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Session: 25.10.2018

Den Kantonen steht das Recht zu, das Übertretungsstrafrecht zu normieren, soweit es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist. Zudem können die Kantone Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen bedrohen (Art. 335 StGB). Im Bündner Recht gibt es zahlreiche Straftatbestände, die einer Überprüfung bedürfen: Es ist zu überprüfen, ob Straftatbestände wie grober Unfug (Art. 36f Polizeigesetz) oder der Besuch des Nationalparks durch Schulen und Gruppen von Jugendlichen ohne Führung (Art. 3 Abs. 1 Nationalparkverordnung) noch zeitgemäss sind.

Zahlreiche Delikte werden im Ordnungsbussenverfahren bestraft wie etwa das Nichtmitführen des Führerausweises, das Überschreiten des zulässigen Gewichts oder der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bis zu einer bestimmten Grenze. Im Ordnungsbussenverfahren werden keine Kosten erhoben (Art. 7 OBG). Werden die in der Ordnungsbussenverordnung aufgelisteten Grenzen überschritten, ist ein ordentliches Strafverfahren durchzuführen. In den ordentlichen Strafverfahren drohen den Bürgerinnen und Bürgern oftmals exorbitante Verfahrenskosten: Die Verfahrenskosten können ein Mehrfaches der ausgesprochenen Busse betragen – und dies oftmals für Bagatelldelikte wie das Unterlassen der Markierung von 20 cm seitlich überhängenden Doppelrädern an einem Traktor bei besten Sichtverhältnissen. Nebst dem Verhältnismässigkeitsprinzip gilt der Grundsatz, dass die Auferlegung der Verfahrenskosten keine strafrechtliche Sanktion darstellen darf: Überschreiten die Verfahrenskosten indessen die ausgesprochene Busse um ein Mehrfaches, werden die Verfahrenskosten faktisch zur Busse und die Busse (die eigentliche Sanktion!) wird zur Nebensache! Dies widerspricht den allgemein anerkannten Grundsätzen. Zudem hätte die Aussprechung einer Verwarnung oft grössere Wirkung auf den Delinquenten als ein monatelanges Strafverfahren, das am Ende mit einer geringen Busse, hohen Verfahrenskosten und geringer präventiver Wirkung endet.

Die Unterzeichnenden fordern deshalb von der Regierung,

1.     die kantonalen Straftatbestände einer Überprüfung auf Erforderlichkeit und Zweckmässigkeit zu unterziehen und dem Grossen Rat Bericht und Antrag, wo möglich, zur Aufhebung zu stellen;

2.     sich für eine Erweiterung des Deliktkatalogs im Ordnungsbussenverfahren einzusetzen;

3.     sich anstelle der Aussprechung von strafrechtlichen Sanktionen bei geringfügigen Übertretungen für ein Verwarnungssystem einzusetzen;

4.     verhältnismässige Verfahrenskosten bei geringfügigen Delikten vorzusehen, welche die ausgesprochene Sanktion nicht bzw. nicht wesentlich überschreitet.

Chur, 25. Oktober 2018

Crameri, Claus, Niggli-Mathis (Grüsch), Aebli, Alig, Berther, Berweger, Bettinaglio, Bigliel, Bondolfi, Brandenburger, Brunold, Caluori, Cantieni, Casty, Casutt-Derungs, Cavegn, Caviezel (Davos Clavadel), Censi, Danuser, Degiacomi, Della Cà, Deplazes (Rabius), Derungs, Dürler, Ellemunter, Engler, Epp, Erhard, Fasani, Favre Accola, Felix, Florin-Caluori, Flütsch, Föhn, Geisseler, Giacomelli, Gort, Grass, Gugelmann, Hardegger, Hartmann-Conrad, Hefti, Hitz-Rusch, Hohl, Holzinger-Loretz, Hug, Jenny, Jochum, Kasper, Kienz, Kohler, Kunfermann, Kunz (Fläsch), Kunz (Chur), Kuoni, Lamprecht, Loepfe, Loi, Maissen, Märchy-Caduff, Marti, Michael (Donat), Michael (Castasegna), Mittner, Müller (Susch), Natter, Niggli (Samedan), Papa, Paterlini, Pfäffli, Rettich, Ruckstuhl, Rüegg, Salis, Sax, Schmid, Schneider, Schwärzel, Stiffler, Tanner, Thomann-Frank, Thür-Suter, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, Valär, von Ballmoos, Waidacher, Weber, Wellig, Widmer (Felsberg), Widmer-Spreiter (Chur), Wieland, Zanetti (Sent), Bürgi-Büchel, Nicolay

