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Session: 02.09.2023

Am 11. März 2012 hat das Schweizer Stimmvolk die Zweitwohnungsinitiative, die den Zweitwohnungsanteil und -ausbau beschränkt, angenommen: In Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent dürfen grundsätzlich keine neuen Zweitwohnungen mehr bewilligt werden. Das Zweitwohnungsgesetz (ZWG) ist am 1. Januar 2016 in Kraft getreten.

Am 19. Juni 2020 reichte Nationalrat Martin Candinas die parlamentarische Initiative 20.456 «Unnötige und schädliche Beschränkung des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen» mit folgendem Text ein: «Das Bundesgesetz über die Zweitwohnungen (ZWG) ist so anzupassen, dass bei der auf 30 Prozent der Hauptnutzfläche beschränkten Erweiterung von altrechtlichen Wohnungen gleichzeitig die Schaffung von neuen Wohnungen zulässig ist. Auch soll bei einem Abbruch und Wiederaufbau eines betroffenen Objekts eine Erweiterung der Hauptnutzfläche um 30 Prozent, die Schaffung zusätzlicher Wohnungen und eine Standortverschiebung auf demselben Grundstück möglich sein. Dazu ist eine kleine Änderung in Artikel 11 Absatz 2 und 3 ZWG notwendig.»

Am 16. August 2023 verabschiedete der Bundesrat seine Stellungnahme zur parlamentarischen Initiative Candinas: «Dem Bundesrat geht dieser Entwurf zu weit. In seiner Stellungnahme hält er fest, dass in den betreffenden Gemeinden der Bau von zusätzlichen Zweitwohnungen und Gebäuden in einen gewissen Konflikt mit der Bundesverfassung trete. Der Bundesrat schlägt deshalb vor, dass zusätzliche Wohnungen, die im Rahmen einer Vergrösserung entstehen, ausschliesslich als Erstwohnung zu nutzen sind.» (Medienmitteilung des Bundesrates betreffend Bundesrat schlägt massvolle Lockerung des Zweiwohnungsgesetzes vor, Bern, 16.8.2023; Hervorhebung durch die Fragestellerin)

Dieses Geschäft wird in der kommenden Herbstsession behandelt und hat – mit welchem Ausgang auch immer – Auswirkungen auf den Kanton Graubünden. Eine Diskussion über den Schutz des altrechtlichen Bestands von Erstwohnungen ist daher dringend notwendig.

Aus diesem Grund ersuche ich die Regierung, die nachfolgenden Fragen zu beantworten:

  1. Wie beurteilt die Regierung den aktuellen Verhandlungsstand betreffend parlamentarische Initiative Candinas beziehungsweise den Vorschlag des Bundesrats?
  2. Wird die Regierung bei einer Annahme der parlamentarischen Initiative Candinas in ihrer ursprünglichen Form Massnahmen ergreifen, damit der Druck auf die altrechtlichen Wohnungen nicht noch mehr zunimmt und sich die schon heute herrschende Wohnungsnot insbesondere in den Tourismusorten nicht weiter verschärft?
  3. Oder noch konkreter gefragt: Wie will die Regierung den altrechtlichen Bestand, der heute als Erstwohnung genutzt wird, schützen?

Chur, 2. September 2023

Preisig, Mazzetta, Kaiser, Bachmann, Bardill, Baselgia, Biert, Bischof, Bisculm Jörg, Bleuler-Jenny, Cahenzli-Philipp, Danuser (Chur), Degiacomi, Dietrich, Gredig, Hoch, Kreiliger, Müller, Nicolay, Perl, Rusch Nigg, Rutishauser, Walser

