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Session: 18.10.2016

Die Einführung von Tempo 30 auf Nebenstrassen, und wo notwendig auch auf Hauptstrassen, ist für alle Verkehrsbeteiligten von grossem Vorteil. Die Anzahl Unfälle und Verletzte geht erheblich zurück, und auch die Lärmimmissionen reduzieren sich deutlich - dies ohne nennenswerte Nachteile und zu minimalen Kosten.

 

Bis vor 4 bis 5 Jahren war der Kanton Graubünden bei der Erteilung von Bewilligungen von Tempo-30-Zonen schweizweit vorbildlich. Die Gemeinden konnten die benötigten Gutachten für die Einführung von Tempo 30 mit einem vernünftigen administrativen Aufwand von wenigen Seiten und Kosten von meist deutlich weniger als Fr. 10'000.- erstellen lassen.

 

Seit dem Urteil des Bundesgerichts zugunsten von Tempo 30 in Sumvitg und der darauf basierenden neuen kantonalen Richtlinie Verkehrsberuhigung innerorts haben sich der Aufwand für ein entsprechendes Gutachten sowie die damit verbundenen Kosten für die Gemeinden verdoppelt bis verdreifacht. Diese Mehraufwände sind kaum erklärbar, gelten doch auf Bundesebene seit 2002 die gleichen Anforderungen an ein Tempo 30 Gutachten im Sinne eines „Kurzberichts“.

 

Fragen an die Regierung:

 

1. Ist die Regierung nicht auch der Meinung, dass die Einführung von Tempo 30, so wie dies früher der Fall war, wieder vereinfacht, beschleunigt und unbürokratischer erfolgen soll?

 

2. Welche Rolle kann und soll Tempo 30 im Rahmen der gemäss Umweltschutzgesetzgebung bis 2018 geforderten Sanierung lärmbelasteter Kantonsstrassen spielen?

 

3. Gemäss Artikel im Bündner Tagblatt vom 22.09.2016 warten 26 offene Gesuche und 11 offene Anfragen für Tempo 30 auf einen Entscheid des Kantons. Bis wann können die betroffenen Gemeinden mit einer positiven Antwort rechnen?

 

Chur, 18. Oktober 2016

 

Deplazes, Baselgia-Brunner, Atanes, Bucher-Brini, Cahenzli-Philipp, Caviezel (Chur), Danuser, Dosch, Gartmann-Albin, Jaag, Jenny, Kappeler, Lamprecht, Locher Benguerel, Lorez-Meuli, Monigatti, Niggli-Mathis (Grüsch), Pedrini, Perl, Pult, Steiger, Thöny, von Ballmoos, Cantieni, Degiacomi, Horrer, Vassella

Antwort der Regierung

Der Bund hat die allgemeine Höchstgeschwindigkeit innerorts in Art. 4a Abs. 1 lit. a der Verkehrsregelnverordnung (VRV; SR 741.11) auf 50 km/h festgelegt. Zur Vermeidung oder Verminderung besonderer Gefahren im Strassenverkehr, zur Reduktion einer übermässigen Umweltbelastung oder zur Verbesserung des Verkehrsablaufs kann die zuständige Behörde für bestimmte Strassenstrecken Abweichungen von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten anordnen. Vor der Festlegung von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten wird durch ein Gutachten abgeklärt, ob die Massnahme nötig, zweck- und verhältnismässig ist oder ob andere Massnahmen vorzuziehen sind (vgl. Art. 108 Abs. 2 und 4 der Signalisationsverordnung [SSV; SR 741.21]).

1. Im Jahr 2001 vereinfachte der Bund die Einführung von Tempo-30-Zonen, was in Graubünden zu einem starken Anstieg der Gesuche führte. Die kantonale Kommission für die Festlegung differenzierter Höchstgeschwindigkeiten im Strassenverkehr (Kommission) erarbeitete daraufhin die "Kantonale Richtlinie Verkehrsberuhigung innerorts" (Richtlinie), welche die Regierung am 15. März 2005 genehmigte. Sie diente als Hilfsmittel, um eine rechtsgleiche Behandlung zu gewährleisten. Die Richtlinie enthielt verschiedene Entscheidkriterien zur Einführung von Tempo-30-Zonen. Ein zentrales und einfach zu handhabendes Kriterium war der sogenannte V85-Wert, der der Geschwindigkeit entspricht, die von 85% aller Verkehrsteilnehmer eingehalten wird.

