Die Regierung an die Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons Graubünden
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
Das Bettagsmandat der Regierung wird seit über 150 Jahren in unseren Kirchen
verlesen. Während dieser Zeit hat sich viel verändert. Verändert haben sich die
Beziehungen zwischen Kirche und Staat, verändert hat sich ebenso unsere Einstellung
zu diesen Institutionen. Unverändert geblieben ist die mit dem Bettagsmandat zum
Ausdruck gebrachte Verbindung zwischen Kirche und Staat. Das Bettagsmandat weist
heute wie vor 150 Jahren auf die Bedeutung der christlichen Grundwerte für das
staatliche Handeln und unser tägliches Leben hin.
Der Bettag ist, wie der Name ausdrückt, ein Tag des Gebetes. An diesem Tag haben
wir selber die Frage zu beantworten, ob wir Gott tatsächlich den ihm zustehenden Platz
über allen irdischen Werten einräumen. Im Gebet wird auch Dank ausgedrückt. Dankbar
sein dürfen wir, in einem Land leben zu können, das weder von aussen in seiner
Existenz bedroht, noch im Innern von tiefgreifenden Zwistigkeiten erschüttert
wird. Das ist heute wie vor 150 Jahren für viele Menschen dieser Welt leider keine
Selbstverständlichkeit. Unrecht, das Menschen innerhalb unseres Landes oder fern der
Landesgrenze erleiden, darf uns nicht gleichgültig lassen, sonst machen wir uns
mitschuldig. Martin Luther King, der im Jahre 1968 ermordete amerikanische
Baptistenpfarrer, Nobelpreisträger und Führer des gewaltlosen Kampfes gegen die
Rassentrennung, hat dies ausgedrückt, indem er sagte: «Gerechtigkeit ist nicht teilbar».
Seine Aussage ist ein Aufruf wider die Gleichgültigkeit gegenüber jedwelchem Unrecht.
Nach den Worten von Martin Luther King sind wir aufgerufen, uns auch ausserhalb
des engsten Lebenskreises gegen Not, Willkür, Armut, Unterdrückung und Unfreiheit
einzusetzen. Viel zu tun gibt es in diesem Sinne auch im eigenen Lande, wenn auch in
einer anderen Art als in Ländern mit Krieg und grosser Not.
Gelebte Solidarität gegenüber benachteiligten Mitmenschen im In- und Ausland ist
für sehr viele Mitbürgerinnen und Mitbürger glücklicherweise kein Fremdwort, im
Gegenteil. Die Unterstützung bedrängten Mitmenschen bildet auch eine der
vornehmsten Aufgaben der Kirche. Immer wieder sehen wir, wie die Kirche und wie der
christliche Glaube Menschen in grosser Bedrängnis Stärke gibt. Menschen in Not gibt
es auch bei uns. Dabei ist die materielle Armut oft einfacher zu beheben als die
seelische Not, die Verzweiflung, Trauer und Hoffnungslosigkeit im Wohlstand. Trotzdem
fällt es vielen schwer, die Unterstützung der Kirche anzunehmen und auf Gottes Wort zu
bauen.
Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass von der Unfehlbarkeit Gottes
ausgegangen und diese Unfehlbarkeit auf die Kirche übertragen wird. Dies muss zu
Enttäuschungen führen. Es wird manchmal zu leicht vergessen, dass überall, wo
Menschen tätig sind - sei dies in der Kirche wie anderswo -, Fehler gemacht werden.
Gefordert ist darum Toleranz gegenüber allen, die guten Willens im Dienste der
Mitmenschen stehen. Die Kirche wie unser Staatswesen leben vom aktiven Einsatz
möglichst vieler Menschen. Zu dieser Mitwirkung möchten wir Sie aufrufen.
Mit diesen Gedanken empfehlen wir Euch, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, und
alle unsere Mitmenschen samt uns der Obhut des Allmächtigen.
Chur, im September 2000 Namens der Regierung
Der Präsident: Peter Aliesch
Der Kanzleidirektor: Claudio Riesen
ZUR BEACHTUNG
1. Die Pfarrämter werden ersucht, das Bettagsmandat gemäss der grossrätlichen
Verordnung vom 24. Februar 1971 acht, eventuell vierzehn Tage vor dem
Eidgenössischen Bettag, also am 10., eventuell am 3. September 2000, von der Kanzel
verlesen zu lassen und darauf aufmerksam zu machen, dass gemäss der gleichen
Verordnung am Bettag in allen Kirchen des Kantons eine Kollekte durchzuführen ist,
deren Ertrag nach dem Beschluss der Regierung vom 30. Mai 2000 zu je einem Drittel
der "Stiftung für wahrnehmungsbehinderte Menschen in Graubünden", der
"Bündnerischen Stiftung für Vorschulung und Therapie cerebral gelähmter Kinder" und
dem "Team Selbsthilfe Graubünden" zugesprochen wird.
- Stiftung für wahrnehmungsbehinderte Menschen: Die Stiftung setzt sich ein für die
Integration von wahrnehmungsbehinderten Menschen in alle Lebensbereiche wie
Arbeiten, Wohnen, Bildung und Freizeitgestaltung. Die Einrichtung strebt die Schaffung
einer Anlaufstelle zwecks Vermittlung von fachlicher und therapeutischer
Betreuung an.
- Bündnerische Stiftung für Vorschulung und Therapie cerebral gelähmter Kinder:
Diese Einrichtung ermöglicht Kindern mit Behinderungen bereits im Säuglingsalter eine
ihrer Entwicklung entsprechende gezielte medizinische, therapeutische und
pädagogische Förderung und Unterstützung. Dem in Chur bestehenden Heim für
Intensivtherapie ist ein heilpädagogischer Kindergarten angeschlossen.
- Team Selbsthilfe Graubünden: Der im Herbst 1998 gegründete Verein
bildet eine Kontaktstelle für alle Selbsthilfegruppen im Kanton Graubünden. Das
Anliegen der Selbsthilfe soll unterstützt und gefördert werden. Die einer
Selbsthilfegruppe angehörenden Mitglieder lernen mit ihren persönlichen Konflikten und
Schwierigkeiten besser umzugehen. Dabei stehen ihnen Beraterinnen und Berater zur
Verfügung.
2. Die Gemeindevorstände werden angewiesen, die Sammlung im Einvernehmen
mit den kirchlichen Instanzen durchzuführen und das Ergebnis bis zum 28. September
2000 der Finanzverwaltung Graubünden, 7000 Chur, PC 70-187-9, abzuliefern.
3. Die Gemeindevorstände werden weiter eingeladen, dafür zu sorgen, dass am
Samstag vor dem Bettag um 18.00 Uhr mit allen Glocken geläutet wird.
Der Nachdruck ist erst nach dem 13. September 2000 gestattet.
Gremium: Regierung
Quelle: dt Standeskanzlei Graubünden