraussichtlich 2011, Kindes- und Erwachsenenschutzrecht voraussichtlich 2012, Projekt eSchKG voraussichtlich zusammen mit ZPO) stehen allerdings einer zeitlichen Koordination tendenziell entgegen.

Aus diesem Grund hat sich die Regierung im Zusammenhang mit der Teilrevision der Kantonsverfassung (richterliche Aufgaben der Kreise) zur Umsetzung von StPO und ZPO für ein gestaffeltes Vorgehen ausgesprochen, was in der Vernehmlassung mehrheitlich befürwortet wurde. Daher soll die Umsetzung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts in Graubünden voraussichtlich mit einer eigenen Projektorganisation erfolgen. Im Übrigen strebt die Regierung mit Blick auf die rechtsuchende Bevölkerung und die betroffenen Gerichtsmitglieder und Berufsgruppen nach Möglichkeit ein gleichzeitiges Inkrafttreten von Strukturreform und neuem Verfahrensrecht an. Einen verbindlichen Zeitplan kann die Regierung im jetzigen Zeitpunkt nicht angeben, da die massgeblichen Vorgaben des Bundes noch ausstehen.

Die Regierung ist bereit, den Kommissionsauftrag im Sinne der Erwägungen entgegenzunehmen.

Datum: 10. Juli 2008