Antwort der Regierung

Zu Frage 1: Die Regierung befürwortet die parlamentarische Initiative 20.456 von Nationalratspräsident Martin Candinas betreffend das Zweitwohnungsgesetz (ZWG; SR 702) und die Entscheide des Nationalrats (NR) vom 26. September 2023. Entsprechend lehnt sie die davon abweichende Stellungnahme des Bundesrats ab. Der NR hat beschlossen, einerseits eine Erweiterung der Hauptnutzfläche (HNF) von altrechtlichen Wohnungen um 30 Prozent auch bei Abbruch/Wiederaufbau in dem Sinn zuzulassen, als dass keine Erstwohnungsauflage verfügt werden muss bzw. die Wohnung altrechtlich, also frei nutzbar, bleibt. Der Grund für diese Anpassung liegt in einem Bundesgerichtsurteil vom 8. Mai 2020 (1C_478/2019), das überraschend einen Unterschied zwischen einer Erweiterung im Rahmen einer Sanierung oder Umbaus und einer Erweiterung im Rahmen eines Abbruchs/Wiederaufbaus machte, obwohl Art. 11 Abs. 3 ZWG, der die Erweiterung regelt, keinen Unterschied zwischen den baulichen Massnahmen macht, die allesamt in Art. 11 Abs. 2 ZWG aufgeführt sind. Dieser Entscheid hat der NR nun korrigiert. Andrerseits dürfen gemäss NR nun auch bei einer Erweiterung zusätzliche Wohnungen entstehen ("Wohnungssplitting"), die dann weiterhin altrechtlich und frei nutzbar bleiben. Gemäss geltendem Recht darf bereits ein Wohnungssplitting erfolgen, aber nur, wenn die HNF nicht erweitert wird. Mit dieser neuen Regelung haben Einheimische, die eine altrechtliche Wohnung bewohnen, für ihre Liegenschaft mehr Entwicklungsmöglichkeiten und Spielräume. Die Nutzung als Erstwohnung könnte allenfalls vermehrt erhalten werden, wenn die erweiterte Fläche als Ferienwohnung vermietet oder verkauft werden kann; ansonsten wird wohl eher die ganze Liegenschaft als Zweitwohnung verkauft. Auch ortsansässige Familien, die eine altrechtliche Liegenschaft erwerben wollen und diese sanieren, umbauen oder abbrechen/wiederaufbauen müssen, haben damit für die Finanzierung wohl mehr Spielräume. Zudem ist bei zu Ferienzwecken genutzten altrechtlichen Wohnungen davon auszugehen, dass auf gleicher Fläche mehr Betten realisiert werden und damit auch mehr Gäste bzw. Zweitwohnende pro m2 Wohnfläche möglich sind. Mehrere kleinere Ferienwohnungen sind weniger grösseren vorzuziehen. Allenfalls kann das auch den derzeitigen Druck auf den Bestand der altrechtlichen Wohnungen reduzieren.

Ansonsten wird noch die Möglichkeit gegeben, diese zusätzlichen Wohnungen in einem neu zu erstellenden Gebäude zu realisieren. Bisher musste dies im gleichen Objekt geschehen. Damit kann allenfalls eine bessere Bebauung der Parzelle sichergestellt werden. Die geringfügte Standortverschiebung war auch bisher gegeben und ist teils nötig, ebenfalls zwecks idealer Bebauung der Parzelle oder aus lokaler städtebaulicher Sicht.

Zu Frage 2: Die Regierung ist der Ansicht, dass die Anpassungen gemäss NR, sollten sie so bleiben, keine neuen Auswirkungen zeitigen und die heutige Lage nicht verändern wird. Allenfalls wäre eine gewisse Entspannung beim Druck auf den altrechtlichen Bestand möglich, sofern vom "Splitting", das neu auch bei Erweiterungen möglich wäre, vermehrt Gebrauch gemacht würde. Zudem könnten möglicherweise vermehrt Erstwohnnutzungen erhalten bleiben.

Zu Frage 3: Es ist auf die Antwort der Regierung auf die Fraktionsanfrage SP betreffend Schutz altrechtlicher Bauten und Wohnungen zu verweisen (Grossratsprotokoll Juni 2022, 6|2021–2022, S. 1304 ff.). Die Problematik bezüglich knappen und bezahlbaren Wohnraums gestaltet sich vielschichtig und lässt sich nicht auf das Thema des ZWG reduzieren, sei es mit oder ohne Anpassung. Massnahmen betreffend den knappen Wohnraum sind in erster Linie von den Gemeinden zu treffen; daneben ist der Kanton in der Umsetzung des Fraktionsauftrags SP betreffend Wohnraumförderung, der in der Junisession 2023 überwiesen wurde. Im Übrigen nimmt der Kanton nach wie vor Abstand von Massnahmen zur Einschränkung der freien Nutzbarkeit der altrechtlichen Wohnungen, weiterhin aus den in der erwähnten Fraktionsanfrage dargelegten Gründen. 

11. Oktober 2023