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Session: 19.04.2017

Vor rund elf Jahren, am 2. Februar 2006, lancierte die SP Graubünden die Initiative „Grosser Rat: 80 sind genug“. Die Initiative wurde zwei Jahre später äusserst knapp mit 50.9 Prozent Nein-Stimmen an der Urne abgelehnt. Seither hat sich der Kanton institutionell massgeblich verändert:

- Die Anzahl Gemeinden im Kanton halbierte sich nahezu. 2006 existierten noch 207 Gemeinden. Aktuell sind es deren 112.

- Mit der Volksabstimmung zur Gebietsreform 2014 wurden die Bezirke, Regionalverbände und Kreise abgeschafft und 2016 durch elf Regionen ersetzt.

- Die Stimmbevölkerung stimmte 2014 einem zeitgemässen kantonalen Finanzausgleich zu. Dieser korrigiert die damaligen Fehlanreize und ist seit 2016 in Kraft.

- Die Regierung hat klare Grundsätze für die Umsetzung der Public Corporate Governance festgelegt und diese per Anfang 2011 umgesetzt.

- Die Verwaltung hat mit HRM2 eine moderne und einheitliche Rechnungslegung eingeführt, die sich an der Privatwirtschaft orientiert und dank dem „True-and-fair“-Prinzip die tatsächlichen Vermögensverhältnisse widerspiegelt.

- Die Zivil- und die Strafgerichtsbarkeit wird seit 2017 von den Regionalgerichten als untere kantonale Gerichte ausgeübt. Mit dem KJS-Auftrag, der in der Aprilsession 2016 vom Grossen Rat überwiesen wurde, steht eine weitere Justiz-Reform im Raum.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich alle zentralen Institutionen des Kantons reformiert haben – mit Ausnahme der Legislative. Obschon der Grosse Rat diverse Reformen anderer Institutionen verabschiedete, war er in der jüngeren Vergangenheit nicht bereit, substanzielle Reformen der Legislative vorzunehmen. In verschiedenen anderen Kantonen wurden die Parlamente schon vor Jahren verkleinert (z.B. Bern, Aargau, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn, Basel-Stadt, Glarus, Fribourg, Luzern, Waadt). Der Bündner Grosse Rat besteht jedoch weiterhin aus 120 Mitgliedern, die mittels eines umstrittenen Wahlverfahrens gewählt werden. Zwecks einer höheren Effizienz wäre eine Verkleinerung jedoch dringend nötig. Zudem würde mit einer Verkleinerung auch eine fairere Repräsentation möglich. Mit der Verkleinerung des Grossen Rates würde dem Volk ein leistungsfähiges und bürgernahes Parlament zur Verfügung stehen.

Die Regierung wird beauftragt, folgende Verfassungsänderung aufzugleisen:

Art. 27 (neu) Zusammensetzung und Wahl:
1. Der Grosse Rat besteht aus 90 Mitgliedern.
2. Die Sitze werden entsprechend der schweizerischen Wohnbevölkerung auf die Wahlkreise verteilt.
3. Das Wahlverfahren garantiert, dass die Stimmen aller Wählerinnen und Wähler möglichst gleich zur Zusammensetzung des Grossen Rates beitragen.
4. Das Weitere regelt das Gesetz.

 Übergangsbestimmungen zu Art. 27 KV (neu):
1. Die Grossratswahlen 2022 werden entsprechend Art. 27 KV (neu) durchgeführt.

Chur, 19. April 2017

Thöny, Atanes, Baselgia-Brunner, Bucher-Brini, Cahenzli-Philipp, Caviezel (Chur), Deplazes, Gartmann-Albin, Jaag, Locher Benguerel, Monigatti, Perl, Peyer, Pult

Antwort der Regierung

Die mit dem Auftrag verlangte Verfassungsänderung beinhaltet gemäss vorgegebener Formulierung (Art. 27 KV und Übergangsbestimmung) folgende drei Bereiche:

- Verkleinerung des Grossen Rats von heute 120 auf 90 Mitglieder (Art. 27 Abs. 1 KV)
- Wechsel vom heutigen Mehrheitswahlverfahren für den Grossen Rat zu einem neuen Wahlverfahren (Art. 27 Abs. 3 KV)
- Durchführung der Erneuerungswahlen 2022 nach der neuen Regelung (Übergangsbestimmung zu Art. 27 KV)

