Zuallererst möchte ich ein Zitat mit euch teilen, das mich berührt hat: «Ich bin nicht alleine bis hierher gekommen, sondern wir alle zusammen. Mit unseren Heldinnen, mit unseren Vorfahren, mit unseren Müttern, unseren Töchtern und unseren Enkelinnen.» Dies sagte Claudia Sheinbaum, die Anfang Juni als erste Frau ins Präsidentenamt Mexikos gewählt wurde.
Was mich an Sheinbaums Zitat berührt, ist der Blick aufs grosse Ganze. Auf diejenigen, die vor uns da waren und nach uns kommen. Ich fühle mich getragen von all diesen Menschen und Generationen.
Aber wie denkt denn die junge Generation über Gleichstellung? Ist das überhaupt ein Thema? Am 19. Juni 2024 wurde das dritte nationale Gleichstellungsbarometer «Fokus Generation Z» veröffentlicht, nachzulesen unter www.equality.ch. Die Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten ermöglicht damit einen Einblick in deren Denkwelten und einen Generationenvergleich. Die Studie wurde von der Forschungseinrichtung Sotomo durchgeführt. Die Ergebnisse des Barometers Gleichstellung sind aufschlussreich, nachvollziehbar – und teils ernüchternd.
Geschlechtergraben verschärft sich
Frauen beurteilen den Stand der Gleichstellung generell schlechter als Männer. Das ist nicht neu. Den grössten «Geschlechtergraben» gibt es indes innerhalb der Generation Z. Zwar wurde keine Auswertung nach Kantonen gemacht. Die Zuordnung zu verschiedenen Raumtypen – Land, Agglomeration, kleine Städte, grosse Städte – lässt aber doch Rückschlüsse für Graubünden zu. Generell beurteilen die befragten jungen Menschen der Jahrgänge 1997 bis 2007 in ländlichen Regionen den Stand der Gleichstellung optimistischer als solche in städtischen Regionen.
Den grössten Rückstand sehen die Studienteilnehmenden der Generation Z landauf-landab in der Lohngleichheit. Bei den Ausbildungsmöglichkeiten hingegen beurteilen junge Menschen auf dem Land und in kleinen Städten den Stand der Gleichstellung negativer als jene in Agglomerationen und grossen Städten. Ich vermute, dies hängt unter anderem mit der Erreichbarkeit von vielfältigen Bildungsangeboten zusammen.
Doch was ist zu tun? Hier gehen die Meinungen nicht allzu weit auseinander. Zwischen 79 und 85 Prozent Zustimmung erhalten die Vorschläge «Einführung einer flexibel aufteilbaren Elternzeit», «Flexible Arbeitszeitmodelle» und «Längerer Vaterschaftsurlaub».
Frauen zwischen 28 und 43 am häufigsten diskriminiert
Betrachten wir die Aussagen über alle Generationen hinweg: Frauen geben deutlich öfter als Männer an, am Arbeitsplatz auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit benachteiligt worden zu sein. Am häufigsten trifft dies auf die Generation Y zu, also auf Menschen der Jahrgänge 1981 bis 1996.
Was können Arbeitgebende tun? Mit dem «Aktionsplan Gleichstellung in der Kantonalen Verwaltung» (egual21) haben wir von der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann zusammen mit anderen Dienststellen bereits einiges aufgegleist, was zu einer Verbesserung der betrieblichen Gleichstellung führen soll. Letzte Woche hat die Regierung den ersten Zwischenbericht der Umsetzung zur Kenntnis genommen. Er zeigt: Wir sind auf dem Weg – und es gibt noch viel zu tun. Themenfelder, an denen wir intensiv arbeiten, sind etwa Vereinbarkeit von Beruf und weiteren Lebensbereichen oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
So zeigt das Barometer Gleichstellung auf, dass ein Grossteil der Frauen, die von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen waren, ein sensibilisiertes Arbeitsumfeld vermisst haben. Gefehlt habe die Unterstützung durch Vorgesetzte sowie eine interne oder externe Vertrauensperson, an die sich Betroffene zwecks Beratung und Unterstützung wenden können. Der Kanton Graubünden als Arbeitgeber ist in diesem Themenfeld unter anderem unterwegs mit einer anonymen Meldestelle für Missstände im Personalbereich. Es braucht aber noch viel Auf- und Prozessklärung, wie gemäss Gleichstellungsgesetz in einem Verdachtsfall vorzugehen ist – für Mitarbeitende wie für Leitungspersonen.
Grossen Bedarf gibt es beim Einbezug von Männern in die Gleichstellungsbemühungen, denke ich beim Lesen des Barometers Gleichstellung. So möchte ich Claudia Sheinbaum zurufen: «Vergessen Sie die Männer nicht!» Ich jedenfalls fühle mich getragen von meinen Eltern, Söhnen, Nichten, Enkelkindern und all den Menschen, die auch dieses Jahr am Feministischen Streiktag am 14. Juni schweizweit auf die Strasse gegangen sind für mehr Gleichberechtigung.
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert als Gastkommentar im Bündner Tagblatt vom 20. Juni 2024.
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