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Session: 21.04.2021

Die COVID-19 Pandemie wird nach Ansicht vieler Wirtschaftsprognostiker zu einer Beschleunigung der bereits bestehenden Trends führen. So ist insbesondere mit einer Beschleunigung der Automatisierung und der Digitalisierung, aber auch mit einer Delokalisierung der Wissensarbeitsplätze zu rechnen. Als Folge davon ist von einem verstärkten Umbau der Arbeitsplatzangebote und von der Entstehung von neuen Berufsbildern auszugehen. Dies bedeutet eine Chance und gleichzeitig eine Gefahr für die Arbeitsplätze in Graubünden.

Die Anfragenden sind der Auffassung, dass es Aufgabe des Staates sein sollte, diesen Umbau zu fördern und Arbeitnehmende und Selbständige zur proaktiven Weiterbildung zu animieren. Die Regierung stellt in den Ausführungen in der Botschaft zum Gesetz zur Förderung der digitalen Transformation in Graubünden (Heft Nr. 13/ 2019 – 2020, Seite 1033) in Aussicht, auf KMU ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsprogramme zu fördern, die einen direkten oder indirekten Beitrag zur digitalen Transformation der Unternehmen leisten. Mit den angestrebten Weiterbildungen könne auch dazu beigetragen werden, die Befähigung im Umgang mit den neuen Technologien zu verbessern und damit ältere Arbeitnehmende länger im Arbeitsprozess zu behalten oder den Wiedereinstieg von Müttern in die Arbeitswelt zu begünstigen.

Gemäss Stipendiengesetz des Kantons Graubünden (StipG, BR 450.200) fördert der Kanton nur Erstausbildungen mit Stipendien. Art. 2 Abs. 3 legt explizit fest, dass an Gesuchstellende in Zweitausbildung oder Weiterbildung in der Regel nur Darlehen gewährt werden können. Der Kanton ist nicht der einzige Darlehensgeber. So gibt es zahlreiche Stiftungen und Berufsverbände, welche unter spezifischen Voraussetzungen und nur für bestimmte Berufe bzw. Branchen Stipendien und Darlehen gewähren.

Arbeitnehmende und Selbständige in Berufen der «alten» Wirtschaftswelt haben sehr oft Familie und können die durch eine Zweitausbildung oder Weiterbildung entstehende Einkommensreduktion oder den Erwerbsausfall kaum tragen. Darlehen sind in solchen Situationen oft keine geeignete Lösung und werden daher auch nur wenig in Anspruch genommen. Erst im Rahmen einer Arbeitslosigkeit oder eines unmittelbar drohenden Arbeitsplatzverlustes schreitet der Staat über die Arbeitslosenversicherung ein und richtet Beiträge an Zweit- und Weiterbildungen als arbeitsmarktliche Massnahmen aus.

Die Regierung wird daher um Beantwortung der folgenden Fragen gebeten:

  1. Wie schätzt die Regierung die Situation in Graubünden hinsichtlich der Umwandlungsdynamik der Arbeitsplatzangebote nach der COVID19-Pandemie ein?
  2. Wie sieht die Regierung die Aufgabe des Kantons hinsichtlich Begleitung dieser Umwandlungsdynamik und Förderung von zukunftsfähigen und neuen Berufsbildern?
  3. Teilt die Regierung die Auffassung, dass eher Stipendien als Darlehen dazu dienen könnten, Arbeitnehmende und Selbständige in nicht zukunftsfähigen Berufen zu animieren, sich mittels einer Zweitausbildung oder einer Weiterbildung für die Zukunft fit zu machen?
  4. Wäre die Regierung bereit, das Stipendiengesetz dahingehend zu revidieren, dass auch Stipendien an Gesuchstellende in Zweitausbildungen oder Weiterbildungen ausgerichtet werden können, sofern sie den Zielen der Förderung zukunftsfähiger und neuer Berufsbilder dienen?

Davos, 21. April 2021

Loepfe, Caluori, Maissen Berther, Bondolfi, Brunold, Cantieni, Casutt-Derungs, Crameri, Della Vedova, Deplazes (Rabius), Derungs, Epp, Fasani, Florin-Caluori, Föhn, Geisseler, Kunfermann, Märchy-Caduff, Paterlini, Sax, Schneider, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Ulber, Zanetti (Landquart), Decurtins-Jermann, Federspiel, Heini, Spagnolatti

Antwort der Regierung

Zu Frage 1: Dass bestimmte Berufe sich in der Zukunft nicht mehr behaupten werden können, ist eine Folge des Fortschritts und stellt eine permanente Herausforderung dar. Die COVID-19-Pandemie wird die Transformationen des Arbeitsmarkts hinsichtlich den Anforderungsniveaus und Job-Kompetenzen beschleunigen. Der Arbeitsmarkt in Graubünden kann sich dieser Transformation nicht entziehen. Die Entwicklungen bergen Gefahren, führen aber auch zu Chancen, die es zu nutzen gilt.

