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Session: 19.10.2022

Mit dem Krieg in der Ukraine wurde Graubünden mit einer neuen Situation konfrontiert: Die Zahl der vom Bund an den Kanton zugewiesenen Asylsuchenden hat sich schlagartig vervielfacht. Aufgrund der grossen Anzahl Personen hat die Bündner Regierung im Frühjahr 2022 entschieden, dass Schutzbedürftige mit Aufenthaltsstatus «S» nebst den kantonalen Kollektivunterkünften auch in Mietwohnungen oder bei Gastfamilien untergebracht werden können. Innert kurzer Zeit konnten die schutzsuchenden Menschen dank der Offenheit und Solidarität der Bündner Bevölkerung rasch eine neue Unterbringung finden.

Viele Gastfamilien beherbergen Schutzsuchende nun schon länger als geplant. Einige Kantone seien sich nicht ganz sicher, wie beständig die Unterbringung von Schutzsuchenden bei Privaten über Monate hinweg sei, schreibt die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) auf Anfrage der Südostschweiz (Ausgabe vom 15. Juli 2022). Diese Bedenken bestätigen sich auch bei uns in Graubünden. Das Zusammenleben in privater Unterbringung gestaltet sich oft deutlich schwieriger als erwartet. Deshalb wollen Schutzsuchende vermehrt in eigenständige Wohnungen wechseln.

Die Unterbringung der Schutzsuchenden liegt gemäss Aussage des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) in der Verantwortung der Kantone. Diesem Umstand wird insofern Rechnung getragen, als dass Personen mit Schutzstatus «S», welche in Mietwohnungen oder in Gastfamilien untergebracht sind, grundsätzlich durch die regionalen Sozialdienste in den Bereichen persönliche und wirtschaftliche Sozialhilfe unterstützt werden. Die finanzielle Unterstützung erfolgt direkt durch den regionalen Sozialdienst. Auch Gastfamilien können sich punktuell an den Sozialdienst wenden, eine Begleitung vor Ort kann aus Ressourcengründen aktuell aber nicht geleistet werden.

Im Grundsatz scheint alles geregelt, auch betreffend persönliche und wirtschaftliche Unterstützung durch den regionalen Sozialdienst – die Realität sieht aber leider anders aus. Nach Bezug einer neuen Wohnung wird beispielsweise deren Finanzierung zwar gemäss geltenden Richtlinien übernommen, bei der Suche selbst sind die Schutzsuchenden aber auf sich alleine gestellt beziehungsweise wiederum auf die Unterstützung der Gastfamilien angewiesen. Insbesondere aufgrund der hohen Sprachbarriere ist eine eigenständige Suche nach passenden Mietobjekten durch die Schutzsuchenden faktisch unmöglich.

Die Unterzeichnenden stellen der Regierung in diesem Zusammenhang folgende Fragen:

  1. Wie schätzt die Regierung die Beständigkeit der Unterbringung von Schutzsuchenden bei Privaten ein und welche Massnahmen wurden und werden getroffen, um den erwähnten Befürchtungen entgegenzuwirken?
  2. Welche Massnahmen gedenkt der Kanton zu treffen, um vor Ort betroffene Personen effektiv zu betreuen und damit die einheimischen Gastfamilien zu entlasten?
  3. Wie kann die Regierung die nötigen personellen Ressourcen während der Dauer der Ukraine-Krise bei den zuständigen Dienststellen und den regionalen Sozialdiensten sicherstellen?

Chur, 19. Oktober 2022

Gansner, Epp, Müller, Altmann, Bardill, Beeli, Berther, Bettinaglio, Biert, Binkert, Bisculm Jörg, Bleuler-Jenny, Brandenburger, Brunold, Cahenzli-Philipp (Untervaz), Collenberg, Crameri, Danuser (Cazis), Derungs, Dietrich, Dürler, Gredig, Heini, Hoch, Hohl, Holzinger-Loretz, Kasper, Kocher, Kohler, Kreiliger, Loepfe, Maissen, Mani, Mazzetta, Messmer-Blumer, Michael (Donat), Nicolay, Preisig, Rutishauser, Said Bucher, Schutz, Stiffler, von Ballmoos, Widmer, Wieland, Zanetti (Landquart), Zanetti (Sent)

