«Femizid» ist das Fokusthema der diesjährigen Aktionstage «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Vom 25. November bis 10. Dezember 2022 finden im ganzen Kanton zahlreiche und vielfältige Veranstaltungen und Aktionen statt. Die Farbe Orange begleitet diese.
Jährlich erfasst das Bundesamt für Statistik (BFS) die Zahlen zur häuslichen Gewalt. Dazu zählen auch die im häuslichen Bereich vollzogenen Tötungsdelikte. Mit 23 Fällen machten sie 2021 über die Hälfte aller polizeilich registrierten Tötungsdelikte in der Schweiz aus. Besonders frappant: 20 der 23 Opfer, also knapp 87 Prozent, sind weiblich. Die Frage, ob ihr Geschlecht den Frauen zum Verhängnis wurde, bleibt offen. Denn: Die Schweiz erhebt keine Zahlen zum Femizid, der Ermordung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Zu ihnen zählen Tötungen im Bereich der Partnerschaftsgewalt, Ehrenmorde, Tötungen von Frauen und Mädchen in Kriegskonflikten sowie Frauen- und Mädchenhandel.
Statistik fördert Verantwortungsgefühl
Die gesamtschweizerische Erfassung von Femizid ist eine der Forderungen der jährlich stattfindenden «Orange Days». Femizid ist der Schwerpunkt der Präventions- und Sensibilisierungskampagne, die vom 25. November bis zum 10. Dezember 2022 andauert. Organisatorinnen der Veranstaltungen und Aktionen sind unter anderem der Soroptimist Club, der Zonta Club, der Schweizerische Verband der Akademikerinnen, das Frauenhaus sowie das Frauen*streikkollektiv Graubünden.
Durch den Verzicht auf die statistische Kategorisierung werde der Femizids nicht als soziale Tatsache anerkannt, lautet das Fazit von Andrea Isabel Frei, die ihre Masterarbeit der fehlenden statistischen Erfassung von Femizid in der Schweiz widmete: «Er bleibt dem öffentlichen Wissen und politischen Handeln verborgen.» Frei geht davon aus, dass die Schaffung einer neuen statistischen Kategorie die öffentliche Perspektive auf die Femizid-Thematik verändern und zu einem kollektiven Verantwortungsgefühl beitragen würde.
Brot statt häusliche Gewalt in der Tüte
Rund um den Globus werden Gebäude orange beleuchtet, um die Gewalt an Frauen und Mädchen sichtbar zu machen. In Graubünden bekennen zahlreiche Organisationen, Institutionen und Firmen Farbe mit verschiedensten Aktionen und Veranstaltungen. Diese reichen von Brottüten mit dem Aufdruck «Gewalt kommt bei uns nicht in die Tüte» über Kunstworkshops und Aktionsstände bis hin zu einem öffentlichen Denkmal: Für jedes Opfer von Femizid in der Schweiz werden vor dem Stadttheater Chur ein Paar orangefarbene Schuhe aufgestellt.
Auch in den Regionen sind Aktionen geplant. Mit einer riesigen Hand überreicht etwa der neu gegründete Club Soroptimist International Moesano an jedem Aktionstag einer anderen Gemeindevertretung im Tal die Botschaft «Stoppt die Gewalt». Die Zeremonien werden jeweils von einer Botschafterin begleitet. Am 5. Dezember 2022 wohnt Barbara Wülser, die Leiterin der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann, der Zeremonie in Mesocco bei. «Hinter den Gewalttaten an Frauen stehen oftmals einseitige Sozialisierungsvorstellungen», so Wülser. Viele männlich sozialisierte Personen übernähmen Aggression als Bewältigungsstrategie. Diese werde als gegeben betrachtet. Oft werde die Passivität der Frau ins Zentrum der Debatte gestellt. «Man fragt 'Warum ist sie bei ihm geblieben?' anstatt zu fragen 'Warum hat er ihr Gewalt angetan?'.»
Die Aktionstage tragen dazu bei, das bestehende Narrativ zu verändern: Gewalt an Frauen ist weder Privatsache noch handelt es sich um Einzelfälle, Beziehungsdramen oder Familientragödien. Es braucht eine klare Benennung: Es sind Gewalttaten, die in unserer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen. Jedes Opfer ist eines zu viel.
Quellen und weitere Informationen:
Aktionstage Häusliche Gewalt 2022 mit Fokus «Femizid» (gr.ch)