Navigation

Inhaltsbereich

Session: 13.06.2017

Leider gehört häusliche Gewalt in der Schweiz nach wie vor zum Alltag. Dies belegen folgende jüngste Zahlen auch für den Kanton Graubünden:

- Gemäss der polizeilichen Kriminalstatistik der Kantonspolizei Graubünden wurden im Jahr 2016 in 259 Fällen häusliche Gewalt im Rahmen von familiären Beziehungen zur Anzeige gebracht, dies entspricht wöchentlich fünf Delikten. Gegenüber 2015 entspricht dies einer Zunahme von 75 Fällen.

- Diese Zunahme bildet sich auch im Frauenhaus Graubünden ab. So hat dieses im vergangenen Jahr so viele Menschen aufgenommen wie noch nie.

- Der Jahresrechnung 2016 ist zu entnehmen, dass die Anzahl Opfer (häuslicher) Gewalt gegenüber dem Vorjahr um 13,5 % (73 Fälle) stark zunahm.

Es gilt zu berücksichtigen, dass die erfassten Zahlen nur die Spitze des Eisbergs abbilden und die Dunkelziffer sehr hoch ist.

Der Nationalrat hat am 31. Mai 2017 als Zweitrat der Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Kinder, Männer und häuslicher Gewalt zugestimmt. Die sogenannte Istanbulkonvention verpflichtet die Vertragsstaaten, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu bekämpfen und zu verfolgen. Zudem werden die Vertragsstaaten verpflichtet, präventive Massnahmen wie Sensibilisierungsprogramme vorzusehen. Mit der Zustimmung zur Ratifizierung setzt das Bundesparlament ein klares Zeichen gegen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen.

Vor dem Hintergrund des Anstiegs der Zahlen häuslicher Gewalt in Graubünden und der Ratifizierung der Istanbulkonvention stellen sich folgende Fragen:

1. Welches sind gemäss Regierung die Gründe der Zunahme der Fälle häuslicher Gewalt in Graubünden?

2. Wird die Regierung auf Grund der jüngsten Zahlen Massnahmen ergreifen, um der Zunahme von häuslicher Gewalt entgegen zu wirken? Falls ja, welche?

3. Im Jahr 2003 wurde das Bündner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt gestartet. In welche Strukturen wurde es 2014 überführt? Welche Fachstelle ist mit der Weiterführung dieses Projekts beauftragt und welche Aufgaben wurden seither durch diese Fachstelle erfüllt?

4. Welche Auswirkungen wird die Ratifizierung der Istanbulkonvention auf Graubünden haben? Erfüllt Graubünden die Voraussetzungen des Übereinkommens?

5. Ist das Frauenhaus Graubünden als niederschwelliges Beratungsangebot und als Schutzunterkunft langfristig gesichert?

Chur, 13. Juni 2017

Locher Benguerel, Bucher-Brini, Florin-Caluori, Atanes, Baselgia-Brunner, Blumenthal, Bondolfi, Brandenburger, Cahenzli-Philipp, Casty, Casutt-Derungs, Cavegn, Caviezel (Chur), Danuser, Darms-Landolt, Della Vedova, Deplazes, Dermont, Dosch, Fasani, Gartmann-Albin, Hitz-Rusch, Holzinger-Loretz, Jaag, Jeker, Joos, Kollegger, Kunfermann, Kunz (Chur), Lamprecht, Lorez-Meuli, Mani-Heldstab, Märchy-Caduff, Michael (Donat), Monigatti, Müller, Nay, Niederer, Noi-Togni, Papa, Pedrini, Perl, Peyer, Pfenninger, Pult, Salis, Steck-Rauch, Stiffler (Chur), Tenchio, Thomann-Frank, Thöny, Tomaschett-Berther (Trun), Troncana-Sauer, Vetsch (Pragg-Jenaz), von Ballmoos, Weber, Berther (Segnas), Gassmann, Geisseler Severin, Pfister, Plattner Gerber, Wellig