Antwort der Regierung

Zu Punkt 1: Auf den 1. Januar 2011 trat die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO) in Kraft. In der Umsetzung der StPO auf kantonaler Gesetzesstufe (Botschaft Heft Nr. 13/2009-2010, S. 795 ff.) wurde die StPO-GR aufgehoben und durch ein Einführungsgesetz (EGzStPO; BR 350.100) abgelöst, welches ebenfalls am 1. Januar 2011 in Kraft trat. Die kantonalen Übertretungstatbestände der StPO-GR (Art. 9 bis 41) wurden auf ihre Notwendigkeit und Zweckmässigkeit überprüft. Beibehalten und überführt wurden nur die Bestimmungen, die noch praktische oder präventive Bedeutung hatten oder bei denen die Strafbarkeit weiterhin erwünscht war (Botschaft Heft Nr. 13/2009-2010, S. 813, 831). Das bestehende kantonale Ordnungsbussenverfahren wurde neu im EGzStPO (Art. 45 ff.) geregelt, die Anwendbarkeit als solches in den Spezialerlassen beibehalten (vgl. zum Ganzen Botschaft Heft Nr. 13/2009-2010, S. 828 f.). In formeller Hinsicht wurde nach einer entsprechenden Prüfung auf den Erlass eines kantonalen Übertretungsstrafgesetzes verzichtet. Sämtliche kantonalen Strafbestimmungen befinden sich somit seither in den entsprechenden Spezialgesetzen oder im kantonalen Polizeigesetz (Art. 36a ff.; Botschaft Heft Nr. 3/2009-2010, S. 831, 939 ff.). Mit anderen Worten wurde im Hinblick auf das Inkrafttreten der eidgenössischen StPO im Jahre 2011 eine Überprüfung der kantonalen Straftatbestände vorgenommen. In der Praxis haben sich gemäss Kenntnis der Regierung keine Probleme ergeben, weshalb auch keine Gründe erkennbar sind, bereits wieder eine Überprüfung sämtlicher kantonaler Straftatbestände vorzunehmen.

