Navigation

Inhaltsbereich

Session: 03.09.2022

Gemäss Auskunft des Amtes für Jagd und Fischerei Graubünden (AJF) vom 24.08.2022 sind dem Beverinrudel trotz vorhandenem Herdenschutz folgende Nutztierrisse zuzuordnen:

  • 2019: 32 Schafe, 16 Ziegen, weitere 29 Schafe vermisst
  • 2020: 43 gerissene Schafe auf der Stutzalp, 1 Esel tot, 1 Kalb tot
  • 2021: 28 Schafe tot, 3 verletzte Esel, 5 verletzte und 2 tote Rinderartige
  • 2022: 2 Mutterkühe, 3 Angriffe auf Rinder (ohne Verletzung), 5 verletzte und 69 tote Schafe

Zusätzlich zu den Nutztierrissen haben folgende problematische Begegnungen mit Menschen stattgefunden:

  • 25.03.21: Wolf bleibt über längere Zeit unmittelbar am Dorf Nufenen und lässt sich nur durch einen Warnschuss durch den Wildhüter vertreiben.
  • 11.8.21 und 17.8.21, Alp digl Oberst: Begegnungen mit einer Hirtin, wobei die Wölfe in der ersten Begegnung Drohverhalten zeigen und in der zweiten versuchen, den Hirtenhund zu greifen.
  • 27.08.2021: Nahbegegnung zwischen zwei Touristen und dem Wolfsrudel auf einer Wanderung zur Alperschällilucka, wobei mutmasslich vier der Welpen sich erst nach mehrmaligen Versuchen vertreiben liessen.
  • 22.9.21: Begegnung zwischen einem Jäger und Wölfen in Splügen, wobei die Wölfe dem Jäger in kurzer Distanz über mehrere Minuten folgen. Am Folgetag wiederum eine Begegnung.
  • 3.1.22: Begegnung in Dumagns zwischen Spaziergängern und einem Wolf, der sich über längere Zeit in der Nähe von Menschen aufhält und sich nicht vertreiben lässt, sich dann nur sehr zögerlich entfernt.

Von Seiten der Wildhut wurden auf Basis des Eidgenössischen Jagdgesetzes und dessen Verordnung im 2019 vier Jungwölfe, im 2021 drei Jungwölfe und im 2022 zwei Jungwölfe des Rudels erlegt. Zusätzlich erfolgten verschiedene Vergrämungsaktionen. Die getroffenen Massnahmen wie Vergrämung oder Entnahme von Jungtieren haben weder die gewünschte Wirkung gezeigt noch sind sie für die Betroffenen nachvollziehbar.

Die Probleme mit Wölfen mehren sich im ganzen Kanton. Namentlich im Prättigau, im Unterengadin, in der Surselva und im Misox ist die Koexistenz von Wölfen mit der Bewirtschaftung des Berggebietes, ähnlich wie in der Region Viamala, nicht mehr gegeben. Nebst dem grossen Tierleid beim Nutzvieh werden Alpen aufgrund der Wolfspräsenz nicht mehr bestossen oder frühzeitig entladen. Die nicht mehr bestossenen Alpen sind ein Verlust des Eigentums. Zusätzlich sind aufgrund der Wolfspräsenz und deren Auswirkungen viele Bäuerinnen und Bauern sowie Älplerinnen und Älpler psychisch angeschlagen. Somit sind verschiedene Rechtsgüter wie Leib, Leben, Gesundheit sowie Eigentum bedroht und zum Teil bereits verloren. Die Möglichkeiten, die genannten Schutzgüter über die geltende Gesetzgebung zu schützen, sind, siehe Beispiel Beverinrudel, wirkungslos. Fehlt eine gesetzliche Grundlage, die Schutzgüter zu schützen, kann die polizeiliche Generalklausel aufgerufen werden.

Dem Verlust der Schutzgüter aufgrund von verhaltensauffälligen Wölfen ist mit allen vorhandenen Mitteln entgegenzuwirken. Daher fordern die Unterzeichnenden die Regierung auf, folgende Wölfe im Kanton Graubünden gestützt auf die polizeiliche Generalklausel zu entnehmen:

a. das gesamte Beverinrudel,

b. alle weiteren verhaltensauffälligen Wölfe, die eine Koexistenz nicht zulassen.

Chur, 3. September 2022

Michael (Donat), Roffler, Loi, Altmann, Bachmann, Bavier, Beeli, Bergamin, Berther, Bettinaglio, Binkert, Bleuler-Jenny, Brandenburger, Brunold, Bundi, Butzerin, Cahenzli (Trin Mulin), Candrian, Collenberg, Cortesi, Crameri (Surava), Danuser (Cazis), Della Cà, Derungs, Dürler, Epp, Favre Accola, Föhn, Furger, Gansner, Gort, Grass, Hartmann, Hefti, Heini, Hohl, Holzinger-Loretz, Hug, Kasper, Kienz, Koch, Kocher, Kohler, Krättli, Lamprecht, Lehner, Loepfe, Maissen, Mani, Menghini-Inauen, Messmer-Blumer, Metzger, Michael (Castasegna), Mittner, Morf, Natter, Rauch, Righetti, Rüegg, Salis, Sax, Schutz, Sgier, Spagnolatti, Stocker, Tanner, Tomaschett, Ulber, Weber, Widmer, Wieland, Zanetti (Sent), Zanetti (Landquart)

