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Session: 09.12.2015
Seit dem Schuljahr 2013/14 ist das neue Schulgesetz in Kraft. Darin wird die Integration von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf neu geregelt. Die Umsetzung stellt für die öffentlichen Schulen eine Herausforderung dar.

In einklassig geführten Abteilungen, besser bekannt als Jahrgangsklassen, sind die zu integrierenden Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf oft die speziell Behandelten. Jahrgangsklassen erwecken nach aussen den Eindruck, dass aufgrund des Alters eine homogene Zusammensetzung vorzufinden sei und alle Gleichaltrigen zur gleichen Zeit möglichst alles gleich gut können sollten.

Anders in mehrklassigen Abteilungen. Diese bieten nützliche Voraussetzungen aufzuzeigen, dass lauter unterschiedliche Individuen in einer Abteilung sitzen. Nicht nur unterschiedlich in Interessen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten, sondern auch unterschiedlich im Alter. Anderssein ist der Normalfall. In der Schullandschaft spricht man auch vom altersdurchmischten Lernen (ADL). ADL könnte ein möglicher Ansatz für die Herausforderungen an öffentlichen Schulen im Zusammenhang mit der Integration sein.

In diesem Zusammenhang bitten die Unterzeichnenden die Regierung um die Beantwortung folgender Fragen:

1. Wie viele Abteilungen werden in Graubünden ein-, zwei, drei- und mehrklassig geführt?

2. Gibt es in den vergangenen Jahren einen Trend hin zu mehr zwei- und dreiklassigen Abteilungen?

3. Wie beurteilt die Regierung altersdurchmischtes Lernen (ADL) als Organisationmodell für das Gelingen von Integration?

4. Ist die Einführung von ADL gemäss Schulgesetz möglich?

5. Ist ADL an der Pädagogischen Hochschule Graubünden Bestandteil der Ausbildung?

Chur, 9. Dezember 2015

Thöny, Märchy-Caduff, Atanes, Blumenthal, Buchli-Mannhart, Caduff, Cahenzli-Philipp, Caluori, Casutt-Derungs, Caviezel (Chur), Darms-Landolt, Della Vedova, Deplazes, Fasani, Gartmann-Albin, Jaag, Locher Benguerel, Monigatti, Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Pedrini, Perl, Peyer, Pult, Andri, Degiacomi

Antwort der Regierung

Die vorliegende Anfrage betrifft Fragen zur Integration von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf und die dabei zur Anwendung kommenden Organisationsformen wie Jahrgangsklassen, Mehrklassenabteilungen oder altersdurchmischtes Lernen (ADL).

Gestützt auf das Gesetz für die Volksschulen des Kantons Graubünden vom 21. März 2012 (Schulgesetz; BR 421.000) haben Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf Anspruch auf sonderpädagogische Massnahmen. Deren Umsetzung hat gemäss Art. 46 des Schulgesetzes bedürfnisorientiert in integrativen oder separativen Schulungs- und Förderformen zu erfolgen. Wenn die Schulung und Förderung für diese Schülerinnen oder Schüler in der Regelklasse vorteilhaft und für die Klasse tragbar ist, erfolgt die Umsetzung integrativ, andernfalls teilintegrativ als Gruppen- oder Einzelunterricht oder separativ in Abteilungen von Institutionen der Sonderschulung oder in Familien. Weder das Schulgesetz noch die Verordnung zum Schulgesetz vom 25. September 2012 (Schulverordnung; BR 421.010) machen weitere Angaben zur Art der Umsetzung der sonderpädagogischen Massnahmen.

Zum Begriff ADL hat die Regierung bereits in der Antwort auf den "Auftrag Claus betreffend altersgemischten Lernens in der Volksschule in Graubünden" (Regierungsbeschluss Nr. 186 vom 9. März 2010) Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass die Definitionen und Beschreibungen von ADL in der schweizerischen Bildungslandschaft sehr uneinheitlich sind und von punktuellen klassenübergreifenden Lerneinheiten in Mehrklassenschulen über klassengemischtes Lernen in Kombiklassen bis hin zur vollständigen Auflösung der Jahrgangsklassen reichen.

Zu Frage 1: In Graubünden gibt es derzeit auf Primarschulstufe 414 ein-, 175 zwei-, 55 drei- und 7 mehrklassige Abteilungen.

Zu Frage 2: Nein. Es ist kein Trend erkennbar. Die Bildung von zwei- oder dreiklassigen Abteilungen hängt bisher vorwiegend mit schulplanerischen (z. B. Fusionen) oder demografischen Gründen (z. B. rückläufige Schülerzahlen) zusammen.

Zu Frage 3: Nach Meinung der Regierung ist für das Gelingen von Integration weniger die Organisationsform als vielmehr die damit verbundene Haltung entscheidend. Dabei zeigen Erfahrungen aus anderen Kantonen durchaus auf, dass ein Wechsel von bisher einklassigen in mehrklassige Strukturen mit spürbaren pädagogischen Vorteilen verbunden sein kann. Selbstverständlich müssen die Strukturen dabei integrationsförderlich sein. Wie die Praxis zeigt, ist eine gelingende Integration sowohl in Jahrgangsklassen als auch in mehrklassigen Abteilungen möglich. Entscheidend ist dabei die Differenzierung. Weil auch in Jahrgangsklassen die Streuung der Leistung gross ist, hat Differenzierung auch dort einen hohen Stellenwert. In ein- wie in mehrklassigen Abteilungen gibt es zudem die Möglichkeit, auf akzelerierte wie auch auf retardierte Entwicklungsmomente der Schülerinnen und Schüler gebührend Rücksicht zu nehmen.

Zu Frage 4: Gemäss Art. 23 des Schulgesetzes ist die Bündner Volksschule auf Schulstufen und Jahrgangsklassen aufgebaut. Jedes Kind ist dabei während der Primar- und Sekundarstufe I einer bestimmten Klasse zugeordnet. Über die konkrete Organisationsform (Jahrgangs-, Kombiklasse oder mehrklassige Abteilung) entscheidet die Schulträgerschaft. Eine individuelle Förderung bedingt nicht die Auflösung der Jahrgangsklasse, wie sie bei gewissen Formen von ADL vorgesehen ist. Die vollständige Auflösung des Klassenprinzips ist auch deshalb nicht möglich, weil die Schulorganisation (z. B. Lehrpläne, Lehrmittel, Zeugnis) auf diesem Prinzip basiert. Das Aufbrechen von starren Klassenstrukturen in speziellen Unterrichtssequenzen, in bestimmten Lernphasen und bei spezifischen thematischen Bezügen ist hingegen auch bei uns zulässig, in gewissen Konstellationen sogar sinnvoll. Der Entscheid darüber obliegt primär den unterrichtenden Lehrpersonen.

Zu Frage 5: Die Thematik des Umgangs mit Heterogenität hat in der Lehre der Pädagogischen Hochschule Graubünden einen hohen Stellenwert. Die Studierenden werden auf die Bedingungen in den Schulen mit mehrklassigen Abteilungen in verschiedenen Modulen vorbereitet. ADL wird dabei als eine mögliche "Methode" resp. Umsetzungsform des Lernens in heterogenen Gruppen thematisiert. Die Studierenden kommen darüber hinaus in ihrer Ausbildung immer wieder punktuell in Kontakt mit Mehrklassenabteilungen und ADL.

24. Februar 2016