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"Gemeinde-Exekutivpolitiker haben Fähigkeiten, die auch im Wirtschaftsleben und in Kaderfunktionen gefragt sind."

An wen denken Sie, wenn Sie das lesen? Falls Sie eine Frau sind: Fühlen Sie sich angesprochen?

Wohl kaum. Sprache schafft Wirklichkeit. Hier werden über Sprache Rollenbilder zementiert und Kompetenzen zugeschrieben – und damit Kompetenzen nicht genutzt, nämlich diejenigen von Frauen, die ausgeschlossen werden.

Der Werkstoff der Medien ist Sprache. Es geht hier aber nicht ums "gendern", also die Anwendung einer inklusiven Sprache, sondern um die Darstellung von Menschen in den Medien. Wer wird befragt, wenn es um Expertisen geht? Welche Menschen werden als Betroffene erwähnt? In welchen Rollen werden Frauen und Männer gezeigt? Zwei Studien befassen sich aktuell mit diesen Fragen: die Studie "Darstellung von Frauen in der Berichterstattung Schweizer Medien" des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) und das "Global Media Monitoring Project" (GMMP). Beide kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen.

Fakt ist: Frauen sind in den Schweizer Medien massiv unterrepräsentiert. Nur etwa jede vierte Person, die erwähnt wird, ist eine Frau. Dank des Frauenstreiks und der eidgenössischen Wahlen stieg der Anteil der gezeigten Frauen 2019 zwischenzeitlich etwas an, sank 2020 aber wieder.

Wenn Frauen in der Berichterstattung vorkommen, dann vor allem in den Sparten Kultur und Gesellschaft. Der grösste "Gender Gap", also Unterschied zwischen den Geschlechtern, besteht bei Wirtschaft und Sport.

Aber auch in der Politik werden Frauen weniger oft erwähnt, als sie tatsächlich vertreten sind. Fatal: Politikerinnen und Politiker, die seltener in den Medien erwähnt werden, haben laut fög eine geringere Chance, für politische Positionen nominiert oder gewählt zu werden. Journalistinnen und Journalisten können also zu einer ausgewogeneren Geschlechtervertretung in der Politik beitragen – was in Graubünden im Hinblick auf die Regierungs- und Grossratswahlen im Mai 2022 von Bedeutung ist. Zurzeit sind wir im Grossen Rat bei rund 20 Prozent, in der Regierung bei 0 Prozent Frauenanteil.

Frauen werden zudem eher als Opfer, Betroffene und Augenzeuginnen dargestellt, während Männer eher in der Rolle als Experten und Führungspersonen auftreten. Es gilt: Je höher die berufliche Hierarchiestufe, desto grösser der Gender Gap zu Gunsten der Männer. Nur beim Liebesleben gibt es einen Gender Gap andersrum: Das von Frauen wird eher thematisiert als das von Männern.

Nun könnte man argumentieren: Die Resultate spiegeln nur die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen. Das stimmt nur teilweise: So gibt es im Wirtschaftsleben tatsächlich weniger Frauen in Führungspositionen, wohingegen im Sport 40 Prozent der Athleten und Athletinnen Frauen sind, ihr Anteil der Erwähnungen in den Medien aber nur vier Prozent ausmacht.

Ebenso beeinflussen journalistische Auswahlkriterien und Routinen die Berichterstattung. Eine davon ist "Recycling": Man fragt immer wieder dieselbe Person zu einem Thema an. Würden mehr Frauen als Expertinnen, Sprecherinnen und Repräsentantinnen angefragt und erwähnt, würden sie sichtbarer – und es gäbe irgendwann mehr davon. Diese Vorbildfunktion ist nicht zu unterschätzen. Doch man fragt sie nicht an, weil man sie nicht (gut genug) kennt oder es zu aufwändig erscheint, sie zu finden im journalistischen Alltag. Doch wer sucht, der findet. Dies zeigen Initiativen einzelner Medienhäuser. Ringier und SRG etwa konnten mit ihren Initiativen "equal voice" bzw. "Chance50:50" den Frauenanteil in der Berichterstattung erhöhen. Auch die "Republik" führt seit Gründung ein Monitoring des Frauenanteils in der Berichterstattung und in der Redaktion durch. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Datenbanken, über die sich Expertinnen für unterschiedliche Bereiche finden lassen. Die Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann Graubünden listet einige auf ihrer Website www.stagl.gr.ch unter "Dienstleistungen" auf.

Damit wäre es aber noch nicht getan. Noch viel dramatischer sieht es nämlich aus, wenn es um die Repräsentanz nicht gender-konformer Personen in den Medien geht. Sie sind quasi nichtexistent: Die GMMP-Studie hat in ihrer Untersuchung gerade mal eine Person, ein Kind, ausgemacht.

Dieser Beitrag erschien am 8. Oktober 2021 als Gastkommentar von Barbara Wülser im Bündner Tagblatt.

Links und Informationen: 

• Global Media Monitoring Project 2020, Bericht Schweiz und Executive Summary 
• fög-Studie "Darstellung von Frauen in der Berichterstattung Schweizer Medien. Jahrbuch Qualität der Medien 1/2021. Weitere Informationen finden Sie hier. 
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