Antwort der Regierung

Artikel 5 der Bundesverfassung (BV; SR 101) erhebt das Recht zur Grundlage und Schranke des staatlichen Handelns. Ausnahme dieses Grundsatzes ist die polizeiliche Generalklausel als letzte Möglichkeit, um eine drohende, unmittelbare Gefahr abzuwenden. So unabdingbar sie für ein flexibles und situationsgerechtes Handeln des Staates auch sein kann, so missbrauchsanfällig ist sie. Darum darf sie nur in absoluten Ausnahmefällen angewendet werden. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Erstens müssen besonders hochstehende (fundamentale) Schutzgüter des Staates oder von Einzelnen betroffen sein. Dazu gehören insbesondere die öffentliche Sicherheit und der Schutz von Leib und Leben. Zweitens muss eine schwere und unmittelbare Gefahr für diese Schutzgüter vorliegen, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den Schutzgütern führt. Als Schaden gelten dabei nur erhebliche Beeinträchtigungen, nicht aber blosse Nachteile. Drittens wird vorausgesetzt, dass keine geeigneten gesetzlichen Massnahmen zur Verfügung stehen und dass sich diese aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit auch nicht zeitnah schaffen lassen. Und viertens muss die Verhältnismässigkeit bei der Anwendung der polizeilichen Generalklausel gewahrt werden, insbesondere muss es sich um die mildeste der geeigneten Massnahmen handeln.

Zu Punkt 1: Der Abschuss von Rudeltieren mit problematischem Verhalten erfolgt im Rahmen der Regulierung, welche in der eidgenössischen Jagdgesetzgebung (Art. 12 Abs. 4 JSG [SR 922.0] i.V.m. Art. 4bis JSV [SR 922.01]) ausdrücklich geregelt wird. Wie im Vorstoss selbst erwähnt, konnten anhand dieser gesetzlichen Grundlage bereits mehrere Wölfe auch aufgrund des Tatbestandes der erheblichen Gefährdung von Menschen aus dem Beverinrudel entfernt werden. Da das Vorgehen bei Rudeltieren, welche Menschen erheblich gefährden oder einen Schaden verursachen, gesetzlich geregelt ist, bleibt für die Anwendung der polizeilichen Generalklausel von Rechts wegen kaum Raum. Insbesondere bietet diese unter regulären Umständen keine Möglichkeit für die Entnahme eines ganzen Rudels.

Zu Punkt 2: Im Gegensatz zu Rudeltieren besteht für den Umgang mit verhaltensauffälligen Einzelwölfen keine explizite gesetzliche Regelung. Somit liegt eine Gesetzeslücke vor, welche es dem Kanton ermöglicht, zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit Einzelwölfe gestützt auf die polizeiliche Generalklausel abzuschiessen. Von dieser Möglichkeit hat der Kanton zu Beginn dieses Jahres Gebrauch gemacht, als es darum ging, einen verhaltensauffälligen Wolf in der oberen Surselva zu erlegen. Dabei war nach einer über längere Zeit beobachteten fehlenden Scheu als Folge eines Habituierungsprozesses beziehungsweise einer ungünstigen Entwicklung des Verhaltens des Wolfs gegenüber Menschen rasches Handeln erforderlich, da es wenige Tage zuvor zu einer gefährlichen Begegnung mit einem Menschen gekommen war. Bei gegebener Voraussetzung, sprich in Fällen von zeitlicher Dringlichkeit und bei schwerer, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr für fundamentale Rechtsgüter, wird der Kanton auch in Zukunft von dieser gesetzlichen Ersatzgrundlage Gebrauch machen. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Entnahme mittels polizeilicher Generalklausel nur als letztes Mittel eingesetzt werden kann, wenn alle milderen Massnahmen versagt haben.

Die aktuelle Wolfsentwicklung bereitet den zuständigen kantonalen Stellen Sorgen und stellt alle Beteiligten vor grosse Herausforderungen. Die Haltung des Kantons und der zuständigen Dienststellen ist seit Jahren dieselbe: Die Kantone benötigen die Möglichkeit, den Wolfsbestand analog zu anderen Wildarten zu regulieren, bevor Schäden entstehen. Dafür braucht es die nötigen gesetzlichen Grundlagen. Die angestossene Revisionsvorlage geht in die richtige Richtung. Die Regierung ist bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen zur Anwendung der polizeilichen Generalklausel dessen ungeachtet aber weiterhin bereit. Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den Auftrag wie folgt abzuändern:

Die Regierung unterstützt die angestossene Vorlage zur Revision des JSG mit dem Ziel, den Wolfsbestand analog zu anderen Wildtierarten zu regulieren. Der Kanton entnimmt weiterhin Wölfe bei Vorliegen der Voraussetzungen gestützt auf die polizeiliche Generalklausel.

28. Oktober 2022