Der Vorstoss geht somit inhaltlich weiter, als der Titel aussagt. Zur Verkleinerung des Grossen Rats konnte sich der Bündner Souverän am 24. Februar 2008 im Rahmen der Abstimmung über die Volksinitiative "Grosser Rat: 80 sind genug" bereits einmal äussern. Die Initiative wurde mit einem Nein-Stimmenanteil von 50.91 Prozent abgelehnt. Die Frage nach der richtigen Parlamentsgrösse war auch schon vorher, im Rahmen der Totalrevision der Kantonsverfassung diskutiert, eine Verkleinerung des Grossen Rats aber verworfen worden (vgl. Botschaft Heft Nr. 10/2001-2002, S. 518). Gar sieben Mal konnte der Souverän bereits direkt die Frage entscheiden, nach welchem Verfahren der Grosse Rat zu wählen ist. Das Volk lehnte dabei einen Wechsel vom geltenden Mehrheitswahlverfahren (Majorz) zu einem Verhältniswahlverfahren (Proporz), stets ab. Letztmals am 3. März 2013 bei der Abstimmung über die Volksinitiative "Für gerechte Wahlen" mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 56,10 Prozent.

Die Unterzeichnenden verweisen zur Begründung ihrer Forderungen auf die in den letzten Jahren im Kanton erfolgten Reformen (Gebiets- und Gemeindereform, Justizreform, Reform Finanzausgleich, HRM2, Public Corporate Governance) und erwarten von einer Verkleinerung des Parlaments eine höhere Effizienz, die Möglichkeit einer faireren Repräsentation und mehr Bürgernähe. Die Regierung hat sich in der Botschaft zur Volksinitiative "Grosser Rat: 80 sind genug" eingehend mit den Kriterien für die Bestimmung der Parlamentsgrösse und den Auswirkungen einer möglichen Verkleinerung auseinandergesetzt (vgl. Botschaftenheft Nr. 7/2007 – 2008, S. 441 ff.). Die damaligen Überlegungen und Schlussfolgerungen sind auch heute noch zutreffend. Die massgeblichen Umstände wie die geografische Ausdehnung, die kulturelle und sprachliche Vielfalt, die Aufteilung in Stadt- und Landgebiete und die wirtschaftlichen und bevölkerungsstrukturmässigen regionalen Unterschiede sind im Wesentlichen gleich geblieben. Daran haben auch die erwähnten Reformen nichts Entscheidendes geändert. Diese Vielgestaltigkeit des Kantons verlangt ein mitgliederstarkes Parlament, welches die nach wie vor unterschiedlichen Verhältnisse und Bedürfnisse optimal repräsentieren kann. Eine Verkleinerung könnte die hinreichende Vertretung peripherer Räume und der Kantonssprachen in Frage stellen. Wie die Regierung bereits seinerzeit aufgezeigt hatte, ist von einer Verkleinerung des Grossen Rats keine signifikante Effizienzsteigerung zu erwarten. Dafür könnte durch die Mehrbelastung der verbleibenden Mitglieder die Miliztauglichkeit in Frage gestellt werden und für die Qualität der parlamentarischen Tätigkeit wichtiges Fachwissen fehlen. Auch aus finanzieller Sicht drängt sich eine Verkleinerung nicht auf. Die durch die Reduktion möglichen Einsparungen könnten nämlich durch höhere Entschädigungen der verbleibenden Ratsmitglieder infolge Mehrbelastung und Professionalisierung wieder hinfällig werden. Die heutige Parlamentsgrösse erscheint auch im interkantonalen Vergleich angemessen. Der Kanton bewegt sich im Vergleich mit bevölkerungsmässig ähnlich grossen, aber strukturell weniger komplexen Kantonen nach wie vor im Mittelfeld. Die Forderung nach einer Verkleinerung des Grossen Rats ist demnach abzulehnen.

Abzulehnen ist die offensichtliche Forderung nach einem Wechsel vom heutigen Mehrheitswahlverfahren (Majorz) zum Verhältniswahlverfahren (Proporz). Der Souverän hat erst kürzlich - in Kenntnis der Kritikpunkte der Proporzbefürworter - einmal mehr eine entsprechende Volksinitiative deutlich abgelehnt und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Repräsentanz der Bevölkerung gemäss ihrer geografischen, kulturellen, sprachlichen, wirtschaftlichen und sozialen Vielfalt höher gewichtet wird, als die Repräsentanz der politischen Parteien. Die Regierung sieht unter diesen Umständen aktuell keinen Handlungsbedarf.

Zur Übergangsbestimmung ist zu bemerken, dass es für eine Durchführung der Erneuerungswahlen 2022 nach dem Verhältniswahlverfahren neben der Verfassungsänderung auch noch einer umfassenden Anschlussgesetzgebung bedürfte. In diesem Zusammenhang wäre es möglich, dass weitere Volksentscheide erforderlich würden, welche die Dauer des Umsetzungsprozesses beeinflussen könnten. Falls sich dieser Prozess nicht rechtzeitig abschliessen liesse, müssten aber die Wahlen 2022 trotz der Übergangsbestimmung noch nach den heutigen Grundlagen durchgeführt werden.

Nach dem Ausgeführten beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag nicht zu überweisen.

24. Mai 2017