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Session: 19.10.2016

Im vergangenen Monat hat der Grosse Rat des Kantons Waadt entschieden, ein Bettelverbot einzuführen. Der Kanton Graubünden kennt ein solches Verbot bereits seit 2004. Im Hinblick auf die bevorstehende Teilrevision des Polizeigesetzes ist eine Überprüfung auf die Wirkung des entsprechenden Artikels angebracht. Die Unterzeichnenden erbitten die Regierung deshalb, folgende Fragen zu beantworten:

 

1. Wie viele Bussen pro Jahr wurden seit Einführung des Verbots auf kantonaler Ebene wegen Bettelns gesprochen?

 

2. Wie viele dieser Bussen konnten eingebracht werden, wie viele waren uneinbringlich?

 

Die exakte Formulierung des Bettelverbots in Art. 36j des Polizeigesetzes lautet:

 

„Wer aus Arbeitsscheu oder Liederlichkeit bettelt oder Kinder oder Personen, die von ihr oder ihm abhängig sind, zum Betteln anhält, wird mit Busse bestraft.“

 

Die Begriffe „Arbeitsscheu“ und „Liederlichkeit“ tauchen in der schweizerischen Rechtsgeschichte insbesondere im Zusammenhang mit fürsorgerischen Zwangsmassnahmen auf. So beispielsweise als Begründung für Einweisungen in Arbeitsanstalten.

 

Es stellt sich deshalb eine weitere Frage:

 

3. Wie beurteilt die Regierung die Begriffe „Arbeitsscheu“ und „Liederlichkeit“ im historischen Kontext?

 

Chur, 19. Oktober 2016

 

Perl, Pult, Locher Benguerel, Atanes, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Cahenzli-Philipp, Caviezel (Chur), Deplazes, Dermont, Dosch, Gartmann-Albin, Jaag, Monigatti, Niederer, Thöny, von Ballmoos, Cantieni, Degiacomi, Horrer, Ruckstuhl, Vassella

Antwort der Regierung

Bereits im Einführungsgesetz zum Schweizerischen Strafgesetzbuch und das Strafverfahren im Kanton Graubünden vom 2. März 1941 wurde die Bettelei unter Strafe gestellt. Die Bestimmung erfuhr im Laufe der verschiedenen Revisionen gewisse Anpassungen. Bis am 31. Dezember 2010 fand sich die Bestimmung zum Bettelverbot in der kantonalen Strafprozessordnung unter den kantonalen Übertretungsstrafrechtsbestimmungen (Art. 35). Mit Inkrafttreten der Eidgenössischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) und deren Umsetzung im Kanton Graubünden (B 2009-2010, S. 795 ff.; vom Grossen Rat am 16. Juni 2010 verabschiedet; in Kraft seit 1. Januar 2011) fiel die kantonale Strafprozessordnung dahin. Die kantonalen Übertretungsstrafrechtsbestimmungen wurden weitgehend unverändert ins Polizeigesetz (PolG; BR 613.00; Art. 36a ff.) überführt. Darunter auch die Bestimmung über das Betteln (Art. 36j PolG).

Zu den einzelnen Fragen:

1. Die Staatsanwaltschaft Graubünden hat seit dem Jahr 2011 33 Strafbefehle wegen Bettelns ausgesprochen, fünf davon erliess die Jugendanwaltschaft. Pro Jahr ergibt dies somit fünf bis sechs Fälle, welche auf kantonaler Ebene zu einer Verurteilung geführt haben. Wie viele Bussen durch die Gemeinden ausgesprochen wurden, kann mangels entsprechender Statistik nicht beantwortet werden.

2. Bei 14 der erwähnten 33 Fälle war die Busse uneinbringlich. Diese Fälle überwies die Staatsanwaltschaft ans Amt für Justizvollzug zum Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe.

3. Im Rahmen der laufenden Teilrevision des Polizeigesetzes ist bereits vorgesehen, die Begriffe "Arbeitsscheu" und "Liederlichkeit" aus Art. 36j PolG zu streichen. Die Regierung erachtet eine Bestimmung, die das Betteln unter Strafe stellt, allerdings nach wie vor als notwendig, weshalb Art. 36j PolG lediglich sprachlich angepasst werden soll. Die historische Aufarbeitung der Begriffe "Arbeitsscheu" und "Liederlichkeit" im Zusammenhang mit der sogenannt administrativen Versorgung und unter dem Titel der Armenordnung von 1857 ist Teil des Projekts "Historische Aufarbeitung von Grundlagen im Zusammenhang mit fürsorgerischen Zwangsmassnahmen bis 1981 im Kanton Graubünden". Die Regierung hat hierzu am 23. Dezember 2014 einen Forschungsauftrag bewilligt und eine interne Projektgruppe eingesetzt. Mit dem Bericht ist im Laufe des ersten Halbjahres 2017 zu rechnen.

13. Januar 2017