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Session: 16.06.2021

Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen sowie seelischen oder psychosozialen Problemen stehen in Graubünden die ambulanten und stationären Angebote der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) sowie selbständige, ambulant tätige Psychologen und Psychiaterinnen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Die Auslastung der therapeutischen Angebote der KJP und der ambulanten Behandlungsstelle war bereits in den vergangenen Jahren sehr hoch. Mittlerweile kommt es tatsächlich regelmässig vor, dass Kinder, Jugendliche und deren Familien teils Monate auf einen Termin bei einer Therapeutin oder einem Therapeuten warten müssen.

Gerade Kinder und Jugendliche in komplexen gesundheitlichen und sozialen Problemlagen sind auf eine rasche professionelle Unterstützung angewiesen. Diese Probleme können durch Eltern, Lehrpersonen oder niederschwellige Angebote wie die Schulsozialarbeit oder die Jugendarbeit zwar festgestellt, jedoch nicht angemessen behandelt werden. Gerade für Kinder und Jugendliche sind Wartezeiten über eine dermassen lange Zeitspanne problematisch, da in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen ein Monat eine sehr lange Dauer darstellt. Während dieser Wartezeit verschärfen sich die vorliegenden Probleme oftmals. Mit einer rechtzeitigen therapeutischen Behandlung wäre es in vielen Fällen möglich, Kinder und Jugendliche vor noch grösseren gesundheitlichen Problemen zu bewahren sowie Eskalationen, welche oftmals weitergehende Konsequenzen nach sich ziehen, vorzubeugen.

Der Kanton Graubünden ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Gesundheitsversorgung im Kanton Graubünden für sämtliche Anspruchsgruppen sichergestellt ist. Die aktuelle Situation im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychologie ist aber weder für die Therapeutin oder den Therapeuten noch für die Betroffenen oder interdisziplinäre zuweisende Stelle wie die Schule, SSA oder Jugendarbeit befriedigend. Um die aktuelle Situation zu verbessern, bedarf es deshalb genauer Abklärungen der momentanen Lage mit den involvierten Schnittstellenpartnern sowie daraus resultierende konkrete Handlungsschritte.

Aus diesem Grunde möchten die Unterzeichnenden von der Regierung wissen:

  1. Wie die Regierung die Wartezeiten bei der KJP sowie bei den ambulanten selbständigen Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiatern einschätzt?
  2. Wie jene besagten Wartezeiten verkürzt werden könnten und welchen Beitrag der Kanton dazu leisten kann?
  3. Welche Gründe/Entwicklungen macht die Regierung für die aktuellen Wartezeiten verantwortlich?

Davos, 16. Juni 2021

Tomaschett (Chur), Hitz-Rusch, Gugelmann, Atanes, Baselgia-Brunner, Bettinaglio, Buchli-Mannhart, Cantieni, Caviezel (Chur), Clalüna, Degiacomi, Deplazes (Rabius), Derungs, Dürler, Ellemunter, Florin-Caluori, Hardegger, Hartmann-Conrad, Hofmann, Holzinger-Loretz, Märchy-Caduff, Müller (Felsberg), Müller (Susch), Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Perl, Preisig, Rettich, Ruckstuhl, Rutishauser, Schwärzel, Stiffler, Thomann-Frank, Tomaschett-Berther (Trun), von Ballmoos, Weber, Widmer-Spreiter (Chur), Wilhelm, Bürgi-Büchel, Spadarotto, Stieger

Antwort der Regierung

Die deutliche Zunahme der Anmeldungen beziehungsweise Zuweisungen von Kindern und Jugendlichen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in der Grössenordnung von 20 bis 30 Prozent (genaue Zahlen dazu liegen nicht vor) stellt die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Dienste Graubünden (PDGR) aber auch die selbstständig tätigen Fachpersonen im Bereich der Psychologie, Psychotherapie sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie (FBPPKJ) vor grosse Herausforderungen.

