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Session: 04.12.2018

Seit der Räumung der offenen Drogenszenen wie Platzspitz und Letten hat sich die Drogenpolitik in der Schweiz verändert. So wünschenswert es auch wäre, eine vollständige Abstinenz ist für viele Suchtmittelabhängige leider nicht realisierbar. Vorreiterkantone wie Zürich und Basel-Stadt haben in den vergangenen Jahren die schweizweite 4-Säulenpolitik mit progressiven Konzepten umgesetzt und Kontakt- und Anlaufstellen mit Konsumräumen für Drogenabhängige geschaffen. Im Kanton Luzern wird ein solches Angebot sogar von der katholischen Kirche (Kirchliche Gassenarbeit) im Sinne der Nächstenliebe geführt.

Im Graubünden hat sich die Drogenpolitik in den vergangenen 20 Jahren kaum weiterentwickelt. Der Verein Überlebenshilfe bietet eine Kontakt- und Anlaufstelle, wo randständige Menschen, die gut zu Fuss sind (!), Obdach und Essen finden. Im Ambulatorium Neumühle können schwerstabhängige Menschen mit Opioiden wie Diaphin (Heroin), Methadon und weiteren Medikamenten behandelt werden. In den Psychiatrischen Diensten Graubünden stehen zudem Therapieplätze zur Verfügung. Hingegen fehlt das Angebot eines Konsumraumes gänzlich.

Die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen (Verschuldung, Verwahrlosung, Obdachlosigkeit, Infektionen, COPD etc.), durch unsauberen Konsum erzeugen horrende Kosten für den Gesundheitsbereich und die Gemeinden, steigern die Verelendung, grenzen betroffene Menschen aus und sorgen regelmässig für Todesfälle. Zudem wird der öffentliche Raum durch Verschmutzung, öffentliches Dealen, öffentlichen Konsum und das Herumliegen von Konsumutensilien stark belastet. Durch ein begleitetes Angebot in Form einer Anlaufstelle mit Konsumraum können, wie die Erfahrungen aus den beispielhaft aufgeführten Kantonen zeigen, in all diesen Bereichen Entlastungen und Verbesserungen erzielt werden.

Deshalb beauftragen die Unterzeichnenden die Regierung mit folgender Massnahme:

  • Kontakt- und Anlaufstelle/n mit Konsumraum für Drogenabhängige im Kanton Graubünden zu schaffen und zu gewährleisten.

Chur, 4. Dezember 2018

Rettich, Caluori, Hohl, Atanes, Berther, Bettinaglio, Bigliel, Bondolfi, Brandenburger, Brunold, Buchli-Mannhart, Cahenzli-Philipp, Casty, Cavegn, Caviezel (Chur), Censi, Clalüna, Danuser, Degiacomi, Della Cà, Deplazes (Chur), Deplazes (Rabius), Dürler, Ellemunter, Epp, Fasani, Felix, Florin-Caluori, Gasser, Geisseler, Giacomelli, Gugelmann, Hardegger, Hartmann-Conrad, Hitz-Rusch, Hofmann, Holzinger-Loretz, Horrer, Jenny, Jochum, Kappeler, Kienz, Kohler, Kunfermann, Lamprecht, Locher Benguerel, Maissen, Märchy-Caduff, Marti, Michael (Castasegna), Müller (Felsberg), Natter, Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Perl, Pfäffli, Preisig, Rüegg, Salis, Schneider, Schwärzel, Tanner, Thomann-Frank, Thöny, Thür-Suter, Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, von Ballmoos, Wellig, Widmer (Felsberg), Widmer-Spreiter (Chur), Wieland, Wilhelm, Zanetti (Sent), Zanetti (Landquart), Bürgi-Büchel, Decurtins-Jermann, Gujan-Dönier, Spadarotto

Antwort der Regierung

Graubünden orientiert sich in der Drogenpolitik an der Nationalen Strategie Sucht und an dem bewährten 4-Säulen-Modell: "Prävention, Therapie/Wiedereinglie­derung, Schadensminderung/Überlebenshilfe und Repression". Die Bereitstellung eines bedarfsgerechten Suchtpräventions- und Suchthilfeangebotes im Kanton richtet sich nach dem Gesetz über die Suchthilfe im Kanton Graubünden (Suchthilfegesetz; BR 500.800).

Folgende Angebote sind in den Bereichen Therapie/Wiedereingliederung und Schadensminderung/Überlebenshilfe im Kanton vorhanden:

-    Der Verein Überlebenshilfe Graubünden betreibt im Auftrag des Kantons in Chur eine Kontakt- und Anlaufstelle. Diese bietet nebst dem tagesstrukturellen Angebot und der niederschwelligen Beratung auch eine Notschlafstelle und eine Gassenküche an. Zudem bietet der Verein eine Arbeitsvermittlung, begleitetes Wohnen und eine externe Wohnbegleitung an. Auf dem gesamten Areal des Vereins ist es verboten Alkohol und illegale Drogen mitzubringen oder zu konsumieren.

