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Kurz nachdem ich vor drei Jahren meine Stelle als kantonale Gleichstellungsbeauftragte angetreten hatte, traf ich zufälligerweise den ehemaligen Arbeitgeber meiner ersten Arbeitsstelle, erzählt Barbara Wülser, Leiterin der Stabsstelle für Chancengleichheit in ihrer Kolumne. Wie geht die Geschichte weiter?

Kurz nachdem ich vor drei Jahren meine Stelle als kantonale Gleichstellungsbeauftragte angetreten hatte, traf ich zufälligerweise den ehemaligen Arbeitgeber meiner ersten Arbeitsstelle. Mittlerweile war er pensioniert. Als er erfuhr, wohin mich mein beruflicher Weg geführt hatte, neigte er sich zu mir hin und meinte: «Aber ehrlich, die Gleichstellung haben wir inzwischen doch erreicht.» Meine betagte Mutter, die neben mir sass, schaute ihn mit grossen Augen an und sagte bestimmt: «Sie wissen nicht, wie es ist, eine Frau zu sein.»

Wie recht meine Mutter hatte! Mein ehemaliger Chef steckt ja nicht in der Haut von uns Frauen, und selbst für uns Betroffene sind die Mechanismen und Machtstrukturen schwer zu durchschauen – aber spürbar. Allzu oft beziehen wir die Probleme auf uns und denken: «Wenn ich doch nur besser wäre! Wenn ich doch nur anders reagiert hätte!» Um die Hintergründe zu erkennen, sind die Vernetzung und der Austausch von Frauen untereinander wichtig. Eine Gelegenheit boten wir Anfang April an der Fachhochschule Graubünden mit der «Scuntrada da dunnas» im Wissen: Gut vernetzte Frauen bestärken sich gegenseitig.

«Nie genug!»

Es ist «Nie genug!», wie die Autorin und Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach in ihrem Referat darlegte. Sie zeigte entlang ihres Buchs «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit» auf, dass die Herausforderungen für Frauen keine individuellen Probleme, sondern strukturell bedingt sind. Frauen übernähmen oft mehr Verantwortung für so genanntes Beziehungshandeln. Dass sie für die Beziehungspflege zuständig sind, werde oftmals vorausgesetzt, auch im beruflichen Kontext. Doch Beziehungsverantwortung zu tragen, brauche Energie. «Meistens realisieren Frauen noch gar nicht mal, wie viel sie in dieser Hinsicht leisten.»

Neben den althergebrachten Rollenzuschreibungen, die nach wie vor wirksam sind, kommen mit dem beruflichen und politischen Engagement neue Erwartungen und teils widersprüchliche Rollenzuschreibungen hinzu. Frauen seien erschöpft, betonte Franziska Schutzbach. «Die allgegenwärtige Zuständigkeit wird zum Problem, wenn immer weniger Zeit für diese vorhanden ist.» Das Management der Familienarbeit bleibe mehrheitlich bei den Frauen, auch wenn viele Männer ihren Teil der täglichen Arbeit übernehmen. Das Fazit der Dozentin für Geschlechterforschung an der Universität Basel lautet: «Wir müssen das Private, das Berufliche und das Politische immer zusammen denken.»

Auch Frauen dürfen uneins sein

Hier auf den Wert der unbezahlten Sorgearbeit einzugehen, die mehrheitlich Frauen leisten, wäre wichtig. Ich spare mir dieses Thema auf, um ihm in einer künftigen Kolumne mehr Raum zu geben, und bleibe bei den Frauen und ihrer Vernetzung.

Für die Bestärkung von Frauen braucht es geschützte Räume, die exklusiv Frauen vorbehalten sind, in denen sie ihre Rollen, Prägungen und Möglichkeiten reflektieren und entwickeln können. Dazu gehören auch die Kurse für Frauen in Politik und Verwaltung, die wir zusammen mit der Fachhochschule seit vielen Jahren anbieten. Nicht alle verstehen dieses Bedürfnis. Wenn ich es den ausgeschlossenen Männern doch nur besser verständlich machen könnte!

Aufruhr gab es kürzlich auch unter den Frauen: Die Frauenzentrale und das Organisationskomitee Frauenfest Chur hatten zum Internationalen Tag der Frau am 8. März geladen. «Women & Girls only», stand auf dem Flyer. Ist das noch zeitgemäss? Ist solche Exklusivität in der heutigen Gesellschaft notwendig – oder schadet sie der Sache? Solche Fragen wurden rund um das Frauenfest erschöpfend diskutiert. Manche Frauen fanden es toll, unter sich zu feiern. Andere boykottierten den Anlass. Interessanter ist aber die Frage: Müssen Frauen immer ein Herz und eine Seele sein? Dürfen Frauen unterschiedliche Meinungen vertreten, ohne dass sie sich gegenseitig ihre Solidarität absprechen? Wie auch immer: Männer sind eingeladen, mitzulesen und mitzudiskutieren. Ich freue mich auf kontroverse Ansichten und hoffe, wir Frauen werden immer besser darin, diese auszuhalten!

  
Foto von Stephanie Blochwitz
Franziska Schutzbach beim Vernetzungsevent Frau in Politik und Verwaltung. Foto von Stephanie Blochwitz

 

 

Dieser Text erschien erstmals als Gastbeitrag im Bündner Tagblatt vom 18. April 2024.

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