Das Verwaltungsgericht Graubünden kam im Rahmen einer Beschwerde zum Nichteinbezug der Hauptstrasse in Sumvitg zum Schluss, dass der V85-Wert wenig geeignet sei, die Erforderlichkeit einer Tempo-30-Zone zu klären. In Fachfragen könne zudem nicht ohne zwingende Gründe von einem Gutachten abgewichen werden und allfällige Abweichungen müssten begründet werden. Das Bundesgericht bestätigte den Entscheid (BGE 139 II 145).

Das Gutachten wurde dadurch zum zentralen Entscheidkriterium und der Ermessensspielraum der verantwortlichen Behörden reduzierte sich stark. Das Bundesamt für Strassen ASTRA hatte sich anlässlich des bundesgerichtlichen Verfahrens mit dem Gutachten Sumvitg auseinandergesetzt und dieses in diversen Punkten als ungenau und unvollständig qualifiziert. Allgemein war festzustellen, dass insbesondere die anspruchsvolleren Gutachten mit Einbezug von verkehrsorientierten Strassen von sehr unterschiedlicher Qualität waren. Um der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gerecht zu werden und die notwendige Qualität der Gutachten zu gewährleisten, musste die Richtlinie angepasst werden.

Das Verfahren an sich ist weder komplizierter noch bürokratischer als früher und dank der Erhöhung der Anzahl Kommissionsitzungen können heute die Anträge der Gemeinden rascher behandelt werden. Einzig an das Gutachten müssen höhere Anforderungen gestellt werden. Eine Rückkehr zur alten kantonalen Praxis ist aufgrund der bundesrechtlichen und gerichtlichen Vorgaben nicht möglich. Derzeit wird auf Bundesebene allerdings diskutiert, die Pflicht zur Erstellung eines Gutachtens zur Einführung von Tempo-30-Zonen auf siedlungsorientierten Strassen fallenzulassen.

2. Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit kann zum Lärmschutz herabgesetzt werden, wenn dadurch eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung vermindert werden kann und der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt wird. Bei der Prüfung, ob eine Temporeduktion eine verhältnismässige Massnahme zur Lärmreduktion darstellt, muss beachtet werden, dass es sich bei Kantonsstrassen grundsätzlich um verkehrsorientierte Strassen handelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist auf verkehrsorientierten Strassen die Einführung von Tempo-30-Zonen nur ausnahmsweise und unter den Voraussetzungen von Art. 108 Abs. 2 SSV zulässig (BGE 136 II 539, E. 2.2).

Das Tiefbauamt Graubünden arbeitet zusammen mit dem Amt für Natur und Umwelt an verschiedenen Lärmsanierungsprojekten von Kantonsstrassen, teilweise mit Einbezug von Gemeindestrassen. Die Projekte werden mit den Tempo-30-Zonen-Verfahren bei der Kantonspolizei und dem Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit koordiniert.

3. Zurzeit sind bei der Kantonspolizei 27 Gesuche von Gemeinden offen und zusätzlich sind bei drei Gemeinden Vorabklärungen im Gange. Bei 20 der 27 Gesuche wartet die Kantonspolizei auf die Einreichung des Gutachtens durch die Gemeinden. Sieben sind in der Abklärungs- bzw. Bewilligungsphase. Bei zwei weiteren, bereits bewilligten Tempo-30-Zonen, müssen die Gemeinden die Signalisation noch aufstellen. Die Gesuche werden zurzeit viermal jährlich von der Kommission beurteilt. Sobald die Gesuche der Gemeinden inkl. Gutachten vorliegen, werden sie durch die Kantonspolizei bearbeitet und an der nächsten Sitzung der Kommission behandelt.

12. Januar 2017