-    Das Ambulatorium Neumühle in Chur ist Zentrum für opiatgestützte Behandlungen in Graubünden. Diese umfassen die heroingestützte Behandlung wie auch weitere Substitutionsbehandlungen. Zudem werden eine ärztliche, pflegerische und psychosoziale Behandlung und Betreuung sowie eine Suchtberatung bereitgestellt.

-    Die Psychiatrischen Dienste Graubünden (PDGR) bieten Therapieplätze für abhängige Personen an, insbesondere im Suchtzentrum Danis der Klinik Beverin in Cazis.

-    Der Sozialdienst für Suchtfragen in Chur und die regionalen Sozialdienste in den übrigen Regionen des Kantons bieten eine Sucht- und Sozialberatung für Betroffene und deren Angehörigen an.

-    Das Blaue Kreuz Graubünden bietet im Auftrag des Kantons eine spezialisierte Suchtberatung bei Alkoholabhängigkeit für Betroffene und deren Angehörigen an.

Die Drogenszene verändert sich laufend. Die sichtbare Szene im Stadtpark der Stadt Chur ist bekannt. Es finden sich dort unterschiedliche Gruppen von Menschen mit einem Suchtproblem. Zum einen sind dies Menschen, bei welchen in erster Linie eine Alkoholabhängigkeit besteht. Diese Personen sind im Ausnahmefall obdachlos und werden in der Regel bereits seit längerem vom Sozialdienst für Suchtfragen, vom Blauen Kreuz, vom Verein Überlebenshilfe oder von einem Hausarzt betreut. Zum anderen handelt es sich um Menschen, die sich in einer Substitutionstherapie befinden und bei welchen zusätzlich Beikonsum legaler oder illegaler Substanzen besteht. Diese Personen werden zumindest teilweise aufgrund ihrer Suchterkrankung medizinisch, therapeutisch oder psychosozial vom Sozialdienst für Suchtfragen, vom Verein Überlebenshilfe, vom Ambulatorium Neumühle oder von einem Hausarzt begleitet. Schliesslich gibt es noch eine Gruppe von Menschen, welche die vorhandenen Unterstützungsangebote, seien dies Therapien, Suchtberatung, Sozialarbeit, niederschwellige Tagesstrukturangebote oder andere Hilfsangebote ablehnt. Bei den beiden letztgenannten Personengruppen wurde in Fachkreisen (Verein Überlebenshilfe, Sozialdienst für Suchtfragen, Ambulatorium Neumühle, Polizei) in den letzten Jahren eine Zunahme des Kokainkonsums im Stadtpark festgestellt. Der Konsum von Kokain führt vermehrt zu einer "angespannten Stimmung" in der Szene und es werden bei den Betroffenen wiederholt gesundheitliche und soziale Probleme aufgrund der Suchterkrankung festgestellt. Eine vollständige Übersicht über die Problemlage und heutige Situation im gesamten Kanton existiert allerdings nicht.

Erfahrungen in Bezug auf Kontakt- und Anlaufstellen mit Konsumraum liegen bisher nur von den grösseren Städten, wie beispielsweise Basel, Zürich, Bern oder Luzern, vor. Ein Bericht von Basel-Stadt – mit einer umfassenden und bereits 1991 lancierten Drogenpolitik – zeigt, dass Kontakt- und Anlaufstellen für Drogenabhängige nicht dazu führen, dass der Handel und Konsum von illegalen Drogen gänzlich aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Als Folge davon wurden in Basel weitere Massnahmen an der Schnittstelle der Bereiche Schadensminderung und Repression umgesetzt. Dazu zählen Angebote im Bereich der aufsuchenden Sozialarbeit, wie z.B. Street Worker (Erörterung des drogenpolitischen Konzepts des Kantons Basel-Stadt, Bericht der Gesundheits- und Sozialkommission des Grossen Rates, Juni 2002). Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in den vorgenannten Städten ist zu prüfen, ob "Kontakt- und Anlaufstellen für Drogenabhängige" in Graubünden eine zielführende und umsetzbare Lösung darstellt. Insbesondere sind mögliche Standorte, mögliche Betreiber, zu erwartende Kosten und allfällige Alternativen abzuklären. Allfällige Massnahmen zur Verbesserung der Situation von drogenabhängigen Personen müssen auf den Kontext des Kantons Graubünden abgestimmt werden, damit diese ihre Wirksamkeit entfalten können. Dabei sollten bei der Erarbeitung solcher Massnahmen alle vier Säulen der Drogenpolitik berücksichtig werden.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag wie folgt abzuändern:

Die Regierung erarbeitet unter Einbezug der relevanten Akteure und Schlüsselpersonen (insbesondere Betroffene, Personen aus der Suchtberatung und –therapie, Sozialarbeit, Jugendarbeit und Polizei) innerhalb der nächsten zwölf Monate einen Bericht zur gegenwärtigen Situation und zum möglichen Handlungsbedarf mit Empfehlung und deren Kosten.

27. Februar 2019