Navigation

Inhaltsbereich

Session: 11.12.2014
Jährlich finden in Graubünden mehrere kantonale und eidgenössische Abstimmungen statt. Immer wieder engagieren sich dabei auch Gemeinden mit finanziellen Beiträgen an Abstimmungskomitees. Zuletzt war dies der Fall bei der Abstimmung zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung. St. Moritz griff tief in die Tasche und spendete 50’000 CHF ans Komitee des Gewerbeverbands. Pontresina engagierte sich mit 5’000 CHF (SO vom 4.11.14). Ob noch weitere Gemeinden gespendet haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Ähnlich sieht es aus bei der im September 2014 erfolgten Abstimmung über die FA-Reform. Es ist davon auszugehen, dass je nach Betroffenheit verschiedene Gemeinden das entsprechende Pro- resp. Contra-Komitee unterstützten. Öffentliche Informationen dazu sind aber nicht verfügbar. Auch bei früheren Abstimmungen (z.B. Olympia 2022, TAG, Bündner NFA) ist anzunehmen, dass teilweise Gelder von Gemeinden geflossen sind. Auch dazu fehlen öffentliche Angaben. Viele Gemeinden machen allfällige Spenden nicht publik. Eine Nichtpublizierung unter dem Vorwand der Gemeindeautonomie ist insofern problematisch, da die Angabe über den Einsatz der Mittel einzelner Gemeinden in einem Abstimmungskampf für alle Stimmberechtigten im Kanton eine wichtige Information zur Meinungsbildung darstellt.

Zusammenfassend zeigt sich ein grosses Transparenz-Defizit. Dies ist umso problematischer, da es sich bei den getätigten Ausgaben um Steuergelder handelt. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Anrecht zu wissen, was mit ihrem Geld geschieht. Eine flächendeckende Offenlegung der Gemeindespenden in Abstimmungskampagnen ist daher angebracht. Diese soll unbürokratisch mittels der üblichen Publikationsmethoden (z.B. Gemeindewebseite, Gemeindeamtsblatt etc.) erfolgen.

Des Weiteren sind Gemeindespenden im Rahmen von Abstimmungskampagnen per se rechtlich umstritten. Gemäss Bundesgerichtspraxis darf eine Gemeinde nur in einen Abstimmungskampf eingreifen, wenn „ein unmittelbares und besonderes Interesse am Ausgang der Abstimmung besteht, das jenes der übrigen Gemeinden des Kantons bei weitem übersteigt.“ (Urteil BGE 114 Ia 427 S. 433). Dabei ist zudem ein höherer Grad an Objektivität und Sachlichkeit als von einer privaten politischen Gruppierung erforderlich (Urteil BGE 105 Ia 243 S. 245). Eine reine Delegation der Interessensvertretung an ein privates Abstimmungskomitee, wo keine direkte Einflussnahme erfolgt, ist somit unzulässig. Das Beispiel der Pauschalbesteuerungsabstimmung (Spenden der Gemeinden St. Moritz und Pontresina an den Gewerbeverband) zeigte aber, dass die geltende Bundesgerichtspraxis „anders ausgelegt“ bzw. vielmehr vorsätzlich missachtet wurde. Es besteht somit Handlungsbedarf für eine eindeutige rechtliche Regelung, wann und in welcher Form eine Gemeinde in einen Abstimmungskampf Steuergelder einsetzen darf. Mit solch einer Regelung kann für die Gemeinden und die Bürgerinnen und Bürger Rechtssicherheit geschaffen werden.

Aufgrund der aufgeführten Argumente wird die Regierung von den Unterzeichnenden beauftragt:

a) Gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, um die Bündner Gemeinden zur Offenlegung von Beiträgen/Ausgaben im Rahmen von Abstimmungskampagnen (ab einem Grenzwert von z.B. 2‘000 CHF) zu verpflichten;

b) Rechtsgrundlagen zu schaffen, die klären, unter welchen Bedingungen sich Gemeinden in Abstimmungskampagnen finanziell engagieren dürfen.

