Auf Gemeindeebene ist der politische Gestaltungsraum gross. Doch die Personen sind auch exponierter. Wie Frauen Mut fassen können, sich politisch zu betätigen, dieser Frage ging die Veranstaltung «La Bregaglia femminile» Ende Januar 2023 in Soglio nach. Die regen Diskussionen zeigten: Das Thema ist in der Region angekommen und relevant. Dies belegt auch die jährliche Erhebung des Amts für Gemeinden.
Nirgends in der Politik könne so viel bewegt werden wie in der Gemeindepolitik, sagten sowohl Nationalrätin Anna Giacometti als auch Nora Saratz Cazin, Gemeindepräsidentin von Pontresina. Grossrätin Nora Saratz Cazin betonte: «Ich habe den direkten Hebel.» Den Hebel hat Nora Saratz Cazin zum Beispiel bei den Löhnen der Kindergartenlehrpersonen angesetzt: Als eine der ersten Gemeinden verwirklicht Pontresina Lohngleichheit zwischen Kindergartenlehrpersonen und Primarlehrpersonen.
Die beiden erfahrenen Politikerinnen gaben an der zweisprachig durchgeführten Veranstaltung «La Bregaglia femminile» am 26. Januar 2023 in Soglio Einblick in ihre Erfahrungen in der Politik. Anschliessend wurden die Massnahmen aus dem Projekt und der Plattform «Promo Femina» mit der Bergeller Bevölkerung diskutiert und konkretisiert.
«La Bregaglia femminile» war die erste Station von «Promo Femina on Tour», einer Initiative der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann und der Fachhochschule Graubünden (FHGR). Tatkräftig unterstützt wurden die Veranstalterinnen vom «Laboratorio vivente Bregaglia» der FHGR, der Gemeinde Bregaglia, der Fachstelle Mehrsprachigkeit, dem Amt für Gemeinden und weiteren engagierten Personen vor Ort.
Frauen politisieren anders
Auch Anna Giacometti, Gemeindepräsidentin von Bregaglia von 2010 bis 2020, stellt rückblickend fest, dass Politik auf Gemeindeebene am spannendsten sei. Die Arbeit sei sehr abwechslungsreich. Dass Frauen in der Regel mehr Gelder in soziale Bereiche wie Bildung investieren, beobachten beide. Zudem haben Frauen gemäss Anna Giacometti eine andere Art, Probleme anzugehen und zu lösen: «Ich würde sagen, wir haben mehr Empathie für soziale Probleme.»
Den eigentlichen Anstoss, in die Politik einzusteigen, erhielt Nora Saratz Cazin von ihrer Tochter. Als sie die Frage, ob sie in der Geschäftsprüfungskommission schon einmal eine Frau gegeben habe, verneinen musste, antwortete ihre Tochter: «Dann musst du es machen!» Ohne die Unterstützung der Familie, sei es der Ehemann oder die Grosseltern, wäre es für beide Frauen nicht möglich gewesen, diesen Weg zu gehen. «Ich kann diesen Beruf nur ausüben, weil mein Mann sein Arbeitspensum reduziert hat», sagte Nora Saratz Cazin.
Seilschaften statt Netzwerke
Als wichtige Eigenschaften für Frauen in der Politik nannten Giacometti und Saratz Cazin Geduld, Mut und die Fähigkeit zu verhandeln und Konsens zu finden. Besonders in den Gemeindeexekutiven sei Mut wichtig. Dort seien Frauen wie Männer exponierter als auf kantonaler oder eidgenössischer Ebene, weil alle sich kennen. Einig sind sich Anna Giacometti und Nora Saratz Cazin: Es braucht mehr Frauen in der Politik. Unterschiedliche Lebenswerte und Sichtweisen müssten in den Ämtern vertreten sein, damit diese in der Politik auch widerspiegelt werden.
In der anschliessenden Diskussion im offenen Raum zeigten sich einige Bergeller Besonderheiten. Unter anderem spielen Parteien offenbar eine kleine Rolle bei der Akquise von neuen Kandidatinnen. Vielmehr seien es Seilschaften, die den Verlauf der Dinge bestimmten, äusserten sich junge Frauen nicht ohne Unmut.
Erhebung 2023 zeigt keine Verbesserung
Dass Frauen in der Gemeindepolitik untervertreten sind, dokumentiert das Amt für Gemeinden seit 2022 in einer jährlichen Erhebung. Weiterhin sind auch 2023 lediglich 14 Prozent bzw. 14 der insgesamt 101 Gemeindepräsidien in Frauenhand. In der Region Maloja, wo Bregaglia zugehörig ist, sind es zwei: Nora Saratz Cazin und Barbara Aeschbacher in Sils i.E. Bei den Gemeindevorständen sind es gesamtbündnerisch unverändert 21 Prozent.
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Promo Femina on Tour FHGR