Zu Frage 2: Eine Grundausbildung garantiert keine langfristige Arbeitsplatzsicherheit mehr. Das lebenslange Lernen hat bereits einen hohen Stellenwert und erhöht die Chancen auf den Verbleib im Beruf bzw. auf dem Arbeitsmarkt generell. Die Verantwortung für Weiterbildung liegt primär bei den Berufstätigen wie auch den Arbeitgebenden. Jede Person steht selbst in der Verantwortung, sich so aus- und weiterzubilden, damit sie auf einem Arbeitsmarkt mit veränderten Anforderungen Arbeit findet. Auch die Rolle der Arbeitgebenden in Bezug auf die stetige Entwicklung der Mitarbeitenden gewinnt im Kontext des Fachkräftemangels an Bedeutung. Die Rolle des Staates ist eine subsidiäre. Auf Bundesebene setzt sich das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) zusammen mit seinen jeweiligen Partnern für attraktive Angebote in der Berufsbildung ein. Der Kanton unterstützt im Rahmen der interkantonalen Entwicklungen Projekte, die die Bewältigung der Umwandlungsdynamik begünstigen. So beteiligt sich der Kanton am Projekt "viamia", welches eine kostenlose berufliche Standortbestimmung und Potenzialabklärung für Erwachsene ab 40 Jahren umfasst. Im Regierungsprogramm (RP) 2021–2024 ist die Unterstützung der digitalen Transformation als Ziel festgehalten und in Entwicklungsschwerpunkt 12.2 konkretisiert. Aus den durch den Grossen Rat gesprochenen Mitteln des Verpflichtungskredits "Förderung digitale Transformation" sind bereits Massnahmen auf verschiedenen Bildungsebenen angedacht. Kantonale Alleingänge sind in der globalisierten Welt bzw. beim heutigen Vernetzungsgrad nur bedingt erfolgreich. Punktuell kann und wird der Kanton im Rahmen der im RP 2021–2024 aufgezeigten Stossrichtung diese Entwicklung aber proaktiv mitgestalten oder fördern.

Zu Frage 3: Für vom Wandel Betroffene ist es aus Anreizgründen vorteilhaft, die ausbildungsbedingten Mehrkosten einer Zweitausbildung oder Weiterbildung über vom Kanton getragene Stipendien statt über rückzahlbare Darlehen finanzieren zu lassen.

Zu Frage 4: Ausbildungsbeiträge (Stipendien und Darlehen) werden ausgerichtet, wenn die finanzielle Leistungsfähigkeit der betroffenen Person, ihrer Eltern und anderer gesetzlich Verpflichteter oder die entsprechenden Leistungen anderer Dritter nicht ausreichen (Prinzip der Subsidiarität). Ausbildungsbeiträge sind Unterstützungen für ausbildungsbedingte Mehrkosten, sie sind jedoch nicht existenzsichernd. Eine Durchbrechung und Vermischung der Aufgabenteilung zwischen Bildungsleistung und Existenzsicherung ist unvorteilhaft und führt zu Ungleichbehandlungen.

Bereits heute besteht die Möglichkeit, eine Person mit Stipendien zu unterstützen, welche eine weitere Ausbildung absolviert und die zu einem höheren Abschluss führt. Ebenfalls kann eine zweite berufliche Grundbildung mit Stipendien unterstützt werden, wenn diese eine breitere Berufsausübung in der gleichen Branche ermöglicht oder wenn für die erste berufliche Grundbildung keine Stipendien bezogen worden sind. Eine Unterscheidung in Stipendierung von Aus- und Weiterbildungen in zukunftsfähigen Berufsbildern und Nicht-Stipendierung anderweitiger Aus- und Weiterbildungen führt zu Vollzugsschwierigkeiten und zu Ungleichbehandlungen. Auf Stufe der Erstausbildungen erfolgt eine solche Trennung nicht. Erst in der Retrospektive kann bestimmt werden, welche Berufe zukunftsfähig sind bzw. waren. Aktuell besteht ein gut funktionierendes und aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel der verschiedenen Finanzierungswege, welches nicht durchbrochen werden sollte. Unter "Berufsbildung 2030" werden im Rahmen einer schweizweiten Auslegeordnung Finanzierungsmöglichkeiten identifiziert, wie Erwachsene während einer beruflichen Grundbildung die Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten decken können. Die Regierung wird die Schlussfolgerungen dieser Auslegeordnung sowie allfällige Empfehlungen prüfen und in ihre Beurteilung einfliessen lassen.

14. Juni 2021