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Kürzlich fand in der Kantonalen Psychiatrischen Klinik Beverin, Cazis, ein Symposium zum Thema "Motivationsarbeit im Suchtbereich" statt.

Zwei Referate und eine anschliessende Podiumsdiskussion befassten sich aus den Blickwinkeln der ambulanten und stationären Suchtarbeit mit folgenden Fragen: wie kann bei Menschen, die in irgendeiner Weise vom Alkohol abhängig geworden sind und einer Behandlung bedürfen, die Behandlungsbereitschaft geweckt werden, wie kann der schwierige Schritt in eine Behandlung erleichtert werden, der meist von Schuld- und Schamgefühlen begleitet ist, und wie kann die Motivation zum Verbleib in der Behandlungskette so lange wie notwendig erhalten werden.

Eugen Polli, Psychologe und Psychotherapeut FSP, Winterthur, stellte verschiedene Strategien der Motivationsarbeit in der ambulanten Suchtberatung vor. Er ging von der Tatsache aus, dass die Zahl der behandlungsbedürftigen Menschen mit Alkoholproblemen die Zahl jener, die auch behandlungswillig sind, bei weitem übersteigt. Er wies auf die damit einhergehenden hohen volkswirtschaftlichen Kosten und menschlichen wie zwischenmenschlichen Leiden und familiären Notlagen hin. Als mögliche Antwort darauf präsentierte er eine Motivierungsstrategie, die auf folgenden drei Säulen beruht: 1. Öffentlichkeitsarbeit, um den Bekanntheits- und Bereitschaftsgrad zu erhöhen, eine ambulante Beratungsstelle in Anspruch zu nehmen. 2. Früherfassung (Sekundärprophylaxe)in Betrieben fördern und innerbetriebliche Hilfsangebote für suchtmittelabhängige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einrichten; 3. Angehörigen schulen resp. darüber aufklären, wie sich Alkoholabhängigkeit entwickelt. Dazu gehört auch das Wissen um die "richtigen" Reaktionen und Verhaltensweisen seitens der Angehörigen, die dazu verhelfen können, zermürbende "Teufelskreise", in die das Zusammenleben mit Suchtmittelabhängigen üblicherweise führt, zu durchbrechen. Im speziellen hob der Referent die generell erwiesene Wirksamkeit gerichtlich angeordneter Massnahmen hervor.

Gottfried Sondheimer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Zürich, schöpfte bei seinen Ausführungen aus seiner langjährigen Erfahrung als Chefarzt der Forel Klinik für Suchtkranke in Ellikon. Seine Fragestellung war, wie Abhängige, die - was meistens der Fall ist - auf Druck von aussen in eine stationäre Behandlungseinrichtung eingetreten sind, zu einer Eigenmotivation für eine Veränderung ihres Alkoholkonsumverhaltens und ihrer Lebensgewohnheiten geführt werden könnten. Die Patienten von Anfang an neugierig machen und in der Folge ihr Interesse wach halten für die Therapieangebote der stationären Einrichtung (die entsprechend "pfiffig" sein müssten!) - das sei die hohe Motivierungskunst des Therapeuten. "Humorvolle Feierlichkeit" bezeichnete er als das Mittel der Wahl, um den Aufmerksamkeitspegel der Patienten für die Botschaften der Therapeuten möglichst lange möglichst hoch zu halten. Unter Einsatz einer spezifischen Fragetechnik , von der Sondheimer einige eingängige Beispiele lieferte, können nach seiner Erfahrung Patienten über anfängliche Verunsicherung zu eigenem Nachdenken, zu überraschenden Einsichten, zu vertieftem Problembewusstsein, zu erhöhter Veränderungsbereitschaft und letztlich zur Aktivierung der eigenen Ressourcen im Hinblick auf eine Verbesserung der Lebensqualität nach Klinikaustritt geführt werden. Eine gute Motivationsarbeit sei immer "bipolar", nämlich eine ausgewogene Mischung zwischen den beiden Extremen verstehendes Einfühlen in die Problemlagen und oft geheimgehaltenen Wünsche und Bedürfnisse des Patienten - empfängergerechte Konfrontation mit den unangenehmen tatsächlichen Folgen des Suchtmittelmissbrauchs, die als Appell an das eigene Engagement wirksam zu werden pflegt und mit Anleitungen zu konkreten Schritten der Verhaltensänderung zu koppeln wäre. Unter dem Schlagwort: "Das Gehirn ist unser Behandlungsobjekt" machte er auf die oft unterschätzte Betroffenheit dieses unersetzbaren menschlichen Organs durch dauerhaften hohen Alkoholkonsum und auf das hohe Motivationspotential einer anschaulichen Präsentation alkoholmissbrauchsbedingter hirnorganischer Veränderungen bei den Betroffenen aufmerksam.

In der abschliessenden Podiumsdiskussion wurden anhand kritischer Stellungnahmen von Urs Trottmann, Psychologe, Leiter des regionalen Sozialdienstes Scuol, Fragen und Probleme der Zusammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Suchtarbeit, Schwierigkeiten im Zusammenhang der beim Durchlaufen einer Behandlungskette unvermeidbaren Übergänge, Klippen und Gefahren damit einhergehender Bezugspersonenwechsel und Veränderungen, unter Umständen auch Brüche im Behandlungsstil, die Wichtigkeit einer Koordinierung der Motivierungsbemühungen der verschiedenen Kontakt- und Betreuerpersonen im Behandlungsnetz, typische Motivierungsprobleme in der Arbeit mit Suchtmittelabhängigen (Widerstand, Abwehr, Ambivalenz etc.) sowie Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Theorie und Praxis im Alltag eines an der Front tätigen Suchtberaters erörtert.

Ein anschliessender Apéro bot den 70 anwesenden Ärztinnen und Ärzten, Psychologinnen und Psychologen, Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Amtsvormündern sowie Psychiatriepflegerinnen und -pflegern  Gelegenheit zu persönlichem Gespräch und zum Erfahrungsaustausch.

Reto Parpan
Jahr: 1998
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