Chur, 11. Dezember 2014

Caviezel (Chur), Pult, Perl, Atanes, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Cahenzli-Philipp (Untervaz), Deplazes, Gartmann-Albin, Jaag, Locher Benguerel, Monigatti, Nay, Noi-Togni, Peyer, Pfenninger, Thöny, von Ballmoos, Weber, Buchli (Tenna)

Antwort der Regierung

Der Kanton Graubünden kennt ebenso wenig wie andere Kantone ausdrückliche gesetzliche Regelungen für kommunale Eingriffe in kantonale oder eidgenössische Abstimmungskämpfe. Massgebend ist in diesem Bereich vielmehr die differenzierte Rechtsprechung, die das Bundesgericht - gestützt auf die Wahl- und Abstimmungsfreiheit (Art. 34 BV) - in langjähriger Praxis entwickelt hat. Danach dürfen Gemeinden bei besonderer Betroffenheit, d.h. bei einem offenkundigen unmittelbaren und besonderen Interesse am Ausgang einer kantonalen oder eidgenössischen Abstimmung, in den Meinungsbildungsprozess eingreifen. Ein wesentliches Argument für die Zulassung einer kommunalen Intervention bildet das Informationsbedürfnis der Stimmberechtigten. Diese haben ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, wie sich direkt betroffene Gemeinden zu einer Vorlage stellen. Intervenierende Gemeinden haben die Gebote der Sachlichkeit, Transparenz und Verhältnismässigkeit zu beachten. Sie sind befugt, jene Mittel der Meinungsbildung einzusetzen, die in einem Abstimmungskampf von den Befürwortern und Gegnern einer Vorlage üblicherweise verwendet werden. Die Gemeinden sind zwar gehalten, ihre Ansichten objektiver und sachlicher als private Meinungsträger zu kommunizieren, jedoch sind sie nicht an die gleich strengen Kriterien gebunden wie bei Interventionen in Abstimmungskämpfe über eigene Vorlagen. Die Gemeinde darf ihre Sicht akzentuiert darstellen. Der Einsatz öffentlicher Mittel durch die Gemeinde darf nicht verdeckt erfolgen, er muss öffentlich transparent gemacht werden. Zudem muss der Mitteleinsatz verhältnismässig sein, d.h. die Gemeinde darf nicht mehr aufwenden, als den Parteien und anderen Interessengruppen ohne erhebliche Opfer möglich ist.

     Entsprechend ihrer staatsrechtlichen Stellung als autonome Selbstverwaltungskörper (Art. 60 und 65 KV) liegt es primär in der Eigenverantwortung der Gemeinden, sich bei der Verfolgung ihrer Interessen im Rahmen einer kantonalen oder eidgenössischen Abstimmung innerhalb der vom Bundesgericht gesetzten Leitplanken zu bewegen. Stimmberechtigte, welche sich durch Interventionen von Gemeinden im Vorfeld einer Abstimmung in ihrer freien Willensbildung eingeschränkt fühlen, haben die Möglichkeit, das Verhalten der Gemeinde auf dem Rechtsweg mittels Abstimmungsbeschwerde überprüfen zu lassen. Bei kantonalen Abstimmungen erstinstanzlich durch die Regierung (Art. 95 Abs. 1 lit. b GPR, BR 150.100), zweitinstanzlich durch das Verwaltungsgericht (Art. 102 Abs. 1 GPR) und letztinstanzlich durch das Bundesgericht (Art. 82 lit. c BGG, SR 173.110); bei eidgenössischen Abstimmungen erstinstanzlich durch die Regierung (Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR, SR 161.1) und zweitinstanzlich durch das Bundesgericht (Art. 80 Abs. 1 BPR). 

     Nachdem für den fraglichen Bereich eine höchstrichterliche Praxis besteht und auch ein klarer Rechtsweg statuiert ist, sieht die Regierung keinen Bedarf für zusätzliche gesetzliche Regelungen. Gegen solche generelle Regulierungen spricht auch der Umstand, dass die in diesem Bereich doch regelmässig komplexen und sehr spezifischen sachlichen Umstände eine starke Einzelfallbeurteilung erfordern. Eine gesetzliche Regulierung würde es zudem erschweren, bei der Beurteilung der behördlichen Aktivitäten im Vorfeld von Abstimmungen gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen Rechnung zu tragen, wie es das Bundesgericht in seiner jüngeren Praxis mit der Abkehr vom früheren strikten behördlichen Interventionsverbot getan hat.

Aus den oben dargelegten Überlegungen sieht die Regierung keinen Regelungsbedarf und beantragt deshalb, den vorliegenden Auftrag nicht zu überweisen.

19. Februar 2015