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«Es ist das Recht jeden Mannes so zu leben, wie es seinen Vorlieben und Talenten entspricht, ob er nun Socken wäscht, Betagte pflegt oder Server programmiert – ohne dass er kritisiert oder diskriminiert wird.» Wie tönt das für Sie? Irritierend?

Machen wir die Umkehrprobe: «Es ist das Recht jeder Frau so zu leben, wie es ihren Vorlieben und Talenten entspricht, ob sie nun Socken wäscht, Betagte pflegt oder Server programmiert – ohne dass sie kritisiert oder diskriminiert wird.» Das tönt doch schon viel vertrauter, vor allem aus dem Mund einer Gleichstellungsbeauftragten wie mir!

Die Wahlfreiheit gilt als zentrale Errungenschaft der Emanzipation. Doch ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist für viele Frauen noch immer keine Selbstverständlichkeit. Zu diesem Schluss kommen auch die Autorinnen – Autoren sind mitgemeint – des Generationenbarometers 2023, das Sotomo im Auftrag des Berner Generationenhauses verfasste. Auf die Frage «Was war der bisher grösste Erfolg in Ihrem Leben?» nannten Frauen deutlich häufiger als Männer materiellen Besitz und die Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. «Dies zeigt, dass für einige Frauen die ökonomische Unabhängigkeit nach wie vor keine Selbstverständlichkeit ist», folgern die Studienautorinnen.

Das Generationenbarometer misst jährlich, was Jung und Alt bewegt. Wir können aufatmen: Es macht 2023 weder gravierende Gräben zwischen den Generationen noch zwischen den Geschlechtern aus. Zwei Ergebnisse möchte ich hier dennoch hervorheben: Das Generationenversprechen wurde gebrochen, und die Monogamie kommt in Bedrängnis.

Pessimistischer Blick in die Zukunft

Meine Grosseltern glaubten daran, meine Eltern setzten voraus, und auch ich war überzeugt, dass es unsere Kinder einmal besser haben werden als wir. Vorbei! «Gerade die Generation Z blickt besonders pessimistisch in die Zukunft und fühlt sich zunehmend in der Arbeitswelt diskriminiert», so die Autorinnen.

Sind es die aktuellen weltpolitischen Geschehnisse, die den Jungen – trotz grösserem materiellem Wohlstand – aufs Gemüt schlagen? Sind es die düsteren Zukunftsaussichten wegen der ungebremsten Klimaerwärmung? Oder ist es einfach der natürliche Verlauf der Evolution: mal besser, mal schlechter?

Zu meinen, Entwicklung sei immer linear, ist ein Trugschluss. Faktoren, die die gesellschaftliche Entwicklung beeinflussen, können biologischer oder kultureller Natur sein oder aber werden durch «vernünftige» Entscheidungen herbeigeführt. Vernünftige Handlungen können zur kulturellen, zur zweiten Natur werden – oder aber wieder verschwinden, wie Carel van Schaik und Kai Michel in «Die Wahrheit über Eva. Von der Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern» aufzeigen. Vernunft wäre dringend gefragt, sowohl im Umgang mit dem Klimawandel wie auch bei der Gleichstellung!

Ein vielfältiges Liebesleben ist voll okay!

Knöpfen wir uns nun also die Monogamie vor. Fast zwei Drittel der 18- bis 25-Jährigen glauben, dass nicht-monogame Beziehungen bei den jüngeren Generationen normal und akzeptiert sein werden. Je älter die Menschen, desto weniger stimmen sie dem zu. Die Mehrheit der jungen Menschen, die an eine Normalisierung von offenen Beziehungen und Alternativen zu Zweierbeziehungen wie Polyamorie glauben, beurteilt diese Entwicklung als positiv, während die Mehrheit der älteren Menschen diese als negativ taxieren.

Was bedeutet das? Zeugt die Offenheit von jungen Menschen gegenüber alternativen Beziehungsformen nur von jugendlichem Veränderungsdrang? Oder ist die Monogamie tatsächlich ein Auslaufmodell?
Fakt ist: Der Mensch ist von seiner biologischen und kulturellen Konstitution schlecht ausgestattet für die Monogamie, wie die Autoren des Eva-Buchs nachvollziehbar darlegen. Die Doktrin der lebenslangen Monogamie bescherte über mindestens zwei Jahrtausende viel Leid, für Frauen wie für Männer. Aber für Frauen war es – und ist es teils hoch heute – schwieriger, den engen Verhältnissen zu entfliehen. Beschränkt in ihrem Radius auf das häusliche Umfeld – meist des angeheirateten Mannes –, und isoliert von ihrer Kernfamilie, fanden Frauen kaum Schlupfwinkel in der patriarchalen Gesellschaft. Diese Verhältnisse wirken bis heute nach. Ökonomische Unabhängigkeit, sexuelle Selbstbestimmung und unterstützende Allianzen sind nicht nur für die individuelle Lebenserfüllung von Frauen zentral, sondern sorgen in egalitären Gesellschaften auch für den nötigen Ausgleich zwischen den Geschlechtern.

Es braucht also die Vernunft, die dritte Natur, um biologische und kulturelle Hemmnisse auszugleichen. Sie garantiert erst die Wahlfreiheit aller. Ob wir nun unsere Beziehungen monogam oder polyamourös ausleben möchten. Ob wir unser Leben Socken waschend oder programmierend verbringen möchten. Ob wir ökonomisch unabhängig oder finanziell vom Partner abhängig sein möchten. Was allerdings unvernünftig ist. Aber über Scheidungsraten und Altersarmut reden wir ein andermal.

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Barbara Wülser, Leiterin Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann


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