Die Wartefrist für ambulante Behandlungen hat nicht zuletzt aufgrund eines dramatischen Anstiegs der Fallzahlen im vergangenen Winter von ca. sechs bis acht auf acht bis zwölf Wochen zugenommen, wobei Notfälle, insbesondere von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der PDGR, noch am gleichen Tag zu einer Konsultation eingeladen werden. Die Bündner Vereinigung für Psychotherapie weist darauf hin, dass der Zunahme der Nachfrage eine konstant gebliebene Anzahl an FBPPKJ gegenübersteht, wobei ein Teil altershalber vor der Aufgabe der Berufstätigkeit steht und Nachfolgerinnen und Nachfolger nur beschränkt in Aussicht stehen. Die selbstständig tätigen FBPPKJ sehen sich gemäss der Bündner Vereinigung für Psychotherapie aufgrund ihrer nicht ausreichenden Kapazitäten häufig gezwungen, Kinder und Jugendliche der Kinder- und Jugendpsychiatrie der PDGR zuzuweisen. Als Grund für den fehlenden Nachwuchs an selbstständig tätigen FBPPKJ sieht die Bündner Vereinigung für Psychotherapie insbesondere die deutlich unterdurchschnittliche Tarifierung ihrer Leistungen.

Zugenommen haben auch die Wartefristen für stationäre Behandlungen, wenn auch deutlich nicht so stark wie im ambulanten Bereich. Sie können aktuell eine Woche bis zwei Monate betragen. Dies ist auch abhängig vom Ort der Behandlung. Kinder und Jugendliche, die einer Behandlung im geschlossenen Rahmen bedürfen, werden der Klinik Littenheid zugewiesen. Kinder und Jugendliche, die auf einer offenen Station behandelt werden können, können grundsätzlich im Kanton behandelt werden: Jugendliche ab zwölf Jahren in der Jugendstation der PDGR, Kinder bis zwölf Jahre je nach Diagnose in der Kinderklinik des Kantonsspitals Graubünden, wobei sie von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der PDGR konsiliarisch betreut werden, ansonsten ebenfalls in der Klinik Littenheid. Notfälle von Jugendlichen, das heisst Fälle, bei denen eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, werden, sofern medizinisch möglich, in der Notfallstation der Erwachsenenpsychiatrie im Waldhaus behandelt.

Bei den Wartezeiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie handelt es sich um ein gesamtschweizerisches Problem, das nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie besteht, sondern sich bereits in den Jahren zuvor akzentuiert hat. Durch die Corona-Pandemie wird das in Fachkreisen bekannte Problem vermehrt in der Öffentlichkeit thematisiert.

Zu Frage 1: Wartefristen sind für die Behandlung von psychischen Erkrankungen grundsätzlich schlecht, da dadurch häufig die Symptomatik fortschreitet. Je früher und schneller eine Behandlung erfolgt, desto kürzer und erfolgreicher ist der Genesungsprozess, wobei es je nach Indikation unterschiedlich vertretbare Wartefristen für eine ambulante oder stationäre therapeutische Behandlung gibt. Die eingehenden Anmeldungen werden entsprechend von Fachexperten der Kinder- und Jugendpsychiatrie nach Ausgangsszenarien, die die Dringlichkeit der Behandlung definieren, triagiert.

Zu Frage 2: Um die Wartezeiten im stationären Bereich für Jugendliche zu verkürzen, haben die PDGR beschlossen, bis zur Inbetriebnahme des Neubaus der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der PDGR (voraussichtlich zweites Quartal 2025) eine geschlossene Station mit fünf Betten für Jugendliche im Personalhaus der Klinik Waldhaus zu errichten. Dadurch kann die Behandlung von Notfällen von Jugendlichen räumlich vom Erwachsenenbereich getrennt werden. Als weitere Massnahme zur Verkürzung der Wartezeiten für ambulante Behandlungen haben die PDGR die Prozesse den aktuellen Gegebenheiten angepasst. So wurde, soweit vertretbar, die Behandlungsdauer laufender Therapien zugunsten der Behandlungsaufnahme neuer Anmeldungen verkürzt. Zudem wurden je zwei neue Stellen für Psychologinnen und Psychologen und für Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater geschaffen.

Die selbstständig tätigen FBPPKJ haben als Beitrag zur Bewältigung der Nachfrage teilweise ihre Arbeitspensen erhöht.

Der Kanton leistet im laufenden Jahr den PDGR für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen einen Beitrag von 3.1 Mio. Franken, davon 1.35 Mio. Franken für die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Regierung ist bereit, eine Erhöhung dieses Beitrags zu prüfen, sollte dieser Betrag zur Deckung der Aufwendungen der PDGR für die notwendigen gemeinwirtschaftlichen Leistungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht ausreichen.

Zu Frage 3: Für die aktuellen Wartezeiten dürften im Wesentlichen die mit dem Andauern der Corona-Pandemie einhergehenden Einschränkungen gestiegenen psychischen Belastungen der Kinder und Jugendlichen verantwortlich sein, wobei es dazu noch keine aussagekräftigen Studien gibt. 

1. September 2021