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Session: 29.08.2009
Neu wird ab diesem Schuljahr an den Bündner Kindergärten im deutschen Sprachraum, obligatorisch zu 50% Hochdeutsch und 50% Mundart unterrichtet. Gerade für die Integration fremdsprachiger Kinder ist das Erlernen der mündlichen Umgangssprache von grosser Bedeutung. Der Dialekt ist auch ein Teil unserer Identität, ein beliebtes Kulturgut Graubündens, der gepflegt und erhalten werden sollte.

Aufgrund der Einführung von Englisch auf der Primarstufe wurde eine neue Stundentafel ausgearbeitet. Kurz vor den Sommerferien hat die Regierung die neue Stundentafel, gültig ab 2010/2011 verabschiedet. Dabei sind die Handarbeits- und Werklektionen der 5. und 6. Klasse um 50% gestrichen worden. Im italienischen Sprachgebiet eine weitere Lektion in der 3. Klasse.

Obwohl stetig mehr Kinder Probleme mit der Feinmotorik haben und teilweise deswegen sogar therapiert werden, hat man nun gerade bei den handwerklichen Fächern Lektionen abgebaut. Die Handfertigkeiten können so immer weniger gefördert werden und der Einstieg in handwerkliche Berufe wird damit schwieriger.

Die Volksschule sollte die Kinder ganzheitlich fördern - mit Kopf, Herz und Hand!

Daher ersuchen wir die Regierung um die Beantwortung folgender Fragen:

1. Welche Annahmen leiteten die Regierung bei der Stundentafelanpassung zur Verankerung des neuen Fremdsprachfaches Englisch auf der Primarstufe zu den vollzogenen Kürzungen im musischen Fachbereich?

2. Worauf stützt sich die Einführung von Hochdeutsch im Kindergarten in fachlicher und formaler Hinsicht?

3. Aufgrund welcher Erkenntnisse geht die Regierung davon aus, dass 50% Hochdeutsch im Kindergarten zu einer Verbesserung der Sprachkompetenz führt?

Chur, 29. August 2009

Heinz, Butzerin, Mani-Heldstab, Brandenburger, Buchli, Campell, Castelberg-Fleischhauer, Casutt, Christoffel-Casty, Giovanoli, Koch, Mengotti, Noi-Togni, Peer, Ratti, Stoffel, Troncana-Sauer, Furrer-Cabalzar, Mainetti

Antwort der Regierung

Der Regierung ist es ein Anliegen, dass der ganzheitliche Ansatz, auf welchem die Volksschule gemäss Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827) aufbaut, als deren Fundament erhalten bleibt und dass weder unsere Kindergärten noch unsere Schulen „kopflastig” werden.

Pestalozzi fasste seine Idealvorstellung einer ausgeglichenen Förderung mit der im Vorstoss zitierten Begriffe-Trias „Kopf-Herz-Hand” zusammen. Sein Ziel war, die jungen Menschen seiner Zeit durch eine ganzheitliche Erziehung soweit zu bringen, dass sie in ihrer konkreten Lebenssituation bestehen und sich selbst helfen konnten. Auch die Kindergärten und Schulen von heute sind dem Ideal einer ganzheitlichen Erziehung verpflichtet. Ihr Auftrag besteht darin, die Jugend auf das Leben im 21. Jahrhundert vorzubereiten. In diesem Sinne betrachtet die Regierung die seit Pestalozzi angestrebte Kombination von „Kopf”, „Herz” und „Hand” nicht als einen fixen, seit 200 Jahren gültigen Massstab, sondern als einen dynamischen Prozess. Die im Vorstoss erwähnte Anpassung der Lektionentafeln vom 23. Juni 2009 sowie die Einführung von Hochdeutsch im Kindergarten sind Teile dieser im 18. Jahrhundert in Gang gesetzten Entwicklung. Vor diesem Hintergrund lassen sich die konkreten Fragen des Vorstosses folgendermassen beantworten:

 

  1. Die Anpassung der Lektionentafeln der Primarstufe vom Juni 2009 ist die direkte Folge eines Beschlusses des Grossen Rates. Dieser hat in der Aprilsession 2008 einer Teilrevision des Schulgesetzes zugestimmt und darin für den ganzen Kanton die Einführung von Englisch ab dem 5. Schuljahr sowie die Vorverlegung der ersten Fremdsprache ins 3. Schuljahr festgelegt. Eine Anpassung der Stundentafeln war somit unumgänglich. Bei diesem Vorgehen verfolgte die Regierung das Ziel, weder die wöchentliche Lektionenzahl für die Schülerinnen und Schüler zu erhöhen noch den mathematischen Bereich und/oder die Kantonssprachen zu schwächen. Für das auf der Primarstufe neue Unterrichtsfach Englisch wurde im Sinne der Gleichbehandlung für alle Regionen des Kantons eine einheitliche Dotation angestrebt. Angesichts dieser Vorgaben und Zielsetzungen blieb für die Anpassungen der Stundentafeln wenig Spielraum. Zu einem grossen Teil gingen sie zu Lasten des Bereiches Handarbeit/Werken. Dennoch bewegt sich die gefundene Lösung – im Vergleich mit den Kantonen der EDK-Ost – nach wie vor innerhalb eines ausgeglichenen Rahmens.

     

  2. Um die Ausdrucksfähigkeit der Bündner Schülerinnen und Schüler zu fördern, setzte das Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement (EKUD) auf den 1.1.2006 die „Richtlinien betreffend Standardsprache Deutsch in der Volksschule des Kantons Graubünden” in Kraft. Diese Richtlinien haben zum Ziel, den Stellenwert von Hochdeutsch in der Bündner Volksschule zu stärken, ohne dadurch die Mundart zu schwächen. Wissenschaftliche Studien heben hervor, dass die optimale Förderung von Hochdeutsch bereits vor dem Schuleintritt beginnt. Im Sinne einer kindergerechten vorschulischen Förderung von Hochdeutsch sowie auf Ersuchen des Verbandes Kindergärtnerinnen Graubünden (KgGR) erteilte das EKUD der Pädagogischen Hochschule Graubünden den Auftrag, ein entsprechendes Zusatzkonzept für den Kindergarten zu entwickeln. Dieses sieht im Sinne einer Vorbereitung für den Schuleintritt ein bewusst gelebtes und motivierendes Miteinander von Mundart und Hochdeutsch vor.

     

  3. Verschiedene Studien belegen, dass für das Sprachenlernen bereits im Vorschulalter wichtige Weichen gestellt werden. Die Vorgabe, im Kindergarten bewusst je zur Hälfte die Mundart und das Hochdeutsche einzusetzen, basiert nicht auf streng wissenschaftlichen Erkenntnissen. Eine Mischung von 50 Prozent Dialekt und 50 Prozent Standardsprache ist aber sinnvoll und vertretbar. Wird das Sprachverhalten der Kinder auf dem Pausenplatz und zu Hause mitgerechnet, so steigt der Anteil der Mundart gegenüber dem Hochdeutschen um das Mehrfache. Ziel aller Bemühungen muss sein, den Kindern aus allen Kulturen möglichst früh die Erfahrung und die Sicherheit zu vermitteln, dass man über alle Lebensbereiche – auch über Gefühle – sowohl in Mundart als auch in Hochdeutsch sprechen kann.

 

8. Oktober 2009