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Session: 11.06.2008
Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die schweizerische Wirtschaft generell, aber im Besonderen im Gebiet der Dienstleistungsberufe mit einem grossen Arbeitskräftemangel konfrontiert. Insbesondere Frauen aus fremden Kulturen verfügen oft über keine oder nur eine rudimentäre Schulbildung. Dieses Bildungs- und Arbeitskräftepotenzial gilt es zu erschliessen, indem diesen Personen ein Abschluss auf Volksschulbildungsstufe ermöglicht wird. Dies nicht nur als integrationsförderliche Massnahme, sondern auch als Massnahme zur Verbesserung der Startchancen für deren Kinder. Die Volksschulbildung gibt ihnen auch die Möglichkeit, sich anschliessend die beruflichen Qualifikationen zu erwerben, so dass sie in den Arbeitsprozess und damit auch in die Gesellschaft eingegliedert werden können. Auch soll für alle Erwachsene schweizerischer Herkunft, welche einen Realschulabschluss haben generell die Möglichkeit bestehen, den Sekundarschulabschluss nachzuholen, um dann bessere Chancen für eine Weiterbildung zu erhalten.

Die Sozial- und Arbeitslosenstatistiken sprechen eine klare Sprache. Menschen mit fehlenden Abschlüssen auf der Real- und Sekundarschulstufe sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen und müssen ebenfalls überdurchschnittlich durch die Sozialdienste unterstützt werden. Kinder, die in solch bildungsfernen und teilweise abgeschlossenen Verhältnissen aufwachsen haben oft Mühe in der Schule Tritt zu fassen.

Im Zuge der Einwanderung oder auch der Flucht kommen nach wie vor Menschen ohne einen Volksschulabschluss in den Kanton Graubünden. Es ist ausserordentlich schwierig, diese Menschen in den Arbeitsprozess oder allenfalls in eine Ausbildung zu integrieren. Erfahrungen aus den Integrationskursen für fremdsprachige Menschen, welche sich in einem Einbürgerungsverfahren befinden zeigen auf, dass oft die fehlende schulische Vorbildung eine Integration in unsere Gesellschaft erschweren, oftmals sogar verunmöglichen.

In den Kantonen Zürich und St Gallen sind Vorbereitungskurse, welche auf einen Volksschulabschluss vorbereiten, installiert und werden seit Jahren erfolgreich durchgeführt. Im Grossen Rat Bern wurde dieses Jahr ein Auftrag betreffend Volksschulabschluss für Erwachsene eingereicht. Das Rad müsste für den Kanton Graubünden nicht neu erfunden werden und eine Realisierung könnte baldmöglichst erfolgen.

Die Unterzeichnenden stellen der Regierung folgende Fragen:

1. Wie stellt sich die Regierung grundsätzlich zu einem Bildungsangebot für Erwachsene, welches ermöglicht, berufsbegleitend den Volksschulabschluss gemäss dem Bündnerischen Lehrplan nachzuholen?

2. Besteht in Graubünden bereits ein solches Angebot, welches erwachsenen Personen ermöglicht, den Volksschulabschluss nachzuholen?

3. Wie beurteilt die Regierung die Möglichkeit, dass RealschulabgängerInnen den Sekundarschulabschluss nachholen können?

Chur, 11. Juni 2008

Name: Michel (Chur), Bucher-Brini, Florin-Caluori, Arquint, Baselgia-Brunner, Bezzola (Samedan), Blumenthal, Brandenburger, Cahannes Renggli, Casutt, Christoffel-Casty, Dermont, Feltscher, Frigg-Walt, Gartmann-Albin, Jaag, Jäger, Koch, Kunz, Mani-Heldstab, Menge, Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Pfiffner-Bearth, Pfister, Ragettli, Thomann, Thöny, Trepp, Tuor, Wettstein, Hemmi, Pedrini (Soazza)

Session: 11.06.2008
Vorstoss: dt Anfrage

Antwort der Regierung

Die Anfrage wird hauptsächlich damit begründet, dass mit dem Nachholen eines Volksschulabschlusses einem drohenden Arbeitskräftemangel im Bereich der Dienstleistungsberufe entgegengewirkt werden könne. Zudem wird darauf verwiesen, dass Personen ohne Volksschulabschluss überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und damit Nutzniesser von Sozialdiensten seien.

Die seit 1989 in Zürich gemachten Erfahrungen mit dem Angebot, wonach Erwachsene einen Abschluss auf der Sekundarstufe I auf zwei unterschiedlichen Ausbildungsniveaus nachholen können, zeigen folgendes Bild. Im bevölkerungsreichsten Kanton absolvieren jährlich rund 40 – 50 Erwachsene die Ausbildung mit Erfolg. Das Nachholen eines Volksschulabschlusses kann somit einem zukünftigen Arbeitskräftemangel im Dienstleistungsbereich kaum nachhaltig entgegenwirken.

Um die Arbeitsmarktfähigkeit einzelner Personen zu erhöhen und die Abhängigkeit vom staatlichen Sozialdienst zu reduzieren, können auch Massnahmen im Weiterbildungsbereich geeignet sein. Gemäss Sozialhilfestatistik 2006 verfügen 54% der Sozialhilfeempfänger/-innen über keine berufliche Ausbildung (Anteil der Personen ohne berufliche Ausbildung an der Gesamtbevölkerung 26%) und 44% der Sozialhilfeempfänger/-innen sind ausländischer Nationalität (Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung 21%). Im Rahmen dieser Überlegungen kann die Erlangung eines Volksschulabschlusses im Erwachsenenalter nur als eine von verschiedenen zielführenden Möglichkeiten angesehen werden.

Um nun aber überhaupt einen Volksschulabschluss nachholen zu können, muss eine genügende Sprach- und Lesekompetenz in mindestens einer unserer Landessprachen vorausgesetzt werden. Dem Bericht „Lesen und Rechnen im Alltag“ des Bundesamtes für Statistik (BfS, 2006, S. 6) kann u.a. entnommen werden, dass in der Schweiz für rund 16% der 16 – 65-jährigen Bevölkerung oder nahezu 800'000 Personen das Lesen selbst eines sehr einfachen Textes unüberwindbare Verständnisprobleme bereitet. Dieses Phänomen wird unter dem Begriff Illettrismus (funktionaler Analphabetismus) zusammengefasst und zeigt, dass die Erlangung eines Volksschulabschlusses bereits an mangelnder Sprachkompetenz scheitern könnte.

Aufgrund obiger Ausführungen beantwortet die Regierung die Fragen folgendermassen:

1. Ein isoliertes Angebot zur Erlangung eines Volksschulabschlusses erachtet die Regierung als nicht zielführend. Um die Arbeitsmarktfähigkeit von Personen zu erhöhen und deren Abhängigkeit vom staatlichen Sozialdienst zu reduzieren, ist ein zielgruppenspezifisches Weiterbildungsangebot notwendig. Insbesondere muss zur Integration von Personen aus fremden Kulturen ein Ausbildungsangebot vorliegen, zu welchem auch das Vermitteln der Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen und das Vermitteln von EDV-Kenntnissen gehört.

2. In Graubünden besteht kein Angebot, welches erwachsenen Personen die Möglichkeit bietet, einen Volksschulabschluss nachzuholen.

3. Da der Kanton Graubünden über kein entsprechendes Angebot verfügt, kann der Sekundarschulabschluss auch nicht von Realschülerinnen oder –schülern nachgeholt werden.

Datum: 03. September 2008