Antwort der Regierung

Der Krieg in der Ukraine hat in Europa die grösste Fluchtbewegung seit dem zweiten Weltkrieg ausgelöst. Der Bundesrat hat am 11. März 2022 entschieden, dass Schutzsuchende aus der Ukraine den Schutzstatus S erhalten. Damit erhielten die Geflüchteten ein Aufenthaltsrecht, ohne dass sie ein ordentliches Asylverfahren durchlaufen mussten. Der Schutzstatus S wurde zum ersten Mal angewendet. Bis Ende April 2022 wurden dem Kanton vom Bund über 800 Personen aus der Ukraine zugewiesen. Das bedeutete, dass pro Tag rund 30 Personen dem Kanton zugewiesen wurden. Die Regelstrukturen waren für 30 Personen pro Monat ausgelegt. Gerade in dieser Anfangsphase war der Kanton auf jede mögliche Unterbringung angewiesen. Die Regierung bedankt sich bei den Gastfamilien, welche sich freiwillig für die Schutzsuchenden eingesetzt haben und sich immer noch einsetzen.

Per Ende Oktober 2022 unterstützten die regionalen Sozialdienste rund 848 Personen in 481 Dossiers, welche in Individualunterkünften wohnten. Davon wohnten 124 Personen (91 Dossiers) mit einheimischen Gastfamilien in einem gemeinsamen Haushalt. Wenn beim Zusammenleben Schwierigkeiten auftauchen, kann der Kanton Wohnungen vermitteln, welche von der Bevölkerung angeboten werden. Insbesondere dann, wenn Kinder bereits eingeschult sind.

Zu Frage 1: Das Bündner Gesetz sieht vor, dass Schutzsuchende, welche wirtschaftlich unselbstständig sind, grundsätzlich in Kollektivunterkünften untergebracht und vom Amt für Migration finanziell unterstützt werden (Art. 35 Verordnung zum Einführungsgesetz zur Ausländer- und Asylgesetzgebung; RVzEGzAAG; BR 618.110). Auf Grund der grossen Anzahl von Schutzsuchenden, welche dem Kanton Graubünden zugewiesen wurden resp. sich schon im Kanton befanden, entschied die Regierung, dass Personen mit Schutzstatus S auch in Individualunterkünften untergebracht werden können. Das Einführungsgesetz zur Ausländer- und Asylgesetzgebung des Bundes (Art. 4 EGzAAG, BR 618.100) hätte vorgesehen, dass die Regierung in dieser Situation die Gemeinden verpflichten kann […] Schutzbedürftige nach Massgabe ihrer Bevölkerungszahl aufzunehmen. Dies hat die Regierung mit ihrem Handeln gezielt vermieden, da sie die Gemeinden nicht mit zusätzlichen Aufgaben belasten wollte. Der Entscheid führte gleichzeitig zu einer gewissen Rechtsungleichheit zwischen Personen aus dem Asylbereich. Eine Begleitung und Betreuung von Schutzsuchenden, welche über das Angebot der übrigen Bevölkerung hinausgeht, war aus diesem Grund von Beginn an nicht angezeigt. Die Regierung teilt die Ansicht, dass die Beherbergung und das Zusammenleben im gleichen Haushalt für Menschen, die sich nicht kennen, herausfordernd sein können. Das Amt für Migration und Zivilrecht hat deshalb rasch zusätzliche Kollektivunterkünfte in Betrieb genommen, damit dem Kanton zugewiesene Personen mit Schutzstatus S untergebracht werden können. Weiter wurde die Schweizerische Flüchtlingshilfe bereits früh gebeten, von Vermittlungen direkt aus den Bundesasylzentren an Gastfamilien abzusehen. Die Vermittlung haben die kantonalen Stellen selbst übernommen. Sie haben dabei wenn immer möglich darauf geachtet, dass Räumlichkeiten nicht gemeinsam mit einer Gastfamilie benutzt werden mussten.

Zu Frage 2: Der Kanton betreut die Schutzsuchenden vergleichbar mit übrigen Personen, die Unterstützung benötigen. Insbesondere im Sinne der Sicherstellung der Rechtsgleichheit von Personen aus dem Asylbereich plant die Regierung deshalb nicht, die Betreuungskapazitäten für Personen mit Schutzstatus S bzw. deren Gastfamilien auszubauen. Der Kanton verfügt derzeit über ausreichend Plätze in Kollektivunterkünften für Personen mit Schutzstatus S. Wenn Personen mit Schutzstatus S nicht mehr bei den Gastfamilien leben können, ist es möglich, in einer Kollektivunterkunft einen Platz zu erhalten.

Zu Frage 3: Die Regierung hat die notwendigen finanziellen Ressourcen aller Dienststellen, welche in Zusammenhang mit Personen mit Schutzstatus S erforderlich sind, im Budget 2023 berücksichtigt. Damit können die zeitlich befristeten Anstellungen verlängert werden.

15. Dezember 2022