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Session: 15.06.2023

Care Leaver:innen sind junge Erwachsene, die einen Teil ihres Lebens in der stationären Kinder- und Jugendhilfe – z. B. in betreuten Wohngruppen/Kinderheimen oder Pflegefamilien – verbracht haben und sich am Übergang in ein eigenständiges Leben befinden. Beim Eintritt in die Volljährigkeit endet in den meisten Fällen die Finanzierung der Massnahme und sie müssen auf einen Schlag erwachsen werden und selbstständig funktionieren. Manche befinden sich mitten in der Ausbildung oder gar noch in der Suchphase und sind noch lange nicht an dem Punkt, ihr Leben autonom führen zu können. Die meisten haben keine stabilen und unterstützenden Beziehungen in ihrer Herkunftsfamilie. Die Begleitung in ein eigenständiges Erwachsenenleben bleibt wichtig; um so mehr, als sich die Adoleszenz nachweislich verlängert hat. So spricht man heute vom 25 als das neue 18.

Viele Care Leaver:innen sind mit den administrativen Herausforderungen (Gesuche, Verträge, Renten, Meldepflichten etc.) überfordert und vieles, was sie während der ausserfamiliären Unterbringung mitbekommen haben, geht wieder verloren. In den gesetzlichen Regelungen für die Kinder- und Jugendhilfe ist die Finanzierung bis 18 Jahre, bei Verbleib in der Institution bis max. 20 Jahre geregelt. Daher fehlt die Finanzierung bedarfsgerechter Begleitangebote über die Zeit der Austrittsphase hinaus. Heute passiert diese notwendige Begleitung oft auf freiwilliger Basis durch vertraute Bezugspersonen. Weitergehende Leistungen werden zwar über die Sozialhilfe finanziert, doch der Schritt von der Jugendhilfe in die Sozialhilfe kann kein Ziel einer guten Kinder- und Jugendpolitik sein.

Die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) und die Konferenz der kantonalen Sozialdirektionen (SODK) anerkennen die Problematik der Care Leaver:innen und haben bereits im Oktober 2020 zahlreiche Empfehlungen veröffentlicht, um diesen jungen Menschen einen besseren Start in ein eigenständiges Leben zu ermöglichen.

Wir bitten die Regierung um Auskunft zu folgenden Fragen:

  1. Wie werden die Empfehlungen der KOKES und der SODK in Graubünden umgesetzt?
  2. Wie erhebt der Kanton statistische Daten zu Care Leaver:innen?
  3. Haben Care Leaver:innen über das 18. Altersjahr hinaus eine Person des Vertrauens, die bei Fragen der alltäglichen Lebensführung unterstützt?
  4. Wie stellt sich die Regierung zu einer Erweiterung des Leistungskatalogs an Institutionen für Unterstützung und Begleitung bis zum Abschluss einer Erstausbildung, längstens bis zum vollendeten 25. Lebensjahr?

Klosters, 15. Juni 2023

Cahenzli-Philipp (Untervaz), Holzinger-Loretz, Ulber, Atanes, Bachmann, Bardill, Baselgia, Bavier, Beeli, Biert, Binkert, Bischof, Bisculm Jörg, Bleuler-Jenny, Brandenburger, Cola Casaulta, Degiacomi, Derungs, Dietrich, Epp, Furger, Gansner, Gartmann-Albin, Gredig, Hoch, Hofmann, Kaiser, Kreiliger, Mani, Mazzetta, Messmer-Blumer, Müller, Perl, Peter, Preisig, Rettich, Rusch Nigg, Rutishauser, Said Bucher, Tanner, Walser, Wilhelm

Antwort der Regierung

Stabile Beziehungen, stützende Netzwerke und ein schuldenfreier Start in die Selbständigkeit sind von grosser Bedeutung, um im Erwachsenenleben gut anzukommen. Care Leaver sind junge Menschen, die einen Teil ihres Lebens in einer Pflegefamilie oder einer Kinder- und Jugendinstitution verbracht haben und sich im Übergang ins Erwachsenenleben befinden. Care Leaver können im Vergleich zu Gleichaltrigen, die in ihren Herkunftsfamilien aufgewachsen sind, in verschiedenen Lebensbereichen benachteiligt sein.

Zu Fragen 1 und 3: In der Massnahmenplanung des Programms der Kinder- und Jugendpolitik im Kanton Graubünden vom Februar 2021 wurde festgehalten, dass die Empfehlungen der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) geprüft und die Umsetzung soweit wie möglich in die Wege geleitet wird. Eine Differenzanalyse von der aktuellen Situation im Kanton Graubünden gegenüber den Empfehlungen der KOKES und der SODK wurde 2022 erstellt und bildete die Grundlage für die weiteren Arbeiten. Basierend auf diesen Ergebnissen wurden die drei Teilprojekte: Neue Finanzierungsmechanismen und Qualitätsförderung für Pflegefamilien, Partizipation sowie Leaving Care lanciert. Für die Umsetzung der Empfehlungen zur Phase Leaving Care wurde anfangs 2023 eine Bedarfsanalyse in Auftrag gegeben. Die Analyse mit konkreten Umsetzungsideen für die Verbesserung der Situation von Care Leaver wird 2024 vorliegen. Auf diese Bedarfsanalyse wird die konkrete Umsetzung aufgebaut.

Zu Frage 2: Vom UN-Ausschuss über die Rechte des Kindes wurde die Entwicklung einer systematischen Erhebung zu allen ausserfamiliären Unterbringungen empfohlen. In der Schweiz existiert bislang keine nationale Statistik über die Anzahl, demographische Daten und Lebensverläufe von Kindern, die ausserfamiliär in einer Einrichtung oder Pflegefamilie untergebracht sind. Die Datenbank «Casadata» ist die aktuell umfassendste Statistik zu ausserfamiliären Unterbringungen in der Schweiz. Da Casadata jedoch primär jugendstrafrechtlichen Statistiken dient und Pflegefamilien, Schulheimen und weitere Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe darin nicht durchgehend abgebildet sind, prüft der Bund gegenwärtig die Machbarkeit einer nationalen systematischen Datensammlung über ausserfamiliär untergebrachte Kinder. Der Kanton Graubünden hat Einsitz in der Begleitgruppe der Machbarkeitsstudie. Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie werden im Sommer 2024 erwartet.

Zu Frage 4: Die SODK und die KOKES haben im Januar 2021 Empfehlungen zur ausserfamiliären Unterbringung veröffentlicht. Die Empfehlungen sollen in erster Linie die Umsetzung der Kinderrechte in Platzierungssituationen stärken, Qualitätsstandards etablieren und eine reflektierte beruflichen Praxis unterstützen, bei der das Wohl des Kindes im Mittelpunkt steht. Der Regierung ist es ein Anliegen, dass Kinder und Jugendliche, die ausserfamiliär betreut werden, gut begleitet und unterstützt werden. Sie hat im Rahmen des Massnahmenplans zum Programm Kinder- und Jugendpolitik im Kanton Graubünden deshalb beschlossen, die Umsetzung der Empfehlungen zu prüfen und soweit wie möglich in die Wege zu leiten. Die Arbeiten in den drei Teilprojekten laufen noch. Die Regierung wird nach Vorliegen der Ergebnisse über die weiteren Schritte entscheiden.

28. August 2023