Zu Punkt 2: Auf Bundesebene wurde das eidgenössische Ordnungsbussengesetz (OBG) am 18. März 2016 einer grundlegenden Revision unterzogen. Die Revision weitet das Ordnungsbussenverfahren neben dem Strassenverkehrsgesetz (SVG) auf weitere Gesetze aus. Diese Revision sowie die dadurch bedingte Anpassung der eidgenössischen Ordnungsbussenverordnung werden voraussichtlich per 1. Januar 2020 in Kraft treten. Die Regierung hat im Vernehmlassungsverfahren die Absichten des Bundes begrüsst und in der Augustsession 2018 des Grossen Rats wurden mit einem Mantelgesetz (Gesetz über die Umsetzung der Teilrevision des eidgenössischen Ordnungsbussengesetzes, Botschaft Heft Nr. 2/2018-2019, S. 135 ff.) die zuständigen kantonalen sowie kommunalen Behörden für die Verfolgung und Beurteilung von neu unter das OBG fallenden Übertretungen festgelegt. Aufgrund dieser Ausgangslage sich für eine Erweiterung des Deliktskatalogs auf Bundesebene einzusetzen, erscheint der Regierung aktuell nicht sinnvoll. Soweit mit dem Auftrag eine Ausdehnung des kantonalen Deliktkatalogs im Ordnungsbussenverfahren gemeint wird, ist die Regierung bestrebt, wo immer die Voraussetzungen erfüllt sind und es Sinn macht, für kantonale Übertretungsstraftatbestände das kantonale Ordnungsbussenverfahren vorzusehen. Dies ist bspw. bei den Jagdrechtsübertretungen (BR 740.030), bei den Fischereirechtsübertretungen (BR 760.160), bei Verstössen gegen die Nationalparkordnung (BR 498.210) oder bei Übertretungen der Pilzschutzbestimmungen (BR 496.100, Anhang 3) der Fall. Auch hat sich der Grosse Rat mit einer solchen Frage anlässlich der Teilrevision des kantonalen Polizeigesetzes (Augustsession 2018, Botschaft Heft Nr. 2/2018-2019, S. 41 ff.) befasst, als die Gemeinden befugt wurden, bestimmte im Polizeigesetz geregelte kantonale Straftatbestände im Ordnungsbussenverfahren zu ahnden (Art. 36k Polizeigesetz, S. 86 der Botschaft). Falls weitere Bereiche ersichtlich werden, welche sich für das Ordnungsbussenverfahren eigen, kann dies durchaus im Einzelfall geprüft werden. Im Bereich des kommunalen Rechts obliegt es selbstredend den Gemeinden, diesbezügliche Anpassungen zu beschliessen.

Zu Punkt 3: Die Verwarnung als strafrechtliche Sanktion existiert derzeit nur im Jugendstrafrecht (vgl. Art. 22 JStG). Das Erwachsenenstrafrecht kennt diese Strafe nicht; es bestehen grundsätzlich die Sanktionsmöglichkeiten Busse, Geldstrafe und Freiheitsentzug. Dies gilt sowohl für eidgenössische als auch für kantonale und kommunale Straftaten, da diesbezüglich jeweils die Regelungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches massgeblich sind. Übertretungen sind Taten, die mit Busse bedroht sind (Art. 103 StGB). Ein bewusstes Abweichen vom Sanktionensystem des StGB mit einer Verwarnungsmöglichkeit im Bereich der kantonalen Straftatbestände – nur hier wäre allenfalls eine Regelungsmöglichkeit des Kantons denkbar und prüfbar – ist nach Ansicht der Regierung systemfremd, schnittstellenanfällig und schwierig in der rechtsgleichen Handhabe.

Zu Punkt 4: Die Verfahrenskosten resp. die Gebühren sind im EGzStPO (Art. 37 ff. EGzStPO) sowie in der Verordnung zum Einführungsgesetz zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Art. 11 ff. RVzEGzStPO) geregelt. Die Bemessung der Gebühren orientiert sich am Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip. Das Äquivalenzprinzip – welches die Verhältnismässigkeit konkretisiert – verlangt, dass die erhobenen Gebühren im Einzelfall in einem vernünftigen Verhältnis zur staatlichen Sonderleistung stehen. Die Verfahrenskosten der Staatsanwaltschaft sowie der Gerichte orientieren sich nicht am Bussenbetrag, sondern an der vom Staat erbrachten Sonderleistung, mithin den Kosten, die dem Staat durch die Strafverfolgung und -sanktionierung entstanden sind. Nicht ersichtlich ist, weshalb die Verfahrenskosten an den Bussenbetrag gekoppelt werden sollten. Es liesse sich denn auch schwerlich begründen, weshalb ein Straftäter Verfahrenskosten – im Unterschied zu anderen Verfahren (ZPO; Baubewilligung etc.) – nur insoweit zu tragen hätten, als sie die ihm auferlegte Busse nicht oder nur geringfügig überschreiten würden.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag abzulehnen.

09. Januar 2019