Antwort der Regierung

Zu Frage 1: In der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden die Straftaten im Bereich häuslicher Gewalt aufgeführt. Die Kantonspolizei verfügt über die Angaben zu den Fallzahlen. Ein Fall kann mehrere Straftaten, zum Beispiel Tätlichkeiten, Beschimpfung, Drohung und Nötigung, beinhalten. Im Jahr 2016 wurden 259 Straftaten aufgeführt, welche in 112 Fällen begangen wurden. Im Jahr 2015 waren es 184 Straftaten bei 92 Fällen. In den Vorjahren lagen die Zahlen über denjenigen von 2015. Durchschnittlich wurden seit 2013 rund sechs zusätzliche Fälle pro Jahr gezählt (rund 6 Prozent pro Jahr). Die effektiven Gründe sind nicht bekannt. Es wird angenommen, dass die Anzahl Fälle, die angezeigt werden, u.a. aufgrund der Sensibilisierungsmassnahmen zur häuslichen Gewalt steigt.

Zu Frage 2 und 3: Im Jahr 2009 beauftragte die Regierung die Stabstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann zusammen mit den beteiligten kantonalen Dienststellen einen gemeinsamen Bericht für die Überführung des Interventionsprojekts zu erarbeiten. Basierend auf den Empfehlungen dieses Berichts beschloss die Regierung im Jahr 2014 eine Koordinationsstelle gegen häusliche Gewalt zu schaffen und die Zuständigkeit an das Sozialamt zu übertragen.

Die Koordinationsstelle häusliche Gewalt hat seit ihrer Schaffung im Jahr 2015 Massnahmen zur Sensibilisierung von Lehrpersonen vorgenommen, die Vernetzung mit nationalen Konferenzen sichergestellt und die Kooperation der beteiligten Institutionen und Ämter im Kanton eingeleitet. In den kommenden Jahren soll die Kooperation vertieft werden, wodurch die Bearbeitung und Behandlung von Fällen häuslicher Gewalt weiter verbessert werden soll. Weiter sind die statistischen Daten zu verbessern. Die Regierung will die bisherigen und geplanten Massnahmen fortsetzen.

Zu Frage 4: Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention wurde vom Bund am 16. Juni 2017 beschlossen. Sie tritt voraussichtlich Anfang 2018 in Kraft. Gemäss Botschaft des Bundesrats erfüllt die Schweiz mit ihren Rechtsgrundlagen und den bisherigen Massnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden die Anforderungen der Konvention weitestgehend. Dies gilt auch für den Kanton Graubünden. Eine Arbeitsgruppe des Bundes wird voraussichtlich ab dem Jahr 2018 Massnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention koordinieren und gegebenenfalls zusätzliche Massnahmen empfehlen. Der Kanton Graubünden wird diese Empfehlungen abwarten und prüfen.

Zu Frage 5: Der Kanton Graubünden ist gesetzlich dazu verpflichtet Notunterkünfte für gewaltbetroffene Personen bereitzustellen (Art. 14 Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten, Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5). Er kommt dieser Verpflichtung in Form eines Leistungsauftrags mit dem Frauenhaus Graubünden nach. Der aktuelle Leistungsauftrag läuft Ende 2017 aus. Momentan laufen die Gespräche für die Verlängerung des Leistungsauftrags ab dem 1. Januar 2018. Das Frauenhaus ist als Schutzunterkunft und niederschwelliges Beratungsangebot gesichert, solange die Notwendigkeit besteht.

Das Frauenhaus Graubünden bietet gewaltbetroffenen Frauen, ihren Kindern und weiblichen Jugendlichen aus dem Kanton Graubünden und aus anderen Kantonen Schutz. Das Frauenhaus nahm im Jahr 2016 rund 30 Frauen mit ihren Kindern auf. Im Vergleich zu den Jahren 2014 und 2015 sind dies fünf Fälle mehr. Die Anzahl Belegungstage für Frauen und Kinder haben im gleichen Zeitraum aber abgenommen. Während 2014 noch 1336 Belegungstage von Frauen und Kindern verzeichnet wurden, waren es 2015 noch 991 und 2016 937 Belegungstage. In den Jahren 2014–2016 hatten bis zu 40 Prozent der vom Frauenhaus Graubünden aufgenommenen Frauen ihren Wohnsitz ausserhalb des Kantons Graubünden.

23. August 2017