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Ich bin eine Frau. Wieso ich das weiss? Schwierige Frage, einfache Antwort: Ist einfach so! Bereits in meinen ersten Lebensjahren habe ich meine Geschlechtsidentität entwickelt, besagen Studien. Gastkommentar von Barbara Wülser im Bündner Tagblatt.

Bewusst war sie mir damals nicht, weil ich als Cis-Frau – als Frau, deren Geschlechtsidentität mit dem Geburtsgeschlecht übereinstimmt – der «Norm» entspreche. Oder dem, was man sich landläufig darunter vorstellt.

Menschen, die nicht dieser vermeintlichen Norm entsprechen, spüren das meist schon sehr früh – und leiden oft in unserer Gesellschaft, deren Vorstellungen und Rituale stark binär – meint zweigeschlechtlich – ausgerichtet sind. Für Vielfalt fehlt oftmals die Vorstellungkraft.

Trans Menschen, non-binäre Personen, genderfluide, agender oder genderqueere Personen passen in dieses Schema nicht rein. Darunter leidet auch die psychische Gesundheit von trans Kindern und Jugendlichen, was sich oft im Erwachsenenalter weiter bemerkbar macht. Auch Menschen, die sich als nicht heterosexuell bezeichnen – homo-, bi- oder transsexuelle – haben meistens einen längeren Weg hinter sich, bis sie ihr inneres Befinden wahrnehmen und gegen aussen vertreten. Inneres und äusseres Coming-Out nennt man das. Das innere findet meistens zwischen 13 und 16, das äussere mit etwa 17 Jahren statt.

Alle diese Menschen haben, wie alle Minderheiten, Stress. Ich stelle mir das so vor, wie wenn ich immer aufs Männerklo müsste. Schaurige Vorstellung! Fühlt sich irgendwie falsch und befremdend an.

Wer darf mitreden?

Doch was weiss ich als weisse hetero Cis-Frau davon? Warum äussere ich mich als Bündner Gleichstellungsbeauftragte dazu? Mich zu äussern, braucht Mut! Wie viel Mut braucht erst eine homosexuelle, trans oder Person of color, sich zu outen oder auch nur sich einzubringen?

Es geht bei diesem Thema stark um Identitäten und Begrifflichkeiten. Das Alphabet wirkt erst umständlich. LGBT – Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, das können wir auch auf Englisch noch buchstabieren und aussprechen. Aber laufend kommen neue Bezeichnungen und damit Buchstaben hinzu: «IQA» für Inter, Queer und Asexual. Weiters + («Plus») für alle weiteren Varianten. Zugegeben: Manchmal bin ich überfordert. Mir fehlt diese «Buchstabenkompetenz» – noch.

Und überhaupt: Was hat das mit Gleichstellung zu tun? Wir reden doch von Frau und Mann und hier gibt es noch ganz viel Aufholbedarf! Sollen wir Frauen uns jetzt auch noch darum kümmern? Hört man hier und dort.

Ja, wir alle sollen uns darum kümmern! Nicht nur wegen der WC-Frage. Denn die Offenheit gegenüber Vielfalt hilft auch der Frauenbewegung – die ja auch vielfältig ist. Wir können voneinander lernen. Dabei ist es nicht zentral, dass wir Expert*innen und Experten* sind, bevor wir mitreden dürfen. Wir müssen nicht alles kennen und wissen. Aber wir sollen nachfragen und hinterfragen: Wie soll ich dich ansprechen? Wie gehe ich auf Menschen zu, wenn ich in einer privilegierten Position bin? Höre ich dir ernsthaft zu? Gebe ich anderen Raum zu sprechen und die Gelegenheit mitzuentscheiden? Zentral ist, dass wir uns interessieren, dass wir respektieren – und wertschätzen. Was gibt es Schöneres als einen bunten Blumenstrauss?

In den letzten paar Jahren hat sich viel getan. LGBTIQA+ ist ins öffentliches Bewusstsein gedrungen. Auch in Graubünden wird Buntheit sichtbarer, nicht zuletzt mit der «Khur Pride», die im Juni erstmals stattgefunden hat. Doch die queere Community ist immer noch in der «Bewegungsphase»: Sie arbeiten gratis, ehrenamtlich, aktivistisch… vergleichbar mit Frauenbewegung vor 30 bis 40 Jahren.

LGBTIQuo vadis, Graubünden?

Wir von der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann möchten einen Akzent setzen mit der Veranstaltung «LGBTIQuo vadis, Graubünden?» am Mittwoch, 30. November, in der Stadtbibliothek. Wir fragen: Was ist LGBTIQ+? Wie queerfreundlich ist Graubünden? Welche Erfahrungen macht die Community in der Politik und Gesellschaft? Was können Queer-Community und Frauenbewegung voneinander lernen? Mit einem Impulsreferat von Patrizia Sutter, Fachperson du-bist-du und Sozialarbeiterin, und einer Podiumsdiskussion mit Nic Senften von Khur Pride, Vitoria Colagrande, gelernter Bierbrauer, heute ICT Mitarbeiterin KIGA, Silvia Hofmann, Grossrätin und Gleichstellungsexpertin, sowie Kandid Jäger, Sozialarbeiter bei der Aids-Hilfe Graubünden. Wir freuen uns, wenn wir gemeinsam mit- und voneinander lernen können! 

Kolumne von Barbara Wülser im Bündner Tagblatt, erschienen am 10.10.2022.

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