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Session: 16.06.2021

Die peripheren Gebiete im Kanton Graubünden sind seit Jahren mit einem Rückgang an Bevölkerung, Arbeitsplätzen und Dienstleistungen (Post, Banken, Wegfall von Gemeindekanzleien durch Fusionen) konfrontiert, um nur einige Herausforderungen zu nennen. Dabei haben die ländlich geprägten Gebiete durchaus ihren Reiz. Gerade die aktuelle COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass ein Arbeiten von zu Hause aus nicht nur möglich, sondern vom Bundesrat seit dem 18. Januar 2021 überall dort verordnet wurde, wo dies aufgrund der Aktivität möglich und mit verhältnismässigem Aufwand umsetzbar ist. Diese Erfahrungen haben gezeigt, dass ein standortunabhängiges Arbeiten möglich und auch attraktiv ist. Gleichzeitig hat der Kanton Graubünden auf den 1. Januar 2021 die Besteuerung von Kapitalleistungen deutlich gesenkt, womit wir neu einen Spitzenplatz einnehmen. Und bereits vor der COVID-19-Pandemie zeigte sich, dass das Berggebiet und insbesondere auch das periphere Gebiet für die Freizeitgestaltung immer interessanter wird. Dieses Umfeld gilt es gerade für das Berggebiet zu nutzen, indem gezielt darauf hingearbeitet wird, dass Menschen ihren Wohnsitz und Unternehmen ihren Sitz nach Graubünden verlegen.

Dass es aktuell attraktiv ist, im Kanton Graubünden zu arbeiten und Wohnsitz zu nehmen, hat auch direkte Auswirkungen auf die derzeit anstehende Umsetzung des RPG 1, wonach Bauzonen so festzulegen sind, dass sie dem voraussichtlichen Bedarf für 15 Jahre entsprechen und überdimensionierte Bauzonen zu reduzieren sind. Während der Kanton in den ersten Berechnungen der Bevölkerungsprognosen von deutlich positiveren Entwicklungen für die Betrachtungsdauer 2030 und 2040 ausgegangen ist, wurden diese Prognosen neuerdings nach unten korrigiert. Gemeinden mit einer positiven Bevölkerungsentwicklung bis im Jahr 2030 weisen nach neueren Berechnungen plötzlich eine negative Prognose auf. Dies bedeutet, dass solche Gemeinden ihre Bauzonenreserven deutlich mehr reduzieren müssen als nach den ursprünglichen Prognosen. Nach der neuen Wegleitung zur Ermittlung des Bauzonenbedarfs dürfen sogenannte C-Gemeinden mit einer negativen Bevölkerungsentwicklung einen Bauplatz pro 100 Einwohner aufweisen und kleine Gemeinden maximal vier Bauplätze. Diese geringe Anzahl an Bauplätzen kann bereits innerhalb eines Jahres ausgeschöpft sein und trägt der dynamischen Nachfrage nach Bauland keine Rechnung. Bei der Berechnung der Baulandreserven wurden die aktuellen Entwicklungen der COVID-19-Pandemie nicht berücksichtigt.

Damit die einleitend beschriebene Negativspirale für das Berggebiet nicht verstärkt wird, sondern für die peripheren Gebiete im Kanton Graubünden vielmehr eine positive Entwicklung angestrebt werden kann und so auch wieder Perspektiven für die Menschen und Unternehmen in diesen Gebieten aufgezeigt werden können, beauftragen die Unterzeichnenden die Regierung, einen Aktionsplan für das Berggebiet zu erarbeiten:

Der Aktionsplan hat Massnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Wohnsitznahme Graubünden und in unseren peripheren Regionen zu enthalten. Weiter ist zu prüfen, ob und wo Sondernutzungsräume mit besonders ansiedlungsfreundlichen Rahmenbedingungen für Menschen und Unternehmungen geschaffen werden können und welche kantonalen Stellen direkt in den Regionen dezentral angesiedelt werden können. Die Bevölkerungsprognosen für die Gemeinden im Kanton Graubünden sind entsprechend den neuen Entwicklungen und vor dem Hintergrund des Aktionsplans Berggebiet nach oben anzupassen.

Davos, 16. Juni 2021

 

Crameri, Hug, Kienz, Alig, Berther, Berweger, Bettinaglio, Bondolfi, Brandenburger, Brunold, Buchli-Mannhart, Caluori, Casutt-Derungs, Censi, Clalüna, Danuser, Deplazes (Rabius), Derungs, Dürler, Ellemunter, Epp, Fasani, Favre Accola, Felix, Föhn, Gort, Grass, Hardegger, Hefti, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Jochum, Kasper, Koch, Kohler, Kunfermann, Lamprecht, Loepfe, Maissen, Märchy-Caduff, Michael (Castasegna), Michael (Donat), Müller (Susch), Natter, Niggli-Mathis (Grüsch), Papa, Paterlini, Ruckstuhl, Sax, Schmid, Schneider, Schutz, Thomann-Frank, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, Weber, Weidmann, Wellig, Widmer (Felsberg), Widmer-Spreiter (Chur), Zanetti (Landquart), Bürgi-Büchel, Patzen

Antwort der Regierung

Die Steigerung der Standort- bzw. Wohnattraktivität von Graubünden ist ein zentrales Anliegen der Regierung. Es ist eine gemeinsame Aufgabe von Kanton und Gemeinden, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche dazu führen, dass sich Unternehmen und Menschen in allen Regionen von Graubünden niederlassen wollen. Das Regierungsprogramm 2021–2024 zielt darauf ab, den Kanton Graubünden als Lebens-, Arbeits-, Wirtschafts-, Bildungs- und Naturraum nachhaltig zu stärken und als innovativen und digitalen Gebirgskanton zu positionieren. Verschiedene Anliegen des vorliegenden Auftrags sind in den Regierungszielen bereits enthalten (vgl. z.B. Regierungsziel 4: Den Gebirgskanton Graubünden als attraktiven Arbeits-, Lebens- und Erholungsort positionieren oder Regierungsziel 11: Die Entwicklung der Regionen Graubündens unterstützen). Daneben hat die Regierung mit Beschluss vom 15. September 2020 (Protokoll Nr. 756/2020) den Aktionsplan Berggebiet der Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) genehmigt. Der Aktionsplan schlägt vier strategische Stossrichtungen für die Berggebietspolitik vor (Haupttalachsen stärken, Tourismus flexibel weiterentwickeln, Wohnen und Arbeiten neugestalten, natürliche Ressourcen in Wert setzen), welche in sieben konkrete Massnahmenvorschläge zuhanden des Bundes zur Weiterentwicklung der Regionalpolitik münden. Mit dem Regierungsprogramm und dem Aktionsplan Bergebiet der RKGK verfügt die Regierung bereits über die strategischen Grundlagen und Handlungsfelder zur Steigerung der Standortattraktivität Graubündens, wie sie im Rahmen des Auftrags gefordert werden.

Auf eidgenössischer Ebene haben National- und Ständerat eine Motion «Aktionsplan Berggebiete» (19.3731 Motion Egger) angenommen. Bei Vorliegen dieses alle vier Jahre zu erneuernden Aktionsplans wird die Regierung prüfen, ob die Massnahmen auf Bundesebene allenfalls durch kantonale Massnahmen ergänzt werden können.

Der Auftrag fordert die Schaffung von sog. Sondernutzungsräumen. Das Anliegen war bereits Thema früherer Vorstösse des Grossen Rats. Sondernutzungsräume, verstanden als Räume, bei denen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen von Bund, Kanton und Gemeinde anders interpretiert werden können, sind unzulässig und zudem vor dem Hintergrund der Rechtsgleichheit und Rechtssprechung nicht umsetzbare Konstrukte. Die Regierung ist jedoch bereit, die Anwendung von "Experimentierzonen" als neuen Zonentyp sowie die entsprechenden Experimentierklauseln gemeinsam mit dem Bund zu prüfen. Zu Sondernutzungsräumen und KMU ist auf die Botschaft zur Totalrevision des Gesetzes über die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung (Heft Nr. 2/2015–2016, S. 106, Auftrag Stoffel) zu verweisen.

Was die dezentrale Ansiedlung kantonaler Stellen angeht, so ist auf die Immobilienstrategie von 2010 "Bericht zur Immobilienstrategie des Kantons – Umsetzung Standort Chur" (Heft Nr. 6/2009–2010) zu verweisen, welche die Zielsetzung verfolgt, über den ganzen Kanton verteilt neun regionale Verwaltungszentren zu realisieren und damit alle Regionen des Kantons durch den Zusammenzug der Dienststellen auf die regionalen Verwaltungszentren zu stärken. Sieben Verwaltungszentren wurden bereits realisiert. Ausstehend sind noch die Zentren an den Standorten Samedan und Poschiavo. Damit wird in den Regionen ein verbesserter Kunden- und Verwaltungsnutzen erreicht und eine Abwanderung von Arbeitsplätzen vermieden. Die Regierung ist sich der Bedeutung von regionalen Arbeitsplätzen für die Wohn- und Standortattraktivität bewusst und setzt sich regelmässig mit diesem Thema auseinander und wird dies in der Botschaft: "Bericht zum aktuellen Stand und Ausblick auf die weitere Umsetzung der Immobilienstrategie des Kantons" (Heft Nr. 5/2021–2022) erneut aufgreifen sowie im Rahmen der Aufgaben- und Leistungsüberprüfung (ALÜ) prüfen.

Schliesslich fordert der Auftrag, die Bevölkerungsperspektiven nach oben anzupassen, mit dem Ziel, dass die Gemeinden ihre Bauzonenreserven vergrössern können. Die Bevölkerungsszenarien sind Teil der kantonalen Raumordnungsstrategie, die vom Grossen Rat festgelegt wird (Art. 14 Abs. 1bis des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden, KRG; BR 801.100). Er ist dabei allerdings an die gesetzlichen Vorgaben des Bundesrechts gebunden; bei Nichteinhaltung wird der Richtplan seitens des Bundes nicht genehmigt. Der Kanton Graubünden hat für den im 2018 erlassenen Richtplan (KRIP-S) das Szenario hoch des Bundesamts für Statistik (BfS) aus dem Jahre 2015 verwendet. Der KRIP-S verwendet das zu diesem Zeitpunkt gesetzlich maximal mögliche gesamtkantonale Bevölkerungsszenario. Der Bundesrat hat den KRIP-S im Jahr 2019 genehmigt. Die im Jahr 2020 vom BfS neu publizierten Szenarien weichen von den Szenarien 2015 ab und liegen für Graubünden tiefer. In der Folge ist das derzeitige im KRIP-S verankerte Mengengerüst höher als dies Art. 5a der Raumplanungsverordnung (RPV; SR 700.1) erlauben würde. Würde nun die Bevölkerungsperspektive z.B. in den ländlichen Regionen/Gemeinden erhöht werden, müsste im Gegenzug in anderen Regionen/Gemeinden eine Reduktion erfolgen, um die Bundesgesetzgebung zu erfüllen. Konkret würde dies dazu führen, dass das Mengengerüst insgesamt und die Entwicklungsperspektiven der dynamischen Räume deutlich geschmälert würden. Im Übrigen würden grössere Bauzonenreserven in den peripheren Regionen deren Standortnachteile nicht auszugleichen vermögen, da hier andere Faktoren eine gewichtigere Rolle spielen.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag wie folgt abzuändern: Die Regierung prüft, welche kantonalen Stellen direkt in den Regionen dezentral angesiedelt werden können, und sucht laufend nach Möglichkeiten zur Unterstützung der regionalen Entwicklungsperspektiven innerhalb der geltenden Bestimmungen. Weiter prüft die Regierung die Anwendung von "Experimentierzonen" als neuen Zonentyp sowie die entsprechenden Experimentierklauseln gemeinsam mit dem